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Fakten zur Aufführung 

FORSCHUNGEN EINES HUNDES
(Andreas Winkler, Martin Brenne, Jason Tran, David Kiefer, Michael Gerihsen)
22. Mai 2013
(Premiere am 17. Mai 2013)

Literaturoper Köln, Rautenstrauch-Joest-Museum


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Der Mensch im Tier

Einmal im Jahr startet die Literaturoper Köln ein neues Opern-Projekt, das zumeist einen Text oder Roman zur Vorlage hat, wie zum Beispiel im letzten Jahr Die Verwirrungen des Zöglings Törleß. Dieses Jahr erwartet das Publikum aber etwas Neues: Statt ein singuläres literarisches Produkt als Oper zu präsentieren, sind es dieses Jahr gleich fünf bearbeitete Texte – und zwar alles Kurzgeschichten Kafkas „tierischen“ Inhalts. Zudem wird jeder Text von einem anderen jungen Kompositionstalent vertont. Fünf unterschiedliche Geschichten eines der bekanntesten Prosaisten des 20. Jahrhunderts, fünf junge Komponisten, die „ihrem“ Werk jeweils einen individuellen Stempel aufdrücken. Das verspricht spannend zu werden. Auf dem Plan stehen Die Verwandlung; Forschungen eines Hundes; Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse (poetologisch); Der Bau und Ein Bericht für eine Akademie, die unter dem etwas sperrigen Gesamttitel Forschungen eines Hundes. Ein "tierisch" musikalischer Kafka-Opernabend versammelt werden.

Als Location steht dieses Jahr der Vortragssaal des Rautenstrauch-Joest-Museum zur Verfügung. Da das kein Raum ist, der für (Musik-)Theater ausgelegt ist, bittet Andreas Durban von der Literaturoper das Publikum aufgrund der äußerst trockenen Akustik um Verständnis, dass die Sängerinnen mit Mikro-Ports verstärkt werden. Das mag man trotz der anfänglichen technischen Macken schnell verzeihen, denn sowohl Sprache als auch Gesang der jungen Sängerinnen werden damit deutlicher.

Durban ist für die Regie aller Stücke und die bühnentauglichen Textfassungen verantwortlich. Er gibt den jungen Sängerdarstellerinnen mit seinen Regie-Ideen szenischen Halt, lässt ihnen aber auch Platz zum Ausspielen der eigenen darstellerischen Möglichkeiten. Teils hätte man sich eine reduziertere Dynamik des Bühnengeschehens gewünscht oder auch den Mut, die Akteure öfter monologisch und ohne Chor-Unterstützung auftreten zu lassen. Denn je mehr junge Sängerinnen auf der Bühne sind, desto mehr schwindet die Einzelleistung, was besonders bei Ein Bericht für eine Akademie, das wesentlich besser ohne die johlenden und lachenden „Männer“ funktioniert hätte oder bei Der Bau deutlich wird. Kostüme und Bühne sind von Birgit Pardun gestaltet. Während die Kostüme bisweilen etwas beliebig geraten, wie die klischeehafte Ausstattung der Familie, kann aber beispielsweise die Kostümierung des Affen als Varieté-Star mit Zylinder und Stock begeistern. Eher überzeugt die Bühne, die erst während des Verlaufs des Abends ihren roten Faden offenbart. Zu sehen ist ein von schwarzem Rahmen gespanntes schwarz-transparentes Feld, das die gesamte Breite der Bühne abteilt. Rechts ganz hinten haben die Musiker ihren Platz, während sowohl vor als auch hinter dem Rahmen gespielt wird. Die Kurzgeschichten, die inhaltliche Bezüge untereinander aufweisen, werden auch durch die Gestaltung des Bühnenbildes miteinander in Bezug gebracht. Die meisten Texte prägt ein Mit- und Gegeneinander von „Drinnen“ und „Draußen“, das sich in der Zweiteilung der Bühne wiederfinden lässt, sei es des Ungeziefers Gregors Zimmer, das anfangs nicht betreten werden darf, der Bau des Dachses oder einfach nur die beschränkte Wahrnehmung des Hundes. Videoeinspielungen und Fotos erweitern den Spielraum sowie die Bühne und geben weitere Interpretationsansätze.

Die Tiere Kafkas haben bis auf den Käfer eines gemein: Sie sind mehr oder weniger anthropomorphisiert, das heißt ihnen werden menschliche Eigenschaften zugesprochen. Sie tragen Kleidung, sie sprechen und behalten aber doch ihre meist natürliche Umgebung und sind wie Spiegel der menschlichen Gesellschaft. Musikalisch hat jeder Komponist einen anderen Weg gefunden, das Thema darzustellen, zu kommentieren oder sich ihm gar lautmalerisch zu nähern: So werden die verzweifelten Versuche Gregors, sich seiner Familie mitzuteilen, als Rassel-Percussion vertont oder die Schnelligkeit des Jagdhundes durch rasante Läufe auf dem Klavier verbildlicht. Das kleine Orchester, bestehend aus Klarinette von Tobias Gubesch, Violine Mayumi Nuria Sargent Harada, Violoncello von Rebekka Stephan und Klavier Yuri Nam und Georg Leisse, bringt unter der musikalischen Leitung von Georg Leisse die neue Musik äußert differenziert und konzentriert zum Klingen und zeigt große Vielfältigkeit in der Umsetzung der verschiedenen Kompositionsstile. Die Komponisten unterstützen teilweise die Sänger und Musiker, indem sie von der Seite dirigieren.

