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Fakten zur Aufführung 

IM WEIßEN RÖSSL
(Ralph Benatzky)
9. September 2012
(Premiere)

Theater Kiel


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Verschlanktes Rössl lässt alle Sorgen vergessen

Nun hat auch Kiel sein Operettenschmankerl. Das Weiße Rössl, sonst am idyllischen Wolfgangsee beheimatet, macht Station an der Kieler Förde. Wer schwülstigen Operettenkitsch und krachlederndes Geschunkel à la Musikantenstadl erwartet, wird furchtbar enttäuscht. Stattdessen erlebt das Theater Kiel eine spritzige und urkomische Version dieser herrlichen Komödie, die die allseits bekannte Filmversion mit Peter Alexander als Oberkellner Leopold schnell vergessen lässt. Hier wird kein rührseliger Kitsch gezeigt, sondern Komik und Revueoperette im eigentlichen Sinne. Höhepunkt ist die Ankunft des Kaiser Franz-Josef, dem zu Ehren das Volk die Hymne O du mein Österreich singen soll. Das Volk ist das Publikum, das sich, angeleitet durch den Piccolo-Kellner Gustl, zu Ehren des Kaisers von seinen Plätzen erhebt und voller Inbrunst diese Hymne intoniert. Ein genialer Einfall, der beim begeisterten Publikum ankommt, das sich auf eine wunderbare Art plötzlich als Teil dieser Inszenierung begreift.

Regisseur Thomas Enzinger hat nicht nur das Stück von allem überflüssigen Ballast entfrachtet und entstaubt, er lässt es quasi als Kammerspiel auf der Vorbühne des Kieler Opernhauses spielen. Im Vordergrund stehen die spritzigen Dialoge und die Pointen, die treffsicher sitzen. Eine der bekanntesten Melodien aus diesem Stück, an dem neben Ralf Benatzky auch Robert Stolz mitgewirkt hat, lautet: Im Weißen Rössl am Wolfgangssee, da steht das Glück vor der Tür! Es ruft dir zu „Guten Morgen! Tritt ein und vergiss deine Sorgen“! Enzinger gelingt es, mit seiner Darbietung das Publikum ins Rössl einzuladen, und für knappe drei Stunden scheinen tatsächlich alle Sorgen vergessen. Mit tollen Sängern, die in ihren Rollen schauspielerisch voll aufgehen, und mit singenden Schauspielern hat das Theater Kiel ein Ensemble, das diesem Genre durchaus mit Respekt begegnet, denn nur so gelingt große Kunst.

Enzinger bezieht sich in seiner Interpretation auf die „Berliner Fassung“, mit der ab 1994 die Geschwister Pfister mit zahlreichen Starschauspielern in der „Bar jeder Vernunft“ begeisterte. Und die Ausstattung von Toto ist klassisch, alpenländisch und bunt. Etwas überzeichnet, dafür pointiert. Natürlich gibt es ein gemaltes Alpenpanorama im Hintergrund, ein paar Tische mit karierten Decken, ein kleines Holzpferd, und fertig ist die Kulisse. Die Choreographie des Ensembles ist pointiert einstudiert von Harald Kratochwil, doch immer mit leichtem Augenzwinkern.

Musikalisch gelingt der nächste Geniestreich. Kein großes Orchester, sondern ein Streichquintett einschließlich Kontrabass, erweitert durch Schlagzeug und Klavier. Michael Nündel am Klavier hat auch die musikalische Leitung des Septetts. Die unterschiedlichen Musikstile vom Walzer bis zum Jazz werden modern und pfiffig interpretiert, und man muss sich manchmal fast auf die Zunge beißen, um nicht die bekannten Schlager mitzusingen - so einladend musizieren die Sieben.

Doch der Star des Abends ist das Ensemble. Allen voran Jörg Sabrowski als Zahlkellner Leopold. Sein geschmeidiger, hoher Bariton verleiht dem liebeskranken Oberkellner einen besonderen Ausdruck. Schauspielerisch zeigt Sabrowski sein ganzