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Fakten zur Aufführung 

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
1. Dezember 2013
(Gastspiel)

Philharmonie Köln


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So viele Noten wie möglich

Gespannte Erwartungen liegen in der Luft der Kölner Philharmonie, als das Freiburger Barockorchester auf dem Podium Platz nimmt und auf den Dirigenten des Abends, René Jacobs, wartet. Dessen Mozart-Interpretationen sind bekannt und geschätzt, seine Figaro-Einspielung auf CD genießt bei vielen Referenzstatus. Auch beim Gastspiel in Köln werden die Hörer nicht enttäuscht. Großartig geändert hat sich sein fast spielerischer Zugriff auf den tollen Tag im Schlosse des Grafen Almaviva nicht. Man kommt in den Genuss einer opera buffa mit prallen komödiantischen Einlagen und filigranen Verzierungen. Was nicht bedeutet, dass der Tiefgang des Werkes unter den Tisch fallen würde. Oft sind es Kleinigkeiten, die den schmalen Grat zwischen Komödie und Tragödie ausmachen. Zum Beispiel diese kleine Pause im Finale des vierten Aktes, wenn das Ensemble beschließt, diesen tollen Tag voller Verwirrspiele und Intrigen hinter sich zu lassen. Direkt bevor man zur lieta marca – zum frohen Marsch – aufbricht, setzt Jacobs eine kleine Zäsur und ändert schlagartig den Charakter der Musik. Da brodelt in den Streichern, vor allem in den Celli und Kontrabässen, jene politische Unruhe, die sich zu Zeit Mozarts mit Blick auf die Ereignisse in Frankreich breitmachte. Der revolutionäre Geist von Beaumarchais, der die Vorlage zum Figaro verfasste, ist an dieser Stelle zum Greifen nah.

Doch das ist nur eine Randnotiz in einer Interpretation, die pure Lust am Theater versprüht. Den Rezitativen misst Jacobs zu Recht eine hohe Bedeutung bei und dirigiert sie gleich mit, um die Balance zwischen den Sängern und der Begleitung zu sichern. Was Stefan Mühleisen auf dem Cello und der einfach nur fantastisch spielende Sebastian Wienand am Fortepiano an einfallsreicher Begleitung an den Tag legen, wie sie Worte auffangen und weiterleiten, wie sie Übergänge schaffen – das allein ist den Besuch der Aufführung wert. Selten hat man den Text und die Situation der Rezitative so genau wahrgenommen. Da Pontes Wortwitz – das merkt man an den Reaktionen im Publikum, die auf zwei Leinwänden die immer leicht vorauseilenden Übertitel mitlesen – wird so akzentuiert vorgetragen, dass man jedes Wort zu verstehen scheint, auch wenn man des Italienischen nicht mächtig ist. Jacobs nutzt jede Möglichkeit aus, den Text so authentisch wie möglich auszuschmücken. Da darf Cherubino im vierten Akt, wenn er durch den Garten wandert, nicht nur einfach la la la vor sich hin trällern, sondern mit Begleitung gleich noch einmal seine Canzonetta aus dem zweiten Akt anstimmen. Beide Male ist es ein kleiner Höhepunkt, wenn Anett Fritsch das Voi che sapete so wunderschön gestaltet. Die Sopranistin auf dem Weg zur ganz großen Karriere bewegt sich nicht nur tonal ganz sicher in der Rolle, sondern ist als liebestoller Page Cherubino in ihrer quirligen Umtriebigkeit auf der Bühne weder vom Grafen noch von einem ungeschickt gelegten Stromkabel zu stoppen.

