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Fakten zur Aufführung 

LA CLEMENZA DI TITO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
23. Oktober 2011
(Premiere am 9. Oktober 2011)

Oper Köln im Oberlandesgericht


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Nach der Aufführung


Uwe Laufenberg, Intendant der Kölner Oper, hat La Clemenza di Tito im Oberlandesgericht Köln inszeniert - und neuerlich einen großen Erfolg erzielt (4'37).


 

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Kathedrale des Rechts

Es zählt zu den architektonischen Schätzen Kölns: das 1911 im neubarocken Stil fertig gestellte Oberlandesgericht am Reichenspergerplatz. Heinrich Böll nannte es das „große Schloss im Kölner Norden“. Risalite und Portale des Gebäudes sind üppig mit barocken Schmuckelementen ausgestattet. Im Zentrum des Gebäudes ein Treppenaufgang mit einer lichtdurchfluteten Kuppel und Treppen, die in alle vier Himmelsrichtungen in das viergeschossige Haus führen. Das Haus atmet den Zeitgeist seiner Entstehung. Hier scheint statt der Kaltherzigkeit kapitalistisch orientierter Rechtsprechung noch eher Gnade vor Recht zu ergehen. In diesen Rahmen verlegt Intendant Uwe Eric Laufenberg seine Inszenierung von der Milde des Titus.

Die akustischen, organisatorischen und technischen Herausforderungen sind gewaltig. Aber das Team um Laufenberg und den musikalischen Leiter Konrad Junghänel findet überwältigende Lösungen, um das Publikum mit der Frage zu konfrontieren, ob nun Recht, Gerechtigkeit oder Menschlichkeit die bessere Lösung ist. Eine Antwort gibt es nicht. Die müssen Zuschauerinnen und Zuschauer im Spannungsfeld der Umgebung und der Entscheidung Titus‘ selber finden.

Tobias Hoheisel sieht zwar das Zentrum seiner Bühne eindeutig im Podest und den abgehenden Treppenstufen, bezieht aber auch die Galerien als wechselnde Standorte mit ein. Im Übrigen frönt er dem Minimalismus. Seine Ausstattung: acht Olivenbäumchen, ein Teppich, ein Paar Handschellen, ein Glas und ein Haufen Papier. Ansonsten wirkt die Architektur in der überragenden und immer wieder überraschend eindrucksvollen Lichtgestaltung von Nicol Hungsberg. Von der ersten Sekunde an ist das ohnehin schon gespannte Publikum in Bann geschlagen. Da strömen die Bediensteten des Oberlandesgerichts frühmorgens zur Arbeit – die Kostüme von Antje Sternberg lassen keinen anderen Schluss zu und sind gleichsam kongenial natürlich-spießig. Einzig Titus, Vitellia und Servilia weichen von der scheinbaren Uniformität ab.

