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Fakten zur Aufführung 

DER DIKTATOR; SCHWERGEWICHT ODER DIE EHRE DER NATION; DAS GEHEIME KÖNIGREICH
(Ernst Krenek)
31. Januar 2014
(Premiere)

Hochschule für Musik und Tanz Köln

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Jokers Umtriebe

Einakter-Zusammenstellungen kennt man vielleicht von Puccinis Il Trittico, das drei kleine Opern des Verismo vereint und gerade in den letzten Jahren oft als abendfüllendes Programm gegeben wird. An diese Idee knüpft auch Ernst Krenek mit seinem Triptychon an, das eher selten zur Aufführung kommt. Dabei holte kein Geringerer als Viktor Klemperer das Triptychon an die berüchtigte Krolloper nach Berlin. Umso interessanter ist deswegen das Projekt der Hochschule für Musik und Tanz. Die drei kleinen Opern bieten doppelt besetzt möglichst vielen Studenten die Möglichkeit, ihr Können zu präsentieren und sich auf der Bühne des Konzertsaals auszuprobieren. Auf den ersten Blick wirken die Opern sehr unterschiedlich. Doch hat Krenek sie nicht ohne Grund zusammengestellt – da ist natürlich die musikalische Sprache und auch ein auf den ersten Blich nicht unbedingt erkennbarer inhaltlicher Zusammenhang, der auch auf Kontraste setzt. Gerade die beiden kurzen Stücke bilden einen Gegenpol, der sich auch auf der Gattungsebene abspielt, die Märchenoper ist eine auf die Oper selber persiflierende Groteske.

1926/27 komponiert Krenek den ersten Einakter Der Diktator. Der Diktator plant in einem Sanatorium bereits den nächsten Krieg, wovon ihn seine Ehefrau Charlotte abzuhalten versucht. Er wirft ein Auge auf die schöne Maria, deren Mann im Kriegseinsatz erblindet ist und sich ebenfalls im Sanatorium erholen soll. Maria hasst den Machthaber wegen seiner Kriegstreiberei inbrünstig und schwört ihrem Mann, ihn als Verantwortlichen aus Rache zu töten. Beobachtet von des Diktators versteckter Frau, bedroht sie ihn mit einer Waffe, erliegt aber dem Charme ihres geplanten Opfers, das es schafft, sie mit Worten einzuwickeln. Voller Wut will Charlotte, die alles mit angehört hat, ihren Mann erschießen, trifft aber die den Diktator schützende Maria. Der blinde Offizier hat den Schuss gehört und sucht seine Frau, ohne ihre Leiche zu sehen: „Maria, hast du’s getan? Maria, ich habe Angst!“ Sinnfällig lässt Regisseur Igor Folwill zunächst die sich drehende Weltkugel – wahrscheinlich als Symbol für den kriegerischen Machthunger – auf eine Scheibe auf der Bühne projizieren, während an die Wand des Konzertsaals die Schweizer Idylle des Sanatoriums mit malerisch-kitschigen Bildern vom Züricher See geworfen wird. Später werden schwarz-weiße Kriegsszenen gezeigt, die neben Bomben auch gestikulierende Hände eines Redners zeigen, der zeitgleich mit dem Diktator auf der Bühne seine Faust reckt und die Arme hochreißt. Auch die Kleidung lässt das frühe 20. Jahrhundert vermuten, während die Uniformen nicht zugeordnet werden können. Parallelen zur nationalsozialistischen Diktatur zu ziehen, bietet dieses im Hinblick auf die geschichtlichen Ereignisse prophetische Sujet an, wobei Krenek wohl bei seiner Komposition 1926 konkret eher an den Ersten Weltkrieg und den Typus des Diktators an sich gedacht hat. Tyrannei und Krieg sind fast so alt wie die Menschheit selber, sein Diktator ist ein allgemeiner Vertreter seiner Spezies und ein mahnendes und nachdenkliches Werk über die Schattenseiten der Menschlichkeit mit einem gehörigen Pfiff Sarkasmus. Ein riesiger Schreibtisch, hinter dem man fast verschwindet, zeichnet den Diktator in dieser Inszenierung als Schreibtischtäter aus. Auf ihm versucht er auch, Maria zu verführen, und auf ihm findet sie ihren Tod. Leider gerät der Schuss so laut, dass das Publikum nicht nur zusammenzuckt, sondern danach erst mal eine Minute ein Klingeln in den Ohren hat. Der Einstieg in den Opernabend ist mit einer sonst aber unaufgeregten, einfach gehaltenen Inszenierung gelungen.

