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Fakten zur Aufführung 

ARTASERSE
(Leonardo Vinci)
9. März 2014
(Premiere am 17.12.2012)

Oper Köln, Oper am Dom


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Gipfeltreffen der Counter-Stars

Countertenöre trifft man heute nicht mehr selten auf der Bühne. Doch gleich fünf auf einmal vereint in einer Oper? Das Libretto zu Artaserse stammt vom Meister Metastasio und wurde dementsprechend oft vertont. Die erste Komposition von Leonardo Vinci wurde 1730 in Rom uraufgeführt. Da Frauen in Rom damals nicht auf der Bühne singen durften, wurden neben den Heldenpartien auch die weiblichen Partien von Kastraten interpretiert. An diese Tradition knüpft auch dieses Projekt an, das traditionell alle Partien mit männlichen Sängern und in Ermangelung von Kastraten auf das ihnen am nächsten kommende Gesangsfach, den Countertenor, zurückgreift. Und wenn dann noch einige der bedeutendsten Vertreter dieses Fachs zusammen auf der Bühne stehen, ist ein großartiger Abend fast schon garantiert.

Etwas im Widerspruch steht dazu der Veranstaltungsort in der Oper am Dom. Das Musicalzelt bietet zwar ausreichend Platz und eine angenehme Lokalität in zentraler Lage, ist aber gerade für konzertante Opern nicht gedacht. In der Vergangenheit konnte man mit dem Orchester im Graben vielleicht noch darüber hinwegsehen, doch am heutigen Abend wird einem die schlechte, einfach zu trockene Akustik schmerzlich bewusst. Der Klang des außergewöhnlichen Orchesters wie der Sänger gerät sehr leise, zum Glück ist das menschliche Ohr ein sensibles, feines Instrument und man kann sich im Laufe des Abends etwas daran gewöhnen. Trotzdem bleibt der Gedanke, wie es wohl geklungen hätte, befände man sich in der Philharmonie. Doch die Künstler trösten zum Glück mit ihrer Leistung darüber hinweg.

Wenn Diego Fasolis am Pult steht, könnte man meinen, er leite eine avantgardistische Rock-Band und kein Barockorchester. Auf seiner polierten Glatze spiegelt sich das Scheinwerferlicht wie ein Heiligenschein, während er die Musiker des Concerto Köln tanzend animiert und in die Tasten seines Basso Continuo haut, als sei es ein Keyboard, dabei in die Knie geht und kurz darauf seitlich auf das Orchester zuspringt, das prompt reagiert. Heute wird man wieder einmal Zeuge einer gewachsenen und funktionierenden Zusammenarbeit – so muss es sein. Zudem ist das Publikum bei einer konzertanten Aufführung für jede Art von Entertainment dankbar. Da sind Fasolis und seine Musiker am heutigen Abend die Stars und glücklicherweise auf der mit Orgelpfeifen dekorierten Bühne platziert. Wunderbar auch die beiden Cellisten, Jan Kunkel und Leonhard Bartussek, die mehrmals ein verschwörerisches Grinsen austauschen, um dann gemeinsam mit dem Instrument und ihrem Körper „abzurocken“. Dabei helfen die treibenden Rhythmen Vincis, die so manchen im Publikum auf dem Platz zucken lassen.

