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Fakten zur Aufführung 

LOHENGRIN
(Richard Wagner)
28. Januar 2012
(Premiere)

Theater Kiel


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Die gescheiterte Revolution

Brabant steht am Vorabend eines Krieges. König Heinrich ist sich bewusst, dass seine Herrschaft zu Ende geht und er letztendlich scheitern wird: als Politiker, als Machtmensch! Und so übernimmt sein Heerrufer immer mehr eine führende Rolle in dem Spiel um Intrige und Glaubwürdigkeit. Er gibt Befehle, er steuert die Handlung und wird mit unübersehbarem Machtanspruch zur zentralen Figur einer gescheiterten Revolution. Auf seinen Befehl werden in letzter Konsequenz Telramunds Mannen exekutiert, und er fordert den gescheiterten Lohengrin zum Selbstmord auf. Da ist König Heinrich schon längst ein gebrochener Mann ohne Macht, und das kriegsbereite Volk erkennt in Gottfried von Brabant seinen neuen Führer an; ihm zur Seite der eigentliche Machthaber, der Heerrufer.

Regisseur Georg Köhl fordert an diesem Abend eine gehörige Portion Umdenken. Lohengrin ist nicht der tugendlich reine Ritter aus fernem Lande, den Elsa sich erträumt. Ein Politiker, der statt mit dem Schwerte sich am Rednerpult mit Telramund duelliert, der kindlich naiv eine Beziehung mit Elsa eingeht, und am Ende einen Bewusstseinswandel wie Elsa durchlebt. Das unbedingte und fraglose Vertrauen, das er einfordert, um als „Schützer von Brabant“ die Herrschaft zu übernehmen, wird ihm letztendlich versagt. Seine Mission, die sanfte Revolution, ist gescheitert; ihm bleibt nur der Ausweg des Freitodes. Aber es ist nicht nur Elsas Frage nach Herkunft, Name und Art, die zum Scheitern führt. Lohengrin ist als Politiker Vertreter eines Systems, das sich nicht durchsetzen kann. Gefühle spielen nur eine untergeordnete Rolle, und Elsas Liebe kann er in ihrer Unschuld nicht erwidern. Mit dem Tod Elsas bleibt Lohengrin keine Perspektive mehr. Er scheitert und stirbt, wie schon vor ihm Telramund, Ortrud und Elsa, die in ihren Wahnvorstellungen immer wieder ihren blutüberströmten Bruder zu sehen meint. Keine Spur mehr von Romantik, sondern stattdessen politische Aktualität. Norbert Ziermann wählt für seine Ausstattung ein grau-weißes Tribünenbild, das unverändert in allen drei Aufzügen Kulisse ist für Volkes Stimme, Hochzeit und finalen Tod. Lediglich einige Bildprojektionen bringen etwas Farbe in die eintönige Kulisse. Den in einen Schwan verwandelten Gottfried lässt Ziermann von einem Knaben in Federkostüm spielen, das er am Schluss abstreift. Dadurch verhindert er die obligatorische Peinlichkeit, einen großen künstlichen Schwan auf die Bühne zu bringen. Auf die kleinen Schwanenpuppen am Boden hätte er dann aber auch getrost verzichten können. Claudia Spielmann stimmt die Kostüme farblich auf Kontraste ab. Lohengrin, sein Gefolge und Elsa in schneeweißem Gewand oder goldfarbener Uniform und Hochzeitskleid, Telramund und seine Edlen in schwarzem Gruftie-Outfit mit Springerstiefeln, Ortrud in konventionell verführerischem Venus-Rot.

Georg Fritzsch gelingt es, das Philharmonische Orchester Kiel zu Höchstleistungen zu motivieren. Spannungsvoll, emotional und differenziert ist sein Dirigat, und die Sänger trägt er förmlich. Während die Streicher durch filigrane Bögen gefallen, trübt manch unsaubere Stelle der Bläser, insbesondere der Königstrompeten, den fulminanten Gesamteindruck. Doch der tosende Beifall am Schluss für Orchester und Dirigent ist mehr als gerechtfertigt. Der von Barbara Kler einstudierte Chor und Extrachor ist nicht nur stimmlich enorm präsent: Es beeindruckt besonders die Textverständlichkeit. Auch hier großer Jubel zum Schluss. Sung-Kyu Park beweist, dass die Partie des Lohengrin nicht zwangsläufig von einem Heldentenor gesungen werden muss. Eigentlich im italienischen Verismo-Fach zu Hause, legt er die Partie ganz lyrisch an, und überzeugt mit tenoralem Schmelz. Die Gralserzählung, angelegt als politisches Manifest, intoniert er sicher, nur in den Ausbrüchen am Schluss erkennt man die natürlichen Grenzen seiner Stimmlage. Leider ist sein Spiel etwas steif und hölzern. Ganz anders dagegen die junge Nürnberger Sopranistin Katrin Adel, die bei ihrem Rollendebüt den Wandel von der unschuldig naiven Elsa zur selbstbewussten Frau, die aber letztendlich scheitert, mit unprätentiösem Spiel und großer emotionaler Leidenschaft auf die Bühne bringt. Ihr jugendlicher Sopran gefällt vor allem in den lyrischen Momenten, aber sie hat auch die Kraft für die dramatischen Höhen. Es ist wohltuend, eine noch so unverbrauchte Stimme in dieser Rolle zu hören. Jörg Sabrowski debütiert als dämonischer Telramund mit starken Tönen, und der Mezzosopran von  Alexandra Petersamer überzeugt durch Strahlkraft und einem schmeichelnden Timbre sowie einer beeindruckenden Bühnenpräsenz. Petros Magoulas gefällt mit seinem warmen Bass nicht nur stimmlich, sondern er verkörpert einen gebrochenen König, dessen Macht ihm mehr aus der Hand gleitet. Tomohira Takado gibt bei seinem überragenden Rollendebüt den Heerrufer mit einem markanten Bariton und überzeugt auch schauspielerisch als zentrale Figur, die das Geschehen lenkt.

Michael Müller, Fred Hoffmann, Kyung-Sik Woo und Ulrich Burdack als Telramunds Mannen reihen sich stimmlich und optisch in das überragende Ensemble ein.

Als sich nach exakt viereinhalb Stunden der Vorhang über eine beeindruckende Vorstellung senkt, kennt die Begeisterung beim Kieler Premierenpublikum fast keine Grenzen. Tosender Applaus und Bravi-Rufe für Orchester, Chor und Solisten. Überraschenderweise gibt es nur vereinzelte Buhs für das Regieteam, das eins auf jeden Fall erreicht hat: Über den Kieler Lohengrin wird man sprechen!

Andreas Hölscher

Fotos: Olaf Struck