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Fakten zur Aufführung 

EUROPERAS 3, 4, 5
(John Cage)
3. Mai 2012
(Premiere)

Acht-Brücken-Festival
im Palladium Köln

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Nach der Premiere

Elena Tzavara als Regisseurin diesmal eher in der Rolle der Überraschten. Das sie sich das gern gefallen lässt, erzählt sie Agnes Beckmann nach der Premiere im Palladium (4'32).

 

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Bis zur Unerträglichkeit

John Cages Europera ist ein aus „European Opera“ zusammengesetztes Kunstwort. Als Basis benutzt Cage das kompositorische Material aus Opern des 18. und 19. Jahrhunderts und dekonstruiert es. Gleichzeitig ehrt er die Oper mit der Erschaffung seines neuen Musiktheaters. Das Klangmaterial, Bruchstücke aus Arien und Orchesterstimmen, besteht aus urheberrechtlich nicht mehr geschützten europäischen Opern. Ein besonderer Clou von Cage ist sicherlich die so genannte Truckera, ein Wort, das aus dem Englischen von Truck, also Lastwagen, abgeleitet ist. Hierbei handelt es sich um eine Tonbandaufnahme von 101 übereinander geschnittenen Opernaufnahmen in sechs Teilen von jeweils 30 Sekunden Dauer, die mehrmals während der Aufführung über Lautsprecher eingespielt wird. Die Bühne ist in 64 Quadrate aufgeteilt, welche das Schema für die Organisation des Bühnenablaufs bilden. Mithilfe eines Zufallsverfahrens wird nicht nur das zum Klingen zu bringende Material ermittelt, sondern auch die Bühnenaktionen – die Positionen der Menschen und Gegenstände – sowie die Zeiten der einzelnen Handlungen. Der Dirigent wird hierbei durch eine Uhr ersetzt.

Europera 3 umfasst 36 Arien, die von sechs Sängerinnen und Sängern nach Belieben ausgewählt werden. Zudem sind 140 Fragmente Lisztscher Opernfantasien vorgegeben, die von zwei Pianisten auf Flügeln gespielt werden. Ein weiterer Bestandteil sind 300 alte Schellackplatten, die von sechs Discjockeys auf zwölf Schallplattenspielern und einem Grammophon abgespielt werden. Das Stück ist sehr komplex und mitunter schwer, fast erdrückend.

Die Europera 4 folgt dem gleichen Prinzip wie Europera 3. Die Opern, so bestimmt Cage, müssen immer zusammen aufgeführt werden. Der vierte Teil ist lediglich reduzierter und leichter, eher an eine Mozartoper angelehnt.

Europera 5 ist die reduzierteste Form. Hier interpretieren zwei Sänger, ein Pianist und ein Grammophon-Spieler jeweils sechs von ihnen ausgewählte Werke der Opernliteratur. Die Pianisten wenden auch das so genannte shadow  playing an. Die Tasten werden nur berührt, es wird kein Ton erzeugt. Das Zufallsprinzip liegt auch dieser Oper zugrunde, die Arien stehen unabhängig nebeneinander.

Die Regie liegt in den Händen von Elena Tzavara. Sie ist zwar diejenige, die alles wissen muss, aber da Cage den Opern das Zufallsprinzip zugrunde legt, nimmt die Regisseurin eher die Beobachterposition ein. Somit ist der Abend auch für sie spannend, wenn nicht sogar überraschend. Tzavara weiß, wann die Sänger ihre Einsätze haben, aber nicht, was jeder singt und auf welcher der 64 Positionen sich die Sänger befinden werden. Erst ist noch alles bunt, und der Zuschauer kann sich der Reizüberflutung nicht erwehren. Die SängerInnen tragen Kostüme, die sie sich selbst ausgesucht haben. Hier ein Wikingerkostüm, dort ein Pharaoninnengewand. Das verbindende Element auf der Bühne sind Lampen, die sich durch die gesamten Opernepochen zu ziehen scheinen. In Europera 4 legt Tzavara das Thema des Sterbens zugrunde. Zwei Hauptdarsteller inszenieren nacheinander immer wieder die großen Operntode. Teil 5 mutet mit einer Tiermaske, die eine der Darstellerinnen fast durchgängig trägt, regelrecht tragisch an. Es ist schwer zu erfassen, ob es hier um Verzweiflung geht, denn die Darstellerinnen verbeugen sich immer wieder pathetisch vor einem unsichtbaren Publikum, oder ob es um etwas ganz anderes geht.

Für die Bühnenausstattung zeichnet Elisabeth Vogetseder verantwortlich. Viele Gegenstände sind bereits von Cage bestimmt, aber die Heliumballons im vierten Teil erzeugen eine angenehme Bühnenatmosphäre. Valentin Gallé ist für das Lichtdesign und Paul Jeukendrup für die Klangregie zuständig. Da viele Komponenten durch Cages Zufallsprinzip vorgegeben sind, gilt es hier vor allem die Durchführung zu beurteilen, und die gelingt den beiden wunderbar.

Die Sänger gehören zum internationalen Opernstudio Köln. Rachel Bate, Ji-Hyun An und Gloria Rehm singen mit reinen, klaren Stimmen die Sopranparts, Sandra Janke verfügt über einen ausgezeichneten Mezzosopran. Gustavo Quaresmas angenehmer Tenor, Sévag Tachdjians voller Bassbariton und Young Doo Parks verführerischer Bass geben den Arien die Stärke und Schönheit, die das Publikum braucht, um nicht nach einem Teil völlig entnervt aus dem Saal zu stürmen. Die Klavierstücke haben Raimund Laufen und Siro Battaglin inne. Erstaunlich, wie die Sänger und Pianisten es schaffen, so autark ihre Stimme zu präsentieren und durchzuhalten. Sie lassen sich trotz zahlreicher gewollter Nebengeräusche nicht beirren oder aus der Ruhe bringen.

John Cage stellt die Zuschauer vor die große Herausforderung, mit dem Geschehen umzugehen. Jeder hört seine eigene Oper, die immer wieder im Stimmengewirr und dem extremen Geräuschpegel untergeht. Einige verlassen nach dem dritten Teil entnervt und mit einem Übermaß an Eindrücken den Raum. Andere sind begeistert und lachen sogar während der Aufführung öfter mal. Insgesamt zeigt sich das Publikum von dieser Unoper, dieser Performance, jedoch erstaunlich begeistert. Es wird im Anschluss noch viel diskutiert, hinterfragt, interpretiert, aber man sehnt auch müde und erschöpft das Bett herbei. Trotzdem, wer die Chance bekommt, diese Oper einmal zu sehen, sollte sie sich auf keinen Fall entgehen lassen.

Agnes Beckmann

 





Fotos: Matthias Baus