Eigentlich ist der Abend ja als konzertante Aufführung angesagt, doch hier wird teilweise mehr und sinnvoller gespielt als in manch szenischer Umsetzung. Mehr als ein paar Requisiten braucht es nicht, zum Beispiel den berühmten Sessel im ersten Akt, und schon kann der Zuschauer die Handlung nachvollziehen. Und es gibt dieses fantastische Ensemble, das die Oper so lebendig transportiert. Gesungen wird durchweg auf allerhöchstem Niveau, auch wenn darin noch qualitative Unterschiede zu bemerken sind. Neben Anett Fritsch ist zuerst Pietro Spagnoli zu nennen, der als Graf Almaviva immer wieder seine bemüht aristokratische Fassung, nie aber seine stimmliche Beherrschung verliert. Dabei macht Spagnoli gar nicht viel, aber was er macht, passt - wie man so schön sagt – wie die Faust aufs Auge. Stimmliche Mätzchen hat er nicht nötig. Sein Portrait zeichnet sich durch Sauberkeit und Textbehandlung aus, sowie durch eine sichere Technik, so dass selbst der oft geschluderte Koloraturenlauf am Ende von Vedro mentr‘ io sospiro messerscharf gesungen wird. Sophie Karthäuser macht aus der Susanna ein ganz ähnliches Erlebnis – und das nicht nur in einem perfekt vorgetragenen Deh vieni non tardar. Sie bezaubert mit einem schönen, lieblichen Timbre und Spielwitz. Ihr Figaro ist mit Konstantin Wolff sehr passend besetzt, der mit vokaler und körperlicher Präsenz den Möchtegern-Strippenzieher mimt. Sein etwas kehliger Klang trübt seine Leistung im Vergleich zu seinen Kollegen minimal. Rosemary Joshua kann ein etwas zu starkes Flackern des Tones nicht verbergen. Ihre Gräfin verliert aber trotzdem nichts an Einfühlungsvermögen und melancholischer Intensität. Nebenrollen gibt es in dieser Aufführung nicht. Selbst die nur wenig auftretende Lore Binon ist als Barbarina ein wesentlicher Bestandteil des Abends. Dank Isabelle Poulenard nimmt man endlich die Rolle der Marcellina als sehr schön wahr. Sie nutzt die Chance, ihre selten gespielte Arie im vierten Akt bravourös vorzutragen. Auch Thomas Walker darf im vierten Akt die Arie von der Eselshaut singen – zum Glück! Der junge Tenor setzt seine wandlungsfähige, charakterstarke Stimme in gleich in zwei Rollen, Don Basilio und Don Curzio, ein. Auch Marcos Fink in der Doppelrolle Bartolo und Antonio ist ein Komödiant erster Klasse und eine Bereicherung des Ensembles. Eine pure Luxusbesetzung gemessen an seinen wenigen Einsätzen ist der von Winfried Toll und Clemens Fläming einstudierte Chor Camerata Vocale Freiburg. Besser und schöner kann man den Chorpart nicht singen.

Ganz zum Schluss und mit besonderer Heraushebung ist das Freiburger Barockorchester zu nennen, das eine Lehrstunde erteilt, wie spannend man Mozart spielen kann. Es ist schier unglaublich, wie die Musiker aus dem kleinen, schnellen Schlag von René Jacobs diese Akzente herauslesen und umsetzen. Auf jedem Gesicht erkennt man die Freude und Lust an der Arbeit. Da wird – ganz dezent versteht sich – auch mal mit dem Nachbar gefeixt. Dieses Orchester ist nicht nur zum Begleiten da. Es ist das Bühnenbild, das die Sänger umgibt und in dem man sich – falls szenisch notwendig – auch mal verstecken kann. Wozu braucht man einen Garten, wenn man sich unauffällig zwischen die Kontrabässe stellen kann? Es ersetzt die Requisiten, auf die man verzichten kann, weil man ja hört, wie der Schlüssel im Schloss herumgedreht wird. Und es ist vor allem der Motor des Geschehens, eine unglaublich präzise und energiegeladene Maschinerie.

René Jacobs versucht die Aufführung zusammen zu halten, doch nicht jeden Applaus kann er aufhalten. Immer wieder gibt es Zwischenbeifall, nach dem zweiten Akt muss das Ensemble sogar ein zweites Mal auf die Bühne zurückgeschickt werden. Warum einige die Aufführung trotzdem schon in der Pause verlassen, ist nicht verständlich. Vielleicht ist ihnen der Abend mit fast vier Stunden Spieldauer zu lange. Das erinnert an die Anekdote, dass Kaiser Joseph II. über Le nozze di figaro gesagt haben soll, dass die Oper zu viele Noten habe. Worauf Mozarts Antwort gelautet haben soll: „Gerade so viele, wie sie braucht.“ An diesem Abend hätte man sich sogar noch ein paar mehr gewünscht.

Christoph Broermann