Im Moment, in dem erstmals Franziska Gottwald die Stimme des Sextus anhebt und damit den Reigen eröffnet, erschauern die Hörer, und es beginnt der Traum von der Milde und Zerrissenheit einer anderen Welt. Sängerinnen und Sänger, nur unwesentlich geschminkt, entblößen sich, enthüllen ihre stimmlichen Seelen, verausgaben sich, ohne ihre Grenzen zu erreichen. Hier, in dieser Akustik einer Kathedrale, scheinen sie wie befreit, wie losgelassen, aller irdischen Stimmgesetze  enthoben. Die unglaublichen stimmlichen Anforderungen Mozarts werden hier in einer Reinheit und Natürlichkeit, in Klarheit und Selbstbewusstsein bewältigt, dass die blonde Besucherin im Parkett sich noch am nächsten Tag in Grund und Boden schämen sollte, diesen Klang mit ihrer Quasselei gestört zu haben. Es gibt an diesem Abend keine Superlative – sie werden alle noch übertroffen. Die Gottwald hält über die gesamte Distanz allen Anforderungen stand und spielt dabei mit einer Natürlichkeit, als bewege sie sich durch ihr eigenes Wohnzimmer. Unbedingter Höhepunkt wird das „Duett“ mit Klarinettenspieler Sam Gaddala Hairham. Begnadet Adina Aaron als Vitellia: Noch aus den höchsten Tönen kehrt sie weich wie Flaum wieder in die Mittellage zurück. Die Bewegungsarmut der Rolle gleicht sie mit weisender Mimik aus. Man kann es nicht anders sagen: Kolossal beeindruckend die Leistung von Rainer Trost, der in stimmlicher Varianz, im Spiel ohne pathetische Übertreibung – dazu lädt der Titus doch geradezu ein – die ganze Zerrissenheit, den Weltschmerz, das Verzagen des Monarchen widerspiegelt. Anna Palimina glänzend in der Rolle der Servilia, Adriana Bastidas Gambos als grandioser Annio und Marias Tosi, der den Publio als unerbittlichen Erfüllungsgehilfen verkörpert, geben alles, auf den Punkt. Es gibt für einen Regisseur vielleicht nichts Schwierigeres als ein bewegungsarmes Stück. Laufenberg zaubert, macht aus dem Stellungsspiel eine einzige fließende Bewegung.

Auch der Chor strömt auf das Podest, wirkt etwas unsicher in der darstellerischen Herausforderung, gleicht aber – unter der gewohnt präzisen Einstudierung eines Andrew Ollivant – musikalisch sofort wieder aus.

Musikalisch, sprich: akustisch, ist das großartige Gebäude eigentlich nicht bespielbar. Um es flapsig, aber vollkommen treffend auszudrücken: Superstar Junghänel wächst über sich selbst hinaus. Von der Galerie der ersten Etage aus kann er die Solisten nicht hören, die Choristen nur vermutend orten – eigentlich ist er mit dem Gürzenich-Orchester, inzwischen als Team zusammengeschweißt, auf ziemlich verlorenem Posten. Aber was interessiert das einen Junghänel? Gar nicht. Er vertraut auf seine Musiker, weiß, dass Theresia Renelt das Hammerklavier vollkommen außerhalb seines Gesichtsfeldes mit wunderbarer Leichtigkeit, immer unterstützend, nie dominierend spielt. Nicht umsonst zählt die Renelt zu den heimlichen Stars der Oper Köln, zu denen, die üblicherweise vollkommen unauffällig, aber mit brillanter Gelassenheit zum Gelingen eines Werks beitragen.  Schön, dass sie uns hier Gelegenheit gibt, ihre Leistung zu würdigen. Auch das Orchester ordnet sich dem unglaublichen Klang der Stimmen unter, unterstützt, statt zu würgen, gibt den Solisten die ganze Leichtigkeit Mozartscher Musik als Leitfaden. Mit einem Wort: Chapeau!

Der Schlussakkord ertönt, mit zwingender Konsequenz sinkt Vitellia tot zu Boden. Da hält das Publikum nichts mehr auf den Stühlen. Es muss besser sein als ein Mozart in Wien. Befreit von Schmäh, immer noch die Gänsehaut auf dem Rücken, reißt es das Publikum hoch. Die Bravo-Rufe, insbesondere für Junghänel, Gottwald und Aaron wollen kein Ende nehmen.

Laufenberg, der auch schon mal an der Kasse aushilft, Laufenberg, der Hemdsärmelige – im Oberlandesgericht zu Köln hat er wieder einmal gezeigt, warum es Regietheater gibt, und warum er Intendant ist: Die Regie unterstreicht die Gesamtleistung, die Regie schwört das Team aufeinander ein, weil es im Zusammenspiel keine Sonderrollen gibt. Und wenn so einer wie Laufenberg auf einen wie Junghänel trifft, kann nur eines dabei herauskommen: Ein großartiger Abend.

Michael S. Zerban






 
Fotos (außer 1 A. Türpe): Paul Leclaire