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Fakten zur Aufführung 

LA FORZA DEL DESTINO
(Giuseppe Verdi)
16. September 2012
(Premiere)

Oper Köln


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Oh, Fortuna

Ist es nun Zufall oder Schicksal? Der Stoff der Oper ist typisch: Die Liebenden Leonora und Alvaro werden getrennt, denn er hat versehentlich den geliebten Vater Leonoras erschossen. Ihr Bruder schwört, den Mörder des Vaters und die in seinen Augen geschändete Schwester umzubringen. Wie das Schicksal es will, zieht sich Leonora in eine Einsiedelei zurück, da sie glaubt, ihr Geliebter sei nach Amerika geflohen. Der wiederum denkt, sie sei tot und trifft - wie sollte es auch anders sein – ausgerechnet seinen Todfeind und rettet diesem das Leben. Den Rest kann man sich denken: Zweikämpfe, Flüche, sehr kurze Wiedersehensfreude und am Ende sind alle tot. Jedenfalls in der ursprünglichen Petersburger Fassung, die Olivier Py für seine Inszenierung zitiert. Wie interpretiert man die anscheinende Unabwendbarkeit der Vorfälle? Als tatsächliches Schicksal oder als Kette von unwahrscheinlichen Zufällen? Die Botschaft der Oper scheint zu sein: Trage dein Los und bereue – aber nicht mit Fassung.

Schicksal wird oft mit der launischen Göttin Fortuna, die verschwenderische Fülle im Handumdrehen in verwesendes Fleisch verwandeln kann, in Zusammenhang gebracht. Nicht umsonst ist die Ikonographie eines Schicksalsrades verbreitet, das sich unaufhörlich dreht und durch nichts zu stoppen ist. Ein sich ständig drehendes Rad ist zentrales Element der Inszenierung von Olivier Py und das in mehrfacher Hinsicht. Bereits während der Ouvertüre sieht man zwei sich beständig drehende eiserne Räder, die Bestandteil einer Maschine zu sein scheinen. Es hat etwas Unheilvolles, wie sich diese Räder wie ein perpetuum mobile bewegen und irgendetwas damit antreiben. Verknüpfungen und einen deutlichen Interpretationsansatz gibt es, wenn Preziosilla nahezu triumphierend ein karussellartiges Miniaturmodell einer ausgebombten Stadt mit Flugzeugen, Panzern, Häuserskeletten und Kirchtürmen, die verdächtig nach einem zu klein geratenen Kölner Dom aussehen, vor einer Lampe immer schneller dreht und sich die Schatten drohend und riesenhaft auf der Bühne abzeichnen. Die Fassaden, die unterschiedliche Gebäude und Räume bilden, finden sich später im Bühnenbild wieder, denn auch dieses dreht sich im Hintergrund mal langsam, mal schnell und bietet so verschiedenste Spielorte. Einige der Häuser sind kleiner, als sie sein sollten, so dass die darauf oder dahinter agierenden Protagonisten riesenhaft erscheinen, andere wiederum sind im lebensgroßen Maßstab. Permanentes Element des Bühnenbildes ist eine Treppe, die die ganze Länge und vordere Seite der Bühne einnimmt und in der sich mittig die Tür zur Einsiedelei Leonoras befindet. Unheilvoll zittern Blitze über den Bühnenhintergrund, die zur fast unheilvoll aufgeladenen Atmosphäre beitragen. Pierre-André Weitz schafft es, im Bühnenbild einen großen Teil der Interpretation unterzubringen, und beeindruckt mit raffinierter räumlicher Gestaltung. Seine Kostüme sind dagegen wesentlich aussageloser, aber sie erfüllen ihren Zweck. Die Preziosilla und ihre verlockenden Gefährtinnen sind klischeehaft mit Strapsen, Korsagen und Bob-Perücken ausstaffiert, Preziosilla dazu noch mit fast an Nina Hagen heranreichender Kriegsbemalung und ausstaffiert wie ein Zirkuspferd. Sonst geraten die Kostüme schlichter, bis auf die Uniformen der Männer. Bei einem Plot, in dem auch noch ein Haufen grau-braun gekleideter Pilger und Mönche vorkommen, zu denen sich dann auch noch zwei der drei Hauptfiguren gesellen, hätte man sich für die anderen Charaktere noch mehr Einfallsreichtum wünschen können.

