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Fakten zur Aufführung 

ALCINA
(Georg Friedrich Händel)
16. Juni 2012
(Premiere)

Oper Köln, Palladium

Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Nach der Premiere

Regisseur Ingo Kerkhof erläutert sein Konzept (4'43).

 

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Statisch schöne Musik

Alcina ist eines von Händels Zaubermärchen. Da gibt es eine Zauberin, die bei Gefallen oder Missfallen Männer in Steine, Tiere oder Pflanzen verwandelt. Nichts davon ist in Köln geblieben. Hier ist Alcina eine Herrscherin, die eine gewisse Bedrohung ausübt, ohne dass man ihrer habhaft wird. Der Verlust vieler Dimensionen ist Konzept bei Ingo Kerkhof. Die Oper von barocken Elementen zu befreien, sie auf die Personen zurückzuwerfen, versteht der Regisseur als Suche nach dem Existenziellen, nach dem Grundsätzlichen. Heraus kommt eine Guckkastenbühne, die Anne Neuser auf das Empfindlichste reduziert hat. Stehen im ersten Akt noch zwei Tische dort, wird die kahle Rückwand im zweiten Akt nach vorne geholt, so dass eine schmale Rampe verbleibt. Erst im dritten Akt wird sie zurückgefahren und gibt den Sängerdarstellern zumindest wieder Bewegungsfreiheit. Stephan von Wedel entwirft dazu Kostüme, die zwar vielfältig, aber eher unscheinbar daherkommen. Was ja der Idee Kerkhofs durchaus entspricht. Bereits bei Wozzeck hat der Regisseur mit seiner minimalistischen Inszenierung Reden von sich gemacht. Was dort aber noch nachvollziehbar war, lässt in Alcina zu viele Fragen offen. Gehen wir davon aus, dass Händel sich etwas dabei gedacht hat, sein Spiel auf einer Insel, also in einer isolierten Situation, stattfinden zu lassen, seine Hauptfigur mit besonderen Fähigkeiten auszustatten, bleibt die Kölner Inszenierung die Antwort auf die Fragen nach dem Warum schuldig.

Übrig bleiben Darstellerinnen und Darsteller, die sich hilflos winden, mit Scheinaktionen hier und da ein wenig Bewegung ins Spiel bringen, oft ins Groteske abdriftend, wenn etwa Morgana ihre Lederjacke aus- und am Ende einer Arie wieder anzieht, die DarstellerInnen nach ihrem Auftritt zur Rückwand laufen, um sich dort abzustützen oder Alcina während einer Arie langsam zu Boden sinkt, wobei sie sich an der Rückwand – richtig: abstützt. Mehr Reduktion ist nicht möglich, weil ansonsten eine konzertante Version hätte angekündigt werden müssen. Reduktion als stilistisches Prinzip kann funktionieren; aber nicht, wenn Hin- und Herlaufen oder um die Ecke gucken als Ersatz einer echten Handlung dienen müssen.

Dass das Publikum dennoch bis zum Schluss wie gebannt sitzen bleibt – also hat der Regisseur es doch richtig gemacht – liegt an der musikalischen Leistung. Claudia Rohrbach fasziniert von der ersten Sekunde an mit berückender Stimme und macht es damit ihren Widersacherinnen vor, die in anderen Klangfarben ähnliche Leistungen bringen. In der Hosenrolle des Ruggiero begeistert Franziska Gottwald vor allem mit Natürlichkeit. Anna Palimina lässt sich als Morgana die Koloraturen auf der Zunge zergehen und Katrin Wundsam gibt als Bradamante Schmelz dazu. Der Oberto wird von Adriana Bastidas Gamboa mit Begeisterung gesungen. Überraschend die Männerrollen dieses Abends: John Heuzenroeder, der sich sonst eher in der Rolle des komödiantischen Tenors  gefällt, verleiht dem Oronte eine Innigkeit, die man von ihm nicht kennt, ihm aber zurufen möchte: Mehr davon. Wolf Matthias Friedrich hat sich ebenfalls als Melisso aus seiner Funktion als Brummbass gelöst und gefällt in baritonalen „Höhen“ selbst mit einer gewissen Unsicherheit noch sehr gut. Wenn man sich, wie an diesem Abend, kaum zu bewegen braucht, lässt es sich leichter singen. Trotzdem, oder gerade eben deswegen, sind die Leistungen überragend. Insbesondere, wenn man weiß, dass bis auf Gottwald alle debütieren.

Über den Chor gibt es wenig zu berichten, weil der kurzerhand gestrichen wurde. Umso mehr Platz bleibt für das Gürzenich-Orchester, das inzwischen über eine beträchtliche Erfahrung in der Alten Musik verfügt und diese in weiten Teilen ausspielen kann. Hilfestellung gibt Peter Neumann, der als renommierter Händel-Kenner gilt und mit viel Einsatz dafür streitet, die wunderbare, immer wieder vor überraschenden Einfällen strotzende Musik Händels in all ihrer Farbenvielfalt in den Saal zu tragen.

Die Meinung des Publikums ist gespalten. Wo die einen nach der Handlung fragen, ergötzen sich die anderen an der Abwesenheit von Bildern. Alle aber sind sich darin einig, dass hier eine musikalische Leistung erbracht wird, die ihresgleichen sucht. Und so verlässt niemand vorzeitig den Saal, was sonst zum „guten Ton“ der Kölner gehört. Stattdessen wird selbst die Regie mit warmem Applaus bedacht. Auch wenn sie die Fragen nach der aktuellen Übersetzung des Stücks nicht beantwortet.

Michael S. Zerban

 



Fotos: Klaus Lefebvre