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Fakten zur Aufführung 

DIE FLEDERMAUS
(Johann Strauss)
15. Dezember 2013
(Premiere am 2. November 2013)

Theater Koblenz


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Das Vergnügen der Kunst

Dieses benchmark möge ausnahmsweise einmal sein: Placido Domingo meisterte 1986 in seiner CD-Einspielung mit dem Münchner Rundfunkorchester die Ouvertüre zur Fledermaus in acht Minuten, 31 Sekunden. Carlos Kleiber domestizierte sie 1976 mit dem Bayerischen Staatsorchester für seine Aufnahme des größten Operettenerfolgs von Johann Strauss und mutmaßlich des Genres überhaupt in sieben Minuten, 40 Sekunden. Attitüden, im Rekordtempo den prächtig-seligen Walzereinstieg in die „Komische Operette“ zu schaffen, liegen dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie unter seinem Musikalischen Leiter Enrico Delamboye wahrlich fern. Es präsentiert sich im proppenvoll besetzten Koblenzer Theater mit einem Overtürenmaß von 8‘10‘‘ gleich auf dem Quivive und gibt die programmatische Devise vor. Hier und heute muss nicht um die x-te Adaption einer vorgegebenen musikalischen Aufführungskonvention gerungen werden. Vielmehr darf das Wunder neu erschaffen werden, den Klassiker einer ganzen Wiener Epoche schlechthin in einem französischen Musizierstil zu manifestieren und „Sängern und Orchester immer wieder kleine Impulse zur Leichtigkeit zu geben“. So hat der Niederländer Delamboye, seit 2009 fest am Haus, sein Fledermaus-Grundverständnis beschrieben. Und so – gleichsam in eine akustische Kulisse perlenden Champagners getaucht – folgt das Publikum den Akteuren mit hörbarer Wonne durch die drei Akte einer Intrige, die tief doppelbödig, aber immer unterhaltsam ist.

Das Personal agiert in dieser Frivolität um eine Intrige unter Männern – jedenfalls in den Phasen ohne Fledermaus- und Hasenmaskerade – in Outfits aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Kostümbildnerin Sophie du Vinage hat sich hierfür nicht ohne Hintersinn entschieden. Die seltsame Gesellschaft im Vogelhaus, vulgo: Gefängnis, des Dr. Frank hat nämlich sehr viel mit unserer modernen Zivilisation zu tun, mehr als uns das bisweilen lieb sein kann. Eine Behausung en miniature – man könnte an einen Teil einer überdimensionalen Puppenstube denken – fungiert mal als Zimmer im Hause Eisensteins, mal als Rückwand des Büros des Gefängnisdirektors Frank. In Ralph Zegers Bühnenbild symbolisieren tiefrote Vorhänge die Villa des Prinzen Orlofsky. Ein schönes Symbol diesseits allen Ausstattungsaufwands für die Phantasien von Lust- und Lasterhöhlen, die wir heutigen, wenn wir ehrlich zu uns sind, mit dem Lebensstil des ewig gelangweilten Prinzen zu verbinden pflegen und in einer Umsetzung auf der Bühne erwarten. Die Vorhänge geben im Wechsel kleinere und größere Aktionsflächen frei oder werden – ein Knalleffekt – zum Schluss des zweiten Aktes von Bühnenarbeitern in Montur des Wachpersonals donnernd herabgelassen. Der Blick wird dann effektvoll auf Orlofsky fokussiert, der im Tiefschwarz des Bühnenhintergrunds einen neuerlichen sexgetriebenen Anlauf unternimmt, seiner Melancholie zu entrinnen, diesmal mit dem Stubenmädchen Ida.

Die Inszenierung der zweiten von fünf Neuproduktionen in der Koblenzer Spielzeit 2013/14 stammt von Cordula Däuper. Sie hat vor zwei Jahren am Haus an der Clemensstraße eine Zauberflöte erarbeitet, im Tandem mit Delamboye. Zusammen mit dem Dramaturgen Mark Schachtsiek hat die Regisseurin eine „Bearbeitung für Koblenz 2013“ entwickelt, die den Fledermaus-Stoff verkürzt und unterhaltsamer konsumieren lässt. In diesem Tuning avanciert des Prinzen Diener Iwan zu einer Art TV-News-Anchorman, der uns Zusammenhänge des Geschehens nahebringt und den Sängerschauspielern mehr Raum zur Konzentration auf das Eigentliche schenkt. Jona Mues spricht seine Prosa markant und mit einem leichten Anflug von Ironie, damit den Blick seines Herrn auf die flatterhafte Sippschaft teilend.