Pys Inszenierung gerät überraschend verständlich, viele Einfälle decken sich mit dem Text. In vielen Punkten kann man sie als geschlossen bezeichnen. So werden Elemente wie der Geist des toten Vaters, der Leonora schließlich mit sich nimmt, zuende erzählt. Auch leicht moderne Tendenzen, wie ein als grotesker Engel verkleideter Statist, kommen vor, allerdings etwas vorsichtig eingesetzt. Vielleicht sollte es skandalös sein, dass einige mutige Statistinnen mit nackten Brüsten obszöne Gesten und Reiterspielchen veranstalten, aber solange dabei die Hosen an bleiben, kann das in Köln wohl niemanden schocken. Py nutzt die Darstellung der Schrecken des Krieges in einigen Szenen, dennoch verliert sich diese vor allem anfangs angedeutete Interpretation wieder. Insgesamt kann man auf der Bühne viel entdecken, was vor allem mit dem großen Aufgebot an Bühnentechnik zu tun hat, die den Einsatz von vielen feinfühligen Technikern und Bühnenhelfern benötigt. Die Inszenierung überfordert nicht, hinterlässt trotz teilweise hölzern eingeflochtenem Inszenierungs-Flitter vor allem aufgrund der guten Leistung von Darstellern, Chor und Statisterie einen guten Eindruck beim Publikum.

Leider ist der musikalische Genuss nicht ungetrübt. Zwar ist das Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Will Humburg in Hochform, allerdings schluckt der tiefe Orchestergraben einiges vom Glanz und lässt die Sänger umso exponierter erscheinen. Da hört man wirklich alles, was auf der Bühne geschieht: leider auch den trockenen Plumps, wenn Alvaro sich in den Tod respektive auf eine Matratze stürzt. Der Sängerin der Leonora schadet das nicht, denn man kann sich so noch mehr an der Leistung der leidenschaftlich spielenden Adina Aaron ergötzen, die vom hauchfeinen Pianissimo bis zur gutturalen Tiefe die Partie facettenreich gestaltet. Leider enttäuscht neben ihr Tenor Enrique Ferrer mit gewöhnungsbedürftigem Vibrato und wenig Feingefühl. Anthony Michaels-Moore als Bruder Don Carlo klingt müde, als hätte er sich in der Generalprobe verausgabt – schade! Die weiteren Partien erfreuen dagegen: Dalia Schaechter als hetzerische, zwielichtige Lebedame ist sowohl als Darstellerin als auch mit ihrem eckigen Mezzo ausdrucksstark. Liang Li als Padre Guardiano ersingt sich ebenfalls die Sympathie des Publikums, ebenso wie die spielfreudigen Patrick Carfizzi als Fra Melitone und Ralf Rachbauer als Mastro Trabucco. Andrew Ollivant gilt viel Dankbarkeit, denn Chor und Extrachor schenken dem Publikum die wohl schönsten musikalischen Momente des Abends.

Das Premierenpublikum gibt sich launisch. Zwar hört man hin und wieder Szenenapplaus, der gerät aber ziemlich lasch. Dass es lauter geht, wird vor der Vorstellung gezeigt: als Ex- Intendant Uwe Eric Laufenberg gesichtet wird, wird er mit einem herzlichen Bravo und lang anhaltendem Applaus bedacht. Ähnliche Begeisterung schaffen nur Chor, Orchester und Adina Aaron.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Paul Leclaire