Dass mit der gebotenen Besetzung nicht viel schief gehen kann, versteht sich fast von selbst. Trotz der widrigen Akustik lassen die Sänger niemanden unberührt. Valer Sabadus beispielsweise ist einer der Publikumslieblinge, der mit seinen fast unbeholfen tapsigen Auftritten und seinem jugendlichen Charme vielfältiges, sehnsüchtiges Seufzen und Kichern hervorruft, nicht nur bei den Damen gilt er mit Sicherheit als Wunsch-Schwiegersohn. Aber auch seine sanfte, volle und perfekt geführte Stimme lassen ihm die Herzen zufliegen. Dass er den Part der Semira singt und den ein oder anderen Versuch unternimmt, dieser Partie trotz Bart und Anzug auch darstellerisch etwas abzugewinnen, macht ihn noch sympathischer. Ein anderer Kandidat für den Publikumspreis ist Franco Fagioli, der trotz männlichen Parts als Arbace eine richtige Diva ist. Und wie er das tut: Er geht ganz an die Grenzen seiner Stimme in die Tiefe, klingt dort kehlig-viral, dann wieder in die höchsten Höhen, lässt dort seine Stimme schweben, um sich dann in halsbrecherische Läufe zu stürzen. Mimisch übertreibt er es hin und wieder, gibt sich aber alle Mühe, dem Publikum alles zu bieten, was er kann. Juan Sancho hat die tiefste Stimme des Abends als Intrigant und Königsmörder Artabano. Sein Tenor ist gespannt wie ein Gummi, dass man gleich flitschen lässt, so schnellt er durch die anstrengenden Koloraturen und Höhen und sorgt ganz nebenbei noch mit einem vergessenen Auftritt für herzliche Lacher. Die zweite weibliche Partie, Mandane, wird von Max Emanuel Cencic mit Hingabe gesungen. Mit einem extravaganten, asiatischen, gelben Gewand bietet er dem Publikum dann noch eine kleine Showeinlage mit seiner „Partnerin“ Valer Sabadus, nämlich einen Ohnmachtsanfall. Stimmlich zeigt er alle Facetten seines Countertenors und hat auch Mut zu leisen und zarten Tönen, die immer pointiert kommen. Yuriy Mynenko überzeugt als Megabise mit machohaftem Auftreten und kernig-kräftiger Stimme, übersteuert aber zum Ende hin etwas in den lauten Höhen. In keine leichten Fußstapfen muss heute Vince Yi in der Titelpartie treten, denn kein geringerer als Philippe Jaroussky sang sonst den Artaserse, dessen Portrait auch auf der dazugehörigen CD prangt. Yi überrascht mit der wohl feinsten Stimme des Abends, die man mit geschlossenen Augen auch als Frauenstimme durchwinken würde. Mit Bravour führt er seine wunderbar schlanke Stimme durch die Partie und kann besonders mit einigen bemerkenswerten Crescendi beeindrucken, was ihm das Publikum ebenso dankt, als stünde dort ein Jaroussky.

Aber auch die Aufmerksamkeit wird gefordert, denn im Programmheft ist zwar der deutsche Text abgedruckt, aber gesungen wird auf Italienisch – ohne Übertitel. Vielleicht war angedacht, dass sich das gesamte Publikum laut raschelnd mit dem Text im Dunkeln beschäftigt, aber da ist die Disziplin größer. Schade wird das mangelnde Verständnis dann, wenn die Sänger-Darsteller ihre Darbietung mit Mimik und Gestik unterstützen, denn man muss sich dann zusammenreimen, an welcher Stelle der verwickelten Handlung man sich gerade befindet. Dass man in einer konzertanten Vorstellung sehr viel verpasst, zeigen nicht nur die lockenden Bilder mit den schillernden Kostümen auf und im Programmheft, sondern auch die Sänger, heute in festlich angemessener Kleidung. Wenn Männer Frauen singen, und das im Anzug tun, und dann feminin aufkreischen und schmachtende Blicke mit ihren Bühnenpartnern austauschen, kann das nur unfreiwillig komisch wirken, eine Chance zum Heiterkeitsausbruch für das Publikum, die sie nur zu gerne wahrnimmt und die die Sängerdarsteller zu immer mehr Aktion verleitet.

Das Publikum, das die Aufführung immer wieder mit lautem Szenenapplaus und Jubel unterbricht, springt zum Ende fast geschlossen zu standing ovations auf, um Sänger und Musiker zu feiern, die als Zugabe den Abschlusschor geben. Angenehm ist die Mischung am heutigen Abend in der gut besuchten Oper am Dom. Eingefleischte Fans barocker Musik und ein großer junger Anteil aus Männlein und Weiblein, die gleichermaßen von den charismatischen Sängern begeistert sind, zeigen, dass auch konzertante Oper durch ihre Musik und Interpreten spannend ist.

Miriam Rosenbohm

 





Fotos: Julian Leidig, Florian Profitlich, Edda Pacifico