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Fakten zur Aufführung 

DIE LOMBARDEN
(Giuseppe Verdi)
11. März 2012
(Premiere am 24. September 2011)

Theater Kiel


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Auf dem Kreuzzug nach Kiel

Es gehört eine gehörige Portion Mut dazu, ein Werk auf die Bühne zu bringen, das fast vergessen ist, unter Experten kontrovers diskutiert wird und in Europa so gut wie gar nicht auf dem Spielplan steht. Mit der Aufführung von Verdis Frühwerk Die Lombarden ist der Oper Kiel ein ganz großer Coup gelungen. Musikalisch ist dieses Werk ein Hochgenuss, und es bietet in seinem historischen Kontext Platz für eine realitätsnahe Darstellung, die vom Regieteam feinsinnig genutzt wird. Regisseur Uwe Schwarz schickt die Lombarden in insgesamt zwölf sehr eindringlichen, zum Teil emotionalen Bildern auf einen historischen Kreuzzug. Neben dem Bruderzwist zwischen Arvino und Pagano steht vor allem der Glaubenskrieg zwischen Christen und Muslimen im Mittelpunkt. Im Zentrum des Geschehens steht als einheitliches und durchgängiges Bühnenbild ein Gotteshaus, das eine gewollte Ähnlichkeit mit der Jerusalemer Grabeskirche aufweist. Dieses Gotteshaus ist christliche Kirche und muslimische Moschee zugleich, und auch alle anderen Glaubensrichtungen prallen hier aufeinander. Es ist der Gegensatz zwischen „Deus lo vult – Gott will es!“ und „Allahu Akbar – Gott ist groß!“ Es ist ein großer Verdienst von Uwe Schwarz, dass er sich nicht der Verführung hingibt, dieses sicher nicht unkritische Werk in der heutigen Zeit anzusiedeln und einen Bezug zu aktuellen Konflikten im Nahen Osten herzustellen. Lediglich im siebten Bild, wo Kreuzritter und Pilger aller großen Glaubensrichtungen in der Jerusalemer Grabeskirche aufeinandertreffen, wird durch bewaffnete Sicherheitsleute die Aktualität dieses über 2000 Jahre alten Konfliktes vergegenwärtigt. Insgesamt geht Schwarz mit dieser Thematik sensibel und einfühlsam um. Dorit Lievenbrück präsentiert mit dem einheitlichen Bühnenbild und den historischen Kostümen eine optisch sehr ansprechende und überzeugende Ausstattung, die bis in die Details sehr klug arrangiert ist.

Und es ist der Moment der kurzfristig eingesprungenen Gäste, die dem Publikum einen unvergesslichen Abend bereiten. Allen voran die junge bulgarische Sopranistin Stefanna Kybalova in der Rolle der Giselda, die kurzfristig für die erkrankte Agniesza Hauzer aus Mailand via Paris eingeflogen wurde. Trotz der kurzen Vorbereitung überzeugt sie mit einer innigen Rolleninterpretation. Ihre Pianissimo-Töne zwingen das Publikum zu einer konzentrierten Atempause, ihre dramatischen Ausbrüche sind markant und emotional. Eine ideale Rollenbesetzung, stimmlich wie optisch. Ergänzt wird dieser gesangliche Hochgenuss durch den Auftritt des Armeniers Tigran Martirossian in der Rolle des Pagano, dessen wohlklingender, balsamischer Bass einen eindrucksvollen stimmlichen Kontrast erzeugt. Auch Martirossian ist kurzfristig aus Wien kommend für Petros Magoulas eingesprungen und überzeugt mit einer enormen Bühnenpräsenz und Kondition. Sein Wandel vom brutalen und hasserfüllten Bruder zum demütigen und glaubensstarken Eremiten gelingt ihm in eindrucksvoller Manier. Yoonki Baek gibt den Oronte mit tenoralem Schmelz und strahlenden Höhen und ist vor allem in den Duetten mit Stefanna Kybalova stimmlich ebenbürtig. Fred Hoffmann als Arvino, Susan Gouthro als Viclinda, Kyung-Sik Woo als Verräter sowie die anderen Protagonisten fügen sich stimmlich harmonisch und ausdrucksstark in das überzeugende Gesamtensemble ein.

Das Philharmonische Orchester Kiel unter der Leitung des ersten Kapellmeisters Leo Siberski beweist, dass dieses Werk auch musikalisch zu Recht auf den Spielplan gestellt wurde. Mit großer Leidenschaft, phrasierenden Bögen und steter Spannung bewältigen die Musiker die Partitur, und Siberski stellt sein Dirigat unprätentiös in den Dienst der Sänger, die er so zu Höchstleistungen trägt.  

Ein großes Kompliment gebührt dem Violinisten Maximilian Lohse, der das anrührende und ergreifende Solo zu Beginn des vierten Aktes virtuos auf der Bühne vor einem schwarzen Sarg spielt und somit szenisch eine Todesverkündigung in subtiler Form präsentiert. Der von David Maiwald stimmlich hervorragend eingestellte Chor und Extrachor der Oper Kiel meistert alle großen Chorszenen mit überwältigendem Pathos. Die große Hymne im elften Bild, in der die erschöpften Kreuzfahrer die Schönheit ihrer Heimat besingen, ist eine Reminiszenz an den Gefangenenchor aus Verdis Nabucco, dem Vorgängerwerk der Lombarden und musikalischer Höhepunkt des Chorgesanges.

Als sich nach dem zwölften Bild der Vorhang über eine überwältigende Vorstellung senkt, kennt die Begeisterung beim Kieler Opernpublikum keine Grenzen. Standing ovations, bravi-Rufe für den Dirigenten und das Orchester, den Chor und Extrachor der Oper Kiel und natürlich für die Solisten. Der Kreuzzug der Kieler Lombarden ist nicht nur für Verdi-Enthusiasten ein Muss!

Andreas H. Hölscher

 







Fotos: Olaf Struck