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Fakten zur Aufführung 

DRAKULA - EIN VAMPIRISTISCHES NACHTPROGRAMM
(Georg Leisse)
9. November 2012
(Premiere am 31. Mai 2009)

Literaturoper Köln, Rechtsmedizin


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Bissiger Witz

Es ist ein ungewöhnlicher und zugleich spannender Einstieg in einen Liederabend, der thematisch so kurz nach Halloween besonders in den dunklen Monat November passt. Die zahlreichen Zuschauer versammeln sich am Eingang des Instituts für Rechtsmedizin, wo man als Eintrittskarte einen leeren Bluttransfusionsbeutel in die Hand gedrückt bekommt. Sofort wird gemunkelt, ob man diesen wohl füllen müsse, um eingelassen zu werden. Geschlossen wird das Publikum am angrenzenden Melaten-Friedhof vorbei durch den Seziersaal in den Hörsaal geleitet, in dem sonst Medizinstudenten die Anatomie des menschlichen Körpers studieren. Aufgeregt schnatternd marschiert der Pulk von Zuschauern also los, bereit sich gruseln zu lassen. Im scharf nach Alkohol und Desinfektionsmittel riechenden Seziersaal muss man an den Sektionstischen vorbeigehen, wo auf dem Boden zwei junge Frauen hocken, die sich später als die Sängerinnen herausstellen. Eine kehrt mit langsamen Bewegungen auf dem Boden verteilte schwarz-weiße Fotos auf ein Kehrblech, die andere scheint ihre Arme in einem Eimer zu säubern. Beide haben ein Mal am Hals. Die symbolischen Handlungen lassen bereits erahnen, dass man keinen gewöhnlichen Liederabend erwarten kann. Schon einmal hat die Literaturoper Köln mit Frankenstein in der Rechtsmedizin gastiert; diesmal lädt das Festival Musik in den Häusern der Stadt als Veranstalter in die außergewöhnliche Location. Bevor der musikalische Teil beginnt, gibt es eine kurze Einführung von Veranstalter Alexander Pagnia und Institutsleiter Markus Rothschild, dessen dezenter Hinweis auf eine lebensrettende Blutspende mit Humor aufgenommen wird.

Die Romanadaption von Bram Stokers Drakula durch Regisseur Andreas Durban erfolgt anders als erwartet. Statt Klischees wie Sarg, Fledermaus und Blut abzuhandeln, steht nur ein Teil des Romans im Zentrum und zwar der Briefwechsel zwischen Lucy Westenraa und Mina Murray und den Tagebucheinträgen von Arthur Holmwood, dem Verlobten Lucys. Die Teile werden meist monologisch dem Publikum zugewandt vorgetragen, eine szenische Handlung gibt es kaum. Das erschwert den Einstieg für Leute, die mit der Nebengeschichte des Romans nicht vertraut sind. Die in den Tagebucheinträgen und Briefen sich langsam entspinnende Geschichte einer jungen kranken Frau und der Suche nach der Ursache ihres rätselhaften Leidens wird von stimmungsvoller Musik aufmerksam gespielt von Georg Leisse und auch in krassem Gegensatz klingenden Chansons und Liedern von verschiedensten Komponisten untermalt und unterbrochen: da kommt schon mal das launige Chanson von Friedrich Hollaender Ich bin dein Nachtgespenst“ nach verklärt-schweren Liebesliedern von Schönberg oder Hindemith. Die Musikauswahl scheint ebenfalls unerwartet, fügt sich aber nach und nach der Intention des Regisseurs Durban, Momente und Gefühle einer Traumwelt zu betonen. Anfangs sind die musikalischen Teile teilweise mit gesprochenem Text parallel, was schade ist, da man so weder der Musik noch dem Text die volle Aufmerksamkeit schenken kann. Die Bühne, ebenso wie die Kostüme von Jana Denhoven gestaltet, muss sich auf den kleinen Raum vor den Sitzen konzentrieren. Das schäbige Mobiliar scheint den 1970er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts entsprungen zu sein; Lampen, ein altes Fernsehgerät und Stühle erschaffen eine beklemmende Wohnzimmeratmosphäre. Durban nutzt zusätzlich die riesige Leinwand des Hörsaals als Interpretationsfläche und unterstützt die sonst eher kalte Atmosphäre des Hörsaals mit stimmungsvollen und mitunter ekeligen Videosequenzen vom saugenden Schmetterling bis zu vergammelten menschlichen Zähnen. Die bewusst altbackenen Kostüme mit viel Lippenstift und Klimbim passen nicht so gut zu den sehr jungen Darstellern, dienen aber sonst dem Zweck, vergangene Zeiten aufleben zu lassen.

Dass ein ungewöhnlicher Aufführungsort auch Nachteile haben kann, stellt sich an diesem Abend leider ein: Der Hörsaal verspricht zwar die richtige Atmosphäre, ist aber für musikalische Abende nicht uneingeschränkt geeignet, da man das leiseste Geräusch mehrfach verstärkt wahrnimmt. Leider stören so das rein und raus einiger Leute, ein wirklich hartnäckiger Huster und ein zu laut gestelltes Hörgerät, das bei hohen Frequenzen quietschende Töne von sich gibt. Unter diesen Umständen ist den Sängerdarstellern, die allesamt von der Hochschule für Musik und Tanz kommen, ihre vollkommene Ruhe und beeindruckende Textsicherheit zugute zu halten. Auch in den störendsten Momenten lassen sie sich nicht aus der Fassung bringen.

Besonders gefällt die Stimme der Mezzosopranistin Sibylla Müller, die erstaunlich reif und voluminös den Hörsaal zu füllen vermag. Christine Léa Meiers Sopran gerät zum Teil etwas schneidend, was aber gut zum launigen und aufgekratzten Charakter ihrer Partie passt. Sie gestaltet die Partie der somnambulen Lucie mit mehr Witz als erwartet und beeindruckt mit nahezu perfekter Diktion im gesprochenen Text. Je länger der Abend, desto größer wird der Respekt vor dem Lernaufwand, den die drei jungen Sänger zu bestreiten hatten. Alexander Schmidt überzeugt vor allem durch seine Ausstrahlung und sein darstellerisches Talent, das Facetten von kühl bis innig umfasst. Sein Bariton ist sehr weich, man könnte sich hier noch ein paar tragende Ecken und Kanten wünschen.

Die ausverkaufte Veranstaltung kommt gut beim Publikum an, man ist froh, noch eine Karte für diesen außergewöhnlichen Abend ergattert zu haben. Einige Nachzügler müssen auf der Treppe des Hörsaals ihren Platz finden, was ironischerweise gut zum universitären Schauplatz passt, an dem das keine Seltenheit ist. Das Publikum zeigt sich nach Ende sehr angetan von der Leistung der jungen Sängerdarsteller und applaudiert langanhaltend. Zum Feiern dieses kurzweiligen Abends laden die Gastgeber noch zu einem Fässchen Kölsch.

Miriam Rosenbohm

Foto 1: Opernnetz
Fotos 2-5: Horst Helmut Schmeck