Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

ANNA BOLENA
(Gaetano Donizetti)
17. Februar 2013
(Premiere)

Oper Köln


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Wenn Qualität die Regie rettet

Manchmal schafft es selbst die schnödeste Regie nicht, den Erfolg einer Aufführung zu verhindern. Das von der Intendantin der Kölner Oper, Birgit Meyer, bejubelte Regie-Team Imogen Kogge und Tobias Hoheisel hat sich jedenfalls alle Mühe gegeben, eine altbackene Inszenierung auf die Bühne zu bringen, die an Biederkeit kaum mehr zu überbieten ist.

Inzwischen hat sich die Bühne auf der Bühne im Palladium, eines der Ausweichquartiere der Kölner Oper während der Sanierungsphase, offenbar als Standard etabliert. Das ist wenig einfallsreich und selten sinnstiftend. Immerhin hat Tobias Hoheisel dieses Mal einen nach vorn offenen Kubus mit zwei Etagen geschaffen. In der zweiten Etage bildet eine transparente Projektionsfläche den Hintergrund, was für ein paar gelungene Einfälle sorgt. Rechts des Kubus ist der Aufgang im Schloss Windsor mit Ahnenbildern und einer Freitreppe, davor ein Schreibtisch mit ein paar Sitzgelegenheiten aufgebaut. Auf der linken Seite des Kubus befinden sich ebenfalls drei Sessel. Die Galerie wird integriert, indem das Metallgeländer durch Holz ersetzt worden ist. Das sieht insgesamt adrett aus, muss aber mit Leben erfüllt werden. Das dazu notwendige Personal hat Hoheisel in Kostüme gesteckt, die keinen einheitlichen Stil ergeben und dann ins Paradoxe abgleiten, wenn Hervey in eine Lufthansa-Uniform gesteckt wird. Eigentlich bieten alle Kostüme ausreichend Freiheit, sich nach Herzenslust zu bewegen. Ist aber nicht notwendig. Die Kunst der Inszenierung der Anna Bolena wäre, den handlungsarm angelegten Stoff mit Fantasie in eine Aufführung umzusetzen, die lebendig genug wird, um den Zuschauer fast dreieinhalb Stunden lang zu fesseln. Hoheisel und Kogge fällt nicht viel ein, und so erlebt das Publikum den Gang nach links, den Gang nach rechts, stets hochdramatisch, und wenn der König zum 17. Mal, die Arme emotional nach oben gestreckt, mit dem Rücken zum Publikum an der Rückwand des Kubus lehnt, wird es ermüdend. Ärgerlich wird es, wenn die Sänger im Rezitativ dem Publikum zusingen, was sie eigentlich dem Partner auf der Bühne mitzuteilen hätten. Das ist Theater von gestern.

Ganz und gar nicht von gestern ist das Personal, das auf und vor der Bühne agiert und aus diesem Abend einen unvergesslichen macht. Star des Abends ist ganz unzweifelhaft und mit Abstand Olesya Golovneva in der Rolle der Anna Bolena im unspektakulären, silberfarbenen Gewand. Eben hat sie eine Mandelentzündung mittels Antibiotika-Einsatz halbwegs überstanden, was ihrer blassen Haut durchaus noch anzusehen ist. Für eine Golovneva kann das aber kein Grund sein, eine Aufführung abzusagen oder sich gar einzuschränken. Kraftvoll, emotional aufwühlend, singt sie eine bisweilen lyrische Anna Bolena, die die Höhen gewohnt brillant aufsucht, um dann, ohne zu zögern, mit größter Klarheit in der Mittellage la vergogna zu beklagen. Dabei ist ihr Spiel im Anfang überwiegend durch Steh- und Kniegesang gekennzeichnet, ehe sie sich von der Regie frei spielt und mit kolossaler Überzeugungskraft eine verzweifelnde, später von Fantasiebildern trunkene Bolena gibt, ehe sie „bewusstlos“ zusammen bricht. Regina Richter, als Gegenspielerin Giovanna Seymour „selbstverständlich“ im roten, ebenso nichtssagenden Kleid, startet mit pastellfarbenen Tönen, nimmt sich auch im Volumen in der ersten Hälfte zurück, ohne dass es der Partie schadet, ehe sie in der zweiten Hälfte richtig aufblüht und einen strahlkräftigen Mezzosopran präsentiert, wie er der Rolle gebührt. Ebenfalls zur Begeisterung verleitet Katrin Wundsam, die in der Hosenrolle des Smeton als Mezzosopran nicht nur sängerisch brilliert. Ihr Spiel ist bis in ausgefallene Schrittfolgen durchdacht. Schrittfolgen muss sich auch Gidon Saks einprägen. Den Unsympathen Enrico VIII. verkörpert er ausgesprochen eindrucksvoll. Im Gesang bringt der Bass-Bariton in der Tiefe allerdings eher selten eine Melodie zu Stande. Besser, sehr viel besser, erledigt das Matias Tosi, der als Lord Rochefort zwar nicht ganz so weit unten brummt, dafür aber mit erheblich mehr Spielfreude und Melodie gefällt. Die Tenor-Rolle des Lord Riccardo Percy hat Luciano Botelho wunderbar im Griff. Differenziert zwischen den Lagen wechselnd, bleibt sein Gesang von Natürlichkeit beherrscht und klingt selbst in den Höhen ohne Fehl und Tadel. Freilich auf Kosten des Volumens, was aber bei Anna Bolena ohne Konsequenz bleibt. Vom Typ her ist er jedenfalls glänzend besetzt. Alexander Fedin präsentiert Sir Hervey glanzlos, aber untadelig.

Der Chor ist von Jens Olaf Buhrow einstudiert und agiert überwiegend präzise, wenn ihm auch die Aufmärsche nicht so rechte Freude zu bereiten scheinen. Erst im Schlussbild wissen die Frauen so recht zu begeistern.

Wie anders dagegen die Musiker des Gürzenich-Orchester. Sie ordnen sich Meister Alessandro de Marchi unter, arbeiten ihm unermüdlich und hoch konzentriert zu und gelangen so zu ungeahnten Leistungen. Mit grazilen, fein ziselierten Anweisungen führt der Barock-Experte „sein“ Orchester behutsam durch die Feinheiten der Partitur, ohne auch nur einen Augenblick die Einsätze von Chor oder Sängern außer Acht zu lassen. De Marchi eröffnet leichter Hand, behutsam und unglaublich bewusst neue Klangwelten längst vergangener Zeiten.

Nahezu dreieinhalb Stunden sind eine lange Zeit. Vor allem, wenn die Regie Bewegungsarmut verordnet. Trotzdem überrascht, dass viele Zuschauer nach der Bewusstlosigkeit der Anna Bolena den Saal fluchtartig verlassen. Kaum, dass es zu einem zweiten Applausvorhang reicht. Ein Großteil des Publikums, das doch angeblich immer so nach „konventionellen“ Inszenierungen verlangt, ist müde und will nur noch nach Hause. Obwohl sie alle von den Leistungen von Sängern und Orchester begeistert sind. Für Bravo-Rufe und das Trampeln mit den Füßen für Olesya Golovneva ist ja gerade noch Zeit. Und so ist es dank der Sänger und Musiker ein wunderbarer Abend geworden.

Michael S. Zerban





Fotos: Klaus Lefebvre