Den inhaltlichen und musikalischen Gegenpol hat Krenek mit der „burlesken Operette“ Schwergewicht oder Die Ehre der Nation geschaffen, als Reaktion auf die laut Komponist „empörende offizielle Behauptung eines Diplomaten, irgendein Kanalschwimmer oder anderer Nationalheros habe für die Weltgeltung des deutschen Namens mehr getan als alle Künstler und Gelehrten“. Die mit sprechenden Namen ausgestatteten Figuren bewegen sich in einem musikalisch auf die Operette und durch den schnellen Szenenwechsel auf den Film rekurrierenden, karikaturesken Raum. An diesem Beispiel kann man festmachen, dass gerade das lustige Sujet am schwierigsten zu inszenieren ist. Leider ist das Ergebnis szenisch verheerend. Da man vom Text fast nichts versteht, geraten die Aktionen auf der Bühne unverständlich bis platt. Aber weil die Darsteller dem Großteil des Publikums persönlich bekannt sind, wird trotzdem viel gelacht. Meisterboxer Ochsenschwanz ist eifersüchtig auf den Tanzlehrer Gaston, der mit seiner Frau Tanzen, hier den „Gangnam-Style“, übt. Er erwischt sie beim heimlichen Kuss und zerstört einen Tisch und seinen Trainingsapparat. Die beiden machen sich über den dummen Boxer lustig, und Evelyne simuliert einen Ohnmachtsanfall, während Gaston sich ins Nebenzimmer rettet, und der Boxer seine Frau in ein Zimmer, hier ein Dixi-Klo, einsperrt. Währenddessen schleicht sich die naive Medizinstudentin Anna-Maria Himmelhuber in den Trainingssaal, um ein Autogramm zu bekommen, versteckt sich aber unter einem Tisch, wird entdeckt und lässt sich als neues Trainingsgerät umfunktionieren, an dem der Boxer ihrem Vater sein Können beweist, bis dieser seine Tochter erkennt, die inzwischen vor lauter Seligkeit und seinen Schlägen k.o. ist. Ochsenschwanz, der des Ehebruchs und der Schändung einer Minderjährigen denunziert wird, will sich auf seinem Trainingsapparat abreagieren, der vom listigen Gaston aber an den Strom angeschlossen wurde und somit nicht mehr zu stoppen ist. Szenisch versucht Folwill hier, dem Komischen mit Unsäglichkeiten wie angedeutetes Kopulieren und plattem Fäkal-Humor beizukommen. Der Trainingssaal ist mit Crosstrainer und allerlei Trainingsgeräten zwar passend dekoriert, bricht aber mit dem Dixi-Klo diese Linie. Dass der Boxer ein aufblasbares Muskelpaket anhat, trägt auch nicht gerade zur Komik bei. Die jungen Sänger geben aber alles und schaffen es, zumindest musikalisch die Kurve zu kriegen.

Nach der Pause steht der längste und heute gelungenste der drei Einakter auf dem Plan. Das geheime Königreich ist eine Märchenoper, in der Krenek an große musikalische wie literarische Traditionen und Gattungen anknüpft und diese satirisch-grotesk verarbeitet. Nicht nur Anleihen aus Shakespeares König Lear, sondern auch aus Goethes Triumph der Empfindsamkeit und zahlreichen Opern, natürlich auch der Zauberflöte, machen den Einakter zu einem auf sich selbst reflektierenden, poetologischen Stück. Der König zweifelt an sich und seiner Macht und übergibt die Krone seinem Narren. Die dekadente Königin begehrt ebenfalls die Krone und listet sie ihm mit Hilfe ihrer drei Damen ab. Weil die Königin Gefallen an einem inhaftierten Rebellen findet, lässt sie ihn frei. Der verlangt aber ebenfalls die Krone, um sie dem Volk zu übergeben. Sie kann ihn nur durch ihren verführerischen Körper davon abhalten, sie zu töten. Als er über sie herfallen will, verwandelt sie sich in einen Baum und hält mit ihrer Stimme den König vom Freitod ab. Dieser erkennt die wahre Schönheit seines Reiches. Zum Ende wendet sich der Narr in einem Epilog ans Publikum. Folwill greift die Groteske für seine Interpretation auf und integriert diese zusammen mit den tollen Kostümen und der funktionalen Bühne in ein stimmiges Bild. Besonders die Kostüme von Angela C. Schuett, die wundersame Elemente aus Alice im Wunderland, barocke Anklänge à la Marie-Antoinette und Karnevaleskes vereinen, sind gelungen, bieten sie nicht zuletzt den Sängern kreative Möglichkeiten, mit den Kostümen und Accessoires zu spielen. Zum Beispiel lassen die übergroßen Schuhe des Königs vielfältige Deutungsmöglichkeiten zu, wie die Schwere der Königsbürde, über den Narren in ihm selber. Die Beleuchtung, eingerichtet von Thomas Vervoorts, taucht die vorher karge Bühne in buntes Licht und unterstreicht damit das Märchenhafte. Der Zauberwald ist hier eine Unterwasserwelt. Ein Video von sich in der Strömung wiegenden Korallen verortet das Geschehen problemlos. Gelungen ist auch die Übertragung des Gesichts der Königin auf die Scheibe, statt sie als Baum auftreten zu lassen. Einzig allein der Auftritt der beiden echten Tanzmariechen macht keinen Sinn. Hübsch anzusehen und Beine schwingend, sind sie eher ablenkendes als gewinnbringendes Element. Der Narr, der hier wie der Joker aus Batman geschminkt auftritt, ist das verbindende Element der Regie, taucht er doch bereits in den ersten beiden Einaktern als stumme Rolle auf. Diese Interpretation ist zwar etwas gewollt, kann aber mit dem Schlussepilog auf die Fiktionalität der Oper selber hindeuten. Das Regieteam um Folwill mit Detlev Beaujean als Bühnenbildner, dessen Kulisse aus Sperrholz und Folie beeindruckt, und Angela C. Schuett für die Kostüme, hat eine für die Studenten vielseitige Umgebung geschaffen, die besonders in der letzten und längsten Oper funktioniert.

