Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

LA FORZA DEL DESTINO
(Giuseppe Verdi)
24. Januar 2014
(Premiere am 16. September 2012)

Oper Köln


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Im Mahlstrom des Lebens

Verdis Macht des Schicksals ist ja für viele Opernliebhaber eines der Beispiele, wie sich eine haarsträubende Handlung dank genialer Musik in ein echtes Juwel verwandeln kann. Doch wer seine eigenen „zufälligen“ Begegnungen etwas unter die Lupe nimmt, der kommt vielleicht auch ins Grübeln, ob diese Begegnungen nicht doch Schicksal waren. Oder sind es die Umstände, die vorantreibende Gesellschaft, die solche unwahrscheinlichen Verkettungen, wie in dieser Schicksalsoper beschrieben, überhaupt erst möglich machen?

In Köln liefern Regisseur Olivier Py und Bühnenbildner Pierre-André Weitz, der auch für die schlicht-aussagekräftigen Kostüme zuständig ist, die drei Protagonisten Leonora, ihren Bruder Carlo, und ihren Liebhaber Alvaro einer gnadenlosen Maschinerie aus Liebe, Rache und Krieg aus. Symbolhaft dafür ist die Kriegshetzerin Preziosilla, die schon während der Ouvertüre einen drehenden Fassadenkreislauf an die graue Rückwand der Bühne projiziert. Mit dem verhängnisvollen Mord am Marchese di Calatrava gerät die Hinterbühne in Bewegung. Wie ein Mahlstrom ziehen Häuser langsam aber stetig vor den Augen der Zuschauer vorbei, sind Kulissen und Hindernisse gleichermaßen, die sich mit den steilen Treppenstufen der Hauptbühne zu einer unbequemen aber spektakulären Spielfläche verbinden. Während der politische Krieg das Volk in ruhelose, versehrte Flüchtlinge verwandelt, profitieren davon Gauner wie der leichenfleddernde Maultiertreiber Trabucco oder Preziosilla, die mit kalter Erotik das Geschehen beobachtet und einen Kindersoldaten ausbildet. Mit dem Tod der beiden kommt auch langsam Ruhe auf die Bühne. Das ausgeblutete Volk wird schnell vom unwirschen Kapuzinermönch Melitone vertrieben, und so ist die Bühne frei, um beim letzten schicksalshaften Aufeinandertreffen von Leonora, Carlos und Alvaro endgültig zum Stillstand zu kommen.

Dank dieses Konzeptes mischen sich Masse und Individuen glaubhaft ineinander, gibt es keinen störenden Szenenwechsel, sondern nur Fortschritt. Pys Personenführung hat durch die szenische Einstudierung von Benjamin Prins vielleicht sogar noch etwas an Schwung gewonnen, doch übrig geblieben aus der Premiere im Jahr 2012 ist der Hang zum plakativen Aktionismus – etwa das oberflächliche Abarbeiten von sexuellen Handlungen zwischen angezogenen Männern und barbusigen Frauen. Kaum zu glauben, dass man damit noch in Köln ein schüchternes Buh während des müden Szenenapplauses entlocken kann. Bertrand Killy ist für die angemessen düstere und fahle Beleuchtung verantwortlich.

So mischen sich bisweilen Musik und Szene zu atemberaubenden Momenten voller Gänsehaut. Will Humburg zeigt, dass man diese nicht immer durch Lautstärke erzeugen muss. Doch auch in seiner Interpretation ist selbst im leisesten Innehalten immer noch der Pulsschlag des Schicksals spürbar. Mit dem ganz stark aufspielenden Gürzenich-Orchester setzt er zu keinem Zeitpunkt auf die reine Untermalung der Szene. Das subtile Spiel mit den Tempi, die er von einem Takt auf den anderen leicht verzögert, dann wieder anzieht, braucht natürlich viel Aufmerksamkeit aller Beteiligten sowie Humburgs großen Schlag, der die Musik bis auf wenige Ausnahmen sehr sicher koordiniert. Auch die großen Chorpassagen sind bestens vorbereitet – Dank gebührt an dieser Stelle Andrew Ollivant – und bestechen zudem durch hohe Wirkungskraft. Etwa wenn sich der Männerchor mit Adina Aarons Leonore und Young Doo Park Guardiano zu einem ergreifenden La vergine degli angeli mischt, das man in dieser makellosen Intensität selten gehört hat.

Sieht man von einer kurzen Einstiegsphase ab, ist Adina Aaron auf dem starken Niveau der Premierenserie geblieben und verbindet Emotionen und Gesangstechnik so gekonnt, dass ihr das Publikum zu Füßen liegt. Ihre gesamte Szene mit Padre Guardiano ist in einer musikalisch hochkarätigen Aufführung ein Höhepunkt, weil mit Young Doo Park ein junges Bass-Juwel aufgeboten ist. War in den ersten Aufführungen der Wiederaufnahme der Alvaro mit Lance Ryan besetzt, so hört man in der Dernière den ebenfalls mehr aus dem deutsch-romantischen Fach bekannten Burkhard Fritz. Mag sein Tenor leider nicht ganz bruchlos geführt sein, so zeichnet ihn vor allem der gefühlvoll-kultivierte Einsatz seiner Stimme aus. Bei ihm klingt ein Piano wirklich noch nach einem Piano und im Forte verliert die Stimme nichts an Schönheit. Dass er in dieser einzigen Vorstellung viel auf die Stufen und den Dirigenten achtet und trotzdem achtbar spielt, ist nur ein weiterer Beweis für seine Professionalität. Ein großartiger Gegenspieler ist ihm Vladimir Stoyanov, der mit Stilgefühl und kräftigem Kavaliersbariton den rachsüchtigen Don Carlo verkörpert. Eine szenisch sehr starke und im Klang ganz ungewöhnlich lyrische Preziosilla bietet Katrin Wundsam, die nicht künstlich versucht, eine Mezzo-Röhre aufzubieten, sondern der Partie mit Agilität und Genauigkeit beikommt. Sehr gut! Für den erkrankten Matias Tosi kann man zum Glück kurzfristig den produktionserfahrenen Tiziano Bracci als Fra Meltione gewinnen, der sich spiel- und sangesfreudig auf der Bühne austobt. Wilfried Staber singt den Marchese di Calatrava energiegeladen, um dann immer wieder als Geist geduldig und stumm auf die Bühne zurückzukehren. Auch Ralf Rachbauer wertet die kurzen Momente des Trabucco enorm auf. In kleineren Rollen machen Luke Stroker, Andrea Andonian und besonders Marcelo de Souza Felix auf sich aufmerksam.

Das Verdi-Gück kommt auch beim Publikum gut an, zumindest bei denjenigen, die nicht sofort nach Alvaros Freitod den Saal verlassen. Alle Beteiligten werden sehr lautstark gefeiert. Man merkt die Dankbarkeit darüber, dass man diese Oper auf diesem Niveau erleben konnte. Vielleicht fragt sich ja mancher im Publikum jetzt doch: War das Zufall oder Schicksal? Auf jeden Fall eine starke Leistung der Oper Köln.

Christoph Broermann

Fotos: Paul Leclaire