Der Abend beginnt mit der wohl bekanntesten Erzählung Die Verwandlung. Hier liegt der Fokus auf der Schwester Grete, deren zunächst großer Einsatz für den Bruder auffällig ist und die ihn dann umso schlimmer fallen lässt. Im Hintergrund läuft ein Video, das die Perspektive des in einen Käfer verwandelten Gregor zeigt und so die Bedrängung und Entfremdung der Familie deutlich macht. Die Musik von Andreas Winkler besticht durch den meist deklamatorischen Gesangsstil und ausdrucksstarken, willkürlich anmutenden Einsatz von Klarinette und Saiteninstrumenten.

Es folgt Forschungen eines Hundes, vertont von Martin Brenne, der ein mutiges, aber erfolgreiches Konzept verfolgt: Gesungen wird nur, wenn der Hund sich seinen triebhaften Instinkten hingibt, ansonsten wird der Text monologisch reflektierend wiedergegeben. Refrainartig bricht die Musik als natürliches Phänomen aus dem Tier hervor, der sich selber zum Fasten zwingt und nur in der Selbsterkennung als Hund zum Singen fähig ist.

Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse ist ein Stück, dass das Singen selbst zum Thema hat und in einer musikalischen Form so zu einem poetologischen, also die Bedingungen der Entstehung reflektierenden Stück wird. Die gehässigen Mäuse neiden die Kunst der Sängerin Josefine. Die bösartige Persiflage auf das Aussterben der Kunst durch ungebildete Rezipienten komponiert Jason Tran im ebenso bösartigen ¾-Takt, in dessen vordergründig schöne Walzermusik sich dissonante Unstimmigkeiten einschleichen.

Nach der Pause geht es mit Der Bau weiter, eine Geschichte über einen zwischen protzendem Selbstbewusstsein und paranoiden Zweifeln hin- und her gerissenen Dachs, der seinen schützenden Bau weder verlassen mag, noch genießen kann, wenn er sich darin befindet. Die Musik kommt von David Kiefer, dem es überzeugend gelingt, die Grenzen zwischen Fiktion und Realität auch in der Musik dazustellen.

Ein Bericht für eine Akademie bildet den Abschluss des Abends. Komponist ist Michael Gerihsen, der mit seinem Konzept einen der interessantesten Ansätze liefert: Er bettet die starken Monologe von Schauspielerin Carole Schmitt als Affen in eine untermalende atmosphärische Tonkollage und unterbricht ihn mit verzerrten Varietéstückchen, ähnlich französischen Chansons.

Überwiegen auf der kompositorischer Seite die männlichen, so sind es auf darstellerischer Ebene die weiblichen Akteure: Sechs Sängerinnen und eine Schauspielerin schlüpfen in Frauen-, Männer- und vor allem Tierrollen und das mit vollem gesanglichen und körperlichen Einsatz. Die Sängerinnen übernehmen kleine und größere Solopartien und stellen sonst den Chor. Rosemarie Weissgerber als Grete und als Josefine überzeugt mit Spielfreude und schöner Stimme. Sie wirkt anfangs noch etwas unsicher, was allerdings auch an der mangelhaften Technik liegen kann, die in der ersten Hälfte noch einige Aussetzer der Mikro-Ports verschuldet. Mezzosopranistin Milena Stefanski ist eine wandelbare Darstellerin, die als Hund mit frechen Zöpfen einen der längsten Sprechtexte souverän wiedergibt und eine starke Bühnenpräsenz zeigt. Sie weiß ihre warme Stimme gekonnt einzusetzen. Katharina Borsch hat eine ebenso klare wie satte Stimme und verausgabt sich in der Darstellung des mondänen und paranoiden Dachses und der Mutter aus der Verwandlung. Svea Schenkels Stimme möchte man gerne mehr hören als immer nur im Chor, und auch ihre Darbietung als Varieté-Tänzerin, Maus Madeleine und Dienstmädchen Anna zeigt darstellerisches Können. Katharina Diegritz legt besonders starke Spitzentöne als Jagdhund hin und ist auch in den Nebenpartien eine starke Bühnenpartnerin. Vera Klasen als Fräulein Gärtner und Maus Fiora bleibt stimmlich und darstellerisch etwas blasser als ihre Kolleginnen, hat aber stimmlich auch einige Höhepunkte. Was den jungen Sängerinnen an Reife und Professionalität in der Darstellung noch fehlt, macht Schauspielerin Carole Schmitt schmerzhaft deutlich: Ihr starker Monolog als Affe, währenddessen sie intensiven Blickkontakt mit dem Publikum pflegt und ihre ruhige, großartig prononcierte Stimme zeigt, beeindrucken nachhaltig.

An diesem Abend wird ein breiter Querschnitt verschiedener Stile des zeitgenössischen Musiktheaters geboten, bei denen die jungen Komponisten selbstbewusst ihr Können zeigen. Hin und wieder hätten trotz des künstlerischen Anspruchs die Texte und Musik etwas publikumsfreundlicher gekürzt werden können, da die Fülle an gleich fünf verschiedenen Werken für ungeschulte Ohren schnell etwas viel werden kann. Das leider etwas schmal besetzte Publikum dankt den Mitwirkenden mit herzlichem Applaus.

Miriam Rosenbohm







Fotos: Birgit Pardun