Ein großes Manko ist die akustische Möglichkeit im Konzertsaal, in dem das Orchester vor der Bühne nur etwas vertieft sitzt. Auch das energische Dirigat von Stephan E. Wehr kann das Orchester der Hochschule nicht vom Egotrip des Einzelnen runter kriegen. So bleibt den armen Sängern nichts anderes übrig, als zu schreien oder im Tumult unterzugehen. Zwar wird Kreneks Musik diffizil und besonders im Blech und von den Streichern klangschön angegangen, doch stören die Holzbläser mit tonaler Unstimmmigkeit und der Einstellung: Je lauter, desto besser. Sehr schade für die Sänger, deren sehr gute Leistung nur zum Teil beim Publikum ankommt. Zunächst positiv genannt werden kann Tina Stegemann mit ihrem ausgereift vollen, ja fast schweren Sopran und darstellerischer Glaubwürdigkeit als Maria, während sie als Evelyne in der Burleske sowohl stimmlich als auch darstellerisch eine leichtere Seite zeigen kann. Die Textverständlichkeit gelingt ihr sehr gut, was bei fehlenden Übertiteln und dem lauten Orchester von großer Wichtigkeit ist. Auch Christoph Bier kann einen schönen Bariton mit fast tenoraler Höhe zeigen und bleibt in der nicht einfachen Darstellung des Diktators konzentriert. Als König kann er dann noch mal beweisen, dass er das Potenzial als Bühnendarsteller und Sänger mitbringt. Kyu Hyun Lee zeigt als erblindeter Offizier einen verständlichen und hellen, flexiblen Tenor. Leider geht im zweiten Stück die Textverständlichkeit auch aufgrund schlechter Aussprache fast komplett verloren, es bleibt sein agiles Auftreten und sein selbstironischer Auftritt als Psy, dem koreanischen Superstar und Interpret des Gangnam-Style. Larisa Vasyukina überzeugt als Charlotte im Diktator mit flatterhaftem Sopran und Unverständlichkeit noch nicht so recht, ist aber als Königin mit klaren Koloraturen und darstellerischer Größe eine Idealbesetzung. Lukas Singer gibt einen gesanglich präsenten Meisterboxer und kann sich trotz der lächerlichen Kostümierung würdevoll zum Narren machen. Anne Heffner bekommt als verpeilte Medizinstudentin nicht nur aufgrund ihrer überzogen-naiven Darstellung, sondern auch für ihren schönen Mezzosopran und ihre im Schwergewicht mit Abstand beste Artikulation viel Applaus. Aufhorchen lässt der durchsetzungsstarke und dennoch leichte Tenor von Vives Carles Prat, der den schwermütig-virilen Rebellen nicht nur singt, sondern ihn durchlebt. Die drei Damen, die spielfreudig die Königin umtänzeln, werten die Ensembleszenen auch gesanglich auf. Hier können neben wieder Tina Stegemann Ceren Gülcelik und Maarja Purga überzeugen. Der Narr, der heute Abend verbindendes Element ist, wird charakterstark und süffisant von Frederik Schauhoff gegeben, etwas weniger Vibrato würde aber seiner an sich sehr präsenten Stimme gut tun. Das kann seine tolle Leistung aber kaum schmälern.

Der nicht ganz ausverkaufte Saal bejubelt Sänger, Orchester und Team uneingeschränkt herzlich. Die drei seltenen Opern garantieren sowohl musikalisch als auch darstellerisch einen kurzweiligen und sehenswerten Abend.

Miriam Rosenbohm





Fotos: Horst Schmeck