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Fakten zur Aufführung 

COSÌ FAN TUTTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)
27. November 2012
(Premiere am 24. November 2012)

Oper Köln, Palladium


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Überbordende Spielfreude

Wenn man nach einer mehr als dreistündigen Oper von einem kurzweiligen Abend spricht, meint man wahrscheinlich eine Inszenierung von Tatjana Gürbaca. Und wenn es sich dabei um eine Inszenierung handelt, die bereits vor sechs Jahren in Luzern Erfolge feierte, und die heute frisch rüberkommt wie am ersten Tag, dann handelt es sich ganz sicher um die Così fan tutte der gebürtigen Berlinerin. Ein Spitzenensemble in überbordender Spielfreude und ein sehr gut aufgelegter Konrad Junghänel am Pult vervollständigen die Zutaten für einen umwerfenden Abend.

Allmählich gewöhnt man sich an den Minimalismus mit dem Charakter einer Studiobühne im Palladium. Ingrid Erb stellt drei Papierwände auf die Bühne, auf deren Rückwand flotte Sinnsprüche projiziert werden, und setzt sparsam die Requisiten ein. Die Sängerdarsteller steckt sie wahlweise in helle Anzüge oder Overalls, die sie als Soldaten kenntlich machen sollen, Fiordiligi und Dorabella tragen Variationen in weiß, und Despina trägt ihre Verwandlungskostüme als Dienerin, Arzt und Notar. Der Chor tritt mal als „Blaue Funken“, mal in barocken Fantasiekostümen an. Don Alfonso zeigt sich so gekleidet, wie man es von einem Alltagsphilosophen erwartet. Andreas Grüter hat in der Zusammenarbeit mit der Regisseurin seinen Einfallsreichtum wiederentdeckt. Sein Licht ist einfalls- und abwechslungsreich, stimmungsvoll und bis auf einen kleinen Bruch im zweiten Akt passgenau auf Gürbacas Absichten abgestimmt.

Exakt da liegt eines der Geheimnisse, die die Faszination von Tatjana Gürbacas Inszenierung ausmachen: Sie findet die Verbindung vom Barock zur Gegenwart. Für den, der seine Leidenschaften unterdrückt, wird Treue immer nur ein Korsett, eine Zwanghaftigkeit, eine Neurose bleiben. Das gilt damals wie heute. Was heute fehlt, ist die Feinfühligkeit, das Spielerische, das Gürbaca mit exzellentem Gespür wieder aufleben lässt. Dass sie dabei nicht einen Moment lang das Libretto aus den Augen lässt, schafft Authentizität, überträgt die da-Ponte-Komik, ohne auch nur eine Sekunde in Albernheiten abzugleiten. Das ist wohltuend und erfrischend. Dabei mutet die Regisseurin ihrem Ensemble alles zu. Hier hat sich jeder zu verausgaben. Und das bitte schön in einer Natürlichkeit, die man sonst nur noch in guten Filmen findet. Quirliges Umeinandertreiben ist Trumpf, ohne sich in übertriebenem Aktionismus zu verlieren.

Das Ensemble dankt mit Perfektion. Allen voran kann Carlo Lepore als Don Alfonso alle Facetten seiner Rolle ausloten. Souverän arbeitet der Bass sich durch die Gefühlsebenen, immer glaubwürdig, moderierend und versöhnlich. Don Alfonso gehört vielleicht zum Schwierigsten, was das Bühnenfach für den Bass zu bieten hat. Lepore meistert das mit Leichtigkeit. Chapeau! Sabina Cvilak als Fiordiligi und Katrin Wundsam in der Rolle der Dorabella singen begeisternd, vor allem, weil sie sich trauen, die Künstlichkeit der Perfektion gegen Glaubwürdigkeit und Akzentuierung einzutauschen. Despina, die gerade in der Arztrolle gerne in Slapstick-Manier präsentiert wird, erlebt in der Darstellung von Claudia Rohrbach nicht nur sängerisch eine neue Klasse, sondern vor allem in der richtigen Mischung aus Humor und Intelligenz eine absolut überzeugende Figur. Tenor Matthias Klink leiht Ferrando eine Stimme, die von leidenschaftlich über einfühlsam bis kämpferisch reicht. Schauspielerisch lässt er Miljenko Turk hinter sich, der hin und wieder ein wenig verloren herumsteht und seine Sternstunde erst erlebt, wenn er als Guglielmo als Lauscher an der Wand mit der Wahrheit umgehen muss. Stimmlich rutscht sein Parlando gefährlich oft an die Sprechgrenze, und sein Italienisch ist durchaus verbesserungswürdig.

Der Chor wirkt in seinen kurzen Auftritten nicht ganz durchchoreografiert, ist aber von Andrew Ollivant wieder in wundervoll präziser Weise eingestellt und trägt mit kräftigem Schmiss zur Lebendigkeit der Aufführung bei.

Konrad Junghänel kann nach der Aufführung wieder herzhaft strahlen. Er hat das Gürzenich-Orchester in gewohnter Meisterschaft mit Verve durch die Partitur geführt. Sensible Gesten wechseln sich mit stringenter Führung und charismatischer Leidenschaft ab. Der feinziselierten Musik von Mozart gewinnt er jedenfalls alles ab, wonach andere Dirigenten noch suchen. Junghänel setzt Akzente, traut sich eine eigene Lesart zu, die auf die Solisten Rücksicht nimmt und das Publikum begeistert.

Das „kleine Palladium“ ist bis auf wenige Plätze besetzt. Erfreulich: Gefühlte 30 Prozent der Besucher sind Schülerinnen und Schüler. Das ist vor allem dann großartig, wenn sie sich nach der Aufführung in intensiven Deutungsversuchen ergehen. Das ist hier nicht irgendein Event, sondern etwas Besonderes, mit dem man sich nicht nur vorgegeben im Unterricht auseinandersetzen muss, sondern das unter die Haut gegangen ist. Das hat ja das Publikum auch mit seinem frenetischen Applaus bekundet. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, heißt es im Volksmund. Aber es ist die schönste Schwalbe, die an diesem Abend in Köln weit und breit zu sehen ist.

Michael S. Zerban

Fotos: Paul Leclaire