Däuper setzt überwiegend auf die Buffo-Dimension dieses Geniestreichs. Wie bei jeder Aufführung seit dem weltweiten Durchbruch des Werks soll das Publikum auf seine Kosten kommen. Und das wie in jeder Komödie ausgiebig auf Kosten derer, die es augenscheinlich verdient haben und die natürlich völlig anders geartet sind als wir. Noch während der Ouvertüre bei geöffnetem Vorhang lässt der Notar Dr. Falke ein rotes Brieflein mit der Einladung zum Souper beim Prinzen verbreiten. Vorahnungsvoll wandert es von Person zu Person, von Mensch gar zu Tier, selbst zu einem ganz in Gips gepappten Patienten auf dem Klinikbett. Es ist der Anfang einer ganzen Serie von Regieeinfällen zum Ergötzen des Publikums. Es goutiert das immer wieder aufblitzende Raffinement dieser Inszenierung genauso wie die groben Plattitüden, letztere gern und immer wieder mit derben sexuellen Anspielungen und entsprechenden Ersatzhandlungen arbeitend. Als ob das exquisite Libretto von Carl Haffner und Richard Genée nicht ohnehin von erotischem Esprit durchtränkt wäre!

Die ramponierten menschlichen Beziehungen einer Gesellschaft im Rausch zwischen joie de vivre und dem Niedergang der Habsburger Monarchie geraten so nicht wirklich in das dramaturgische Fadenkreuz. Schade eigentlich, womit wir endgültig bei der Aktualität des Plots angelangt wären. 1873, im Jahr unmittelbar vor der Uraufführung der Fledermaus, wurde das österreichische Establishment von einem Börsencrash erschüttert. Die Welt der begüterten Oberschicht, die der Rentiers vom Schlage Eisensteins, brach zusammen. Die Hindernisse für arme Stubenmädel wie Adele und Ida auf dem Weg nach oben türmten sich neu auf. Schulden und Champagner bis zum Untergang, der dann auch spätestens 1914 real eintreten sollte – das ist die andere Dimension der Fledermaus und eigentlich eine tolle Verführung für Regisseure zu einer Zeit, die mit Eurokrise, Finanzskandalen und egomanischen Managerklassen ja etliche Parallelen zu bieten hat. „Ich kenn‘ einen Staat“, hat Karl Kraus 1928 in einer „therapeutischen“ Nachdichtung des „goldenen“ Wiener Zeitalters geschrieben, „der lebt von der Hand‘ in den Mund, und sein Fortschritt besteht darin: er geht ständig zugrund. Doch halt … man braucht noch, eh die Geschichte ist aus, Milliarden für Saus, Braus und für’s Festspielhaus.“

Die Ensembleszenen und -stücke, so exemplarisch im Operetten-Hymnus Brüderlein, Brüderlein und Schwesterlein, der gut aufgelegte Opernchor und das quirlige Ballett sichern dieser Fledermaus ihren künstlerischen Rang. Solistisch ragen mit Irina Marinaş als Rosalinde und Hana Lee als Adele zwei Soprane heraus. Vor allem Lee, schon Königin der Nacht in der Koblenzer Zauberflöte, verzaubert nun als Königin des Abends mit ihrer ausdrucksstarken, höhen- und koloratursicheren Stimme. Hier deutet sich eine kommende anspruchsvolle nächste Stufe an, Zerbinetta etwa oder auch Musette. Bei den Sängern bringt Michael Heim eine adäquate Komponente ein. Der Tenor gibt den Gabriel von Eisenstein mit vokaler Leichtigkeit und Spielfreude, ohne das Idiom seiner Heimat gar im Nestroy-Stil überzustrapazieren. Juraj Hollý als Alfred, Mario Klein als Frank und Christoph Plessers als Dr. Falke machen in ihren Partien stimmlich eine gute Figur.

„Erst die Kunst, dann das Vergnügen“ – dekretiert Iwan im zweiten Akt. Mit seiner Fledermaus hat das Koblenzer Haus den Beweis geliefert, dass dieses Ranking nicht zwingend sein muss, die Synthese möglich ist. Und das obendrein im Drei-Viertel- oder Sechs-Achtel-Takt. Das Publikum reagiert beglückt und applaudiert enthusiastisch. Was will man mehr!

Ralf Siepmann







Fotos: Matthias Baus