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Fakten zur Aufführung 

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)
17. Oktober 2012
(Premiere am 29. September 2012)

Theater Kiel


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Intimes Kammerspiel der Sehnsüchte

Wenn ein Opernhaus eine Neuinszenierung von Verdis Erfolgsoper La Traviata auf den Spielplan setzt, bedeutet das meist gefüllte Ränge, gilt diese Oper doch neben Mozarts Zauberflöte als die beliebteste aller Opern. Ursprünglich wollte Verdi seiner dritten Oper der Erfolgstrilogie nach Rigoletto und Il trovatore den Titel „Amore e morte“ geben. „Liebe und Tod“ – der unzertrennliche Stoff in der Opernliteratur schlechthin. Und so ist es vielleicht eine besondere Tücke des Schicksals gewesen, dass der Regisseur Thomas Wünsch bei der Konzeption von La Traviata in Form eines morbiden Kammerspiels vor wenigen Monaten im Alter von nur 50 Jahren verstarb. Genauso schicksalhaft mag es sein, die Fortsetzung dieser Arbeit Uwe Schwarz anzuvertrauen, einem Freund und Weggefährten von Wünsch. Gemeinsam mit Heiko Mönnich, der für die Ausstattung der Inszenierung verantwortlich ist, entwickelt er die Konzeption weiter und schafft dabei in seiner ersten Traviata-Inszenierung auch eine letzte Referenz an den verstorbenen Regisseur.

Im Mittelpunkt, quasi als Symbol für die Morbidität und Fragilität gesellschaftlicher Normen und Beziehungen, steht ein düsterer Theaterbau alter italienischer Prägung mit drei Rängen und einer großen Loge. Von hier aus kann die bessere Gesellschaft sich selbst beobachten, ein Voyeurismus zwischen moralischer Heuchelei und Selbstsucht.

Violetta ist die Kurtisane, die ihr kurzes Leben im Rausch genießt, die sich auf der Suche nach Liebe und Anerkennung verzehrt, obwohl sie längst den Glauben daran verloren hat und letztlich deshalb zu Grunde gehen muss. So ist die ganze Inszenierung ein ständiges Auseinandersetzen mit dem Leben und dem Sterben. Die Atmosphäre ist morbide, dunkel. Violetta sieht sich während der Klänge des Vorspiels selbst tanzen – Sonia Dvorak ist eine beeindruckende Solotänzerin – ein Tanz auf dem Vulkan, der den Tod als unausweichliches Ende so wie die Musik selbst bereits im Vorspiel vorwegnimmt. Der Niedergang der Gesellschaft als heuchlerische Doppelmoral bestimmt die Personenregie. Alfredo scheint Violetta wirklich zu lieben, doch seine Prägung durch den gefühlskalten und auf Konventionen bedachten Vater Giorgio Germont führen zur Katastrophe. Violetta verzichtet auf ihr Glück und kehrt für eine kurze Zeit in ihr altes Leben zurück. Alfredos späte Einsicht und Giorgios Vatergefühle für Violetta können den tragischen Schluss nicht mehr wenden. Und so wird dieser Abend zu einem intimen und morbiden Kammerspiel dieser drei Protagonisten.

Leo Siberski und das Philharmonische Orchester Kiel musizieren engagiert und leidenschaftlich. Die kammermusikalische Zurücknahme des Orchesters bis hin zum intimen Piano und die Charakterisierung in pastellfarbenen Klängen vor allem bei den Streichern erzeugen große  Emotionen. Die Tempi sind nicht zu schnell, und Siberski hat Mut für die typischen Verdi-Bögen; Phrasierungen lässt er das Orchester und die Sänger ausmusizieren. Auch der Opernchor des Theaters Kiel, gut eingestimmt von Barbara Kler, überzeugt durch eine starke Gesangsleistung und engagiertes Spiel.

Die russische Sopranistin Ekaterina Isachenko zeigt mit großer Emphase die ganze Zerrissenheit von Violettas Persönlichkeit. Immer schwankend zwischen Liebe und Lust, Glück und Leid, hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Enttäuschung, zwischen hochmütigem Stolz und tiefer Demütigung und Erniedrigung. Tanzt sie im ersten Duett mit Alfredo noch auf dem Flügel, so wird die große Arie am Schluss des ersten Aufzuges zu einem dramatischen Ausbruch, die Koloraturen werden wie Hilfeschreie herausgeschleudert. Das ist nicht unbedingt Belcanto im wörtlichen Sinne, dafür aber nachhaltig und erschütternd. Violettas letzte Arie ist ein Gebet, ein Abschied vom Leben. Ekaterina Isachenko singt es mit großer Hingabe und berührender Innigkeit. Am Schluss sieht man ihr die Erschöpfung und auch die Erleichterung an, diese Partie mit all diesen Facetten durchgestanden zu haben.

Der junge südkoreanische Tenor Yoonki Baek beeindruckt mit Belcanto-Schmelz, sicheren Höhen und emotionalem Spiel. Der japanische Sänger Tomohiro Takada in der Rolle des Giorgio Germont überzeugt durch sein gefühlskaltes Spiel. Sein sonorer Bariton und seine ausdrucksstarke Stimmführung verraten aber seine wirklichen Gefühle, die in der großen Arie im zweiten Akt mit großer Intensität zum Ausdruck kommen. Die Mezzosopranistin Marina Fideli als Flora und Juliane Harberg als Annina fügen sich genau wie die anderen Protagonisten harmonisch in ein überzeugendes Sängerensemble ein.

Als der finale Vorhang fällt, hätte man sich etwas mehr Sensibilität vom Publikum gewünscht, um den großartigen Schlussmoment aufzunehmen und für ein paar Sekunden Stille diese letzte Emotion zu spüren. Der schnelle Applaus steigert sich dann aber zu einem Jubelsturm für die drei Hauptpersonen, im Mittelpunkt die großartige Ekaterina Isachenko. Was bleibt, sind große Gefühle nach einem ergreifenden Kammerspiel.

Andreas H. Hölscher

Fotos: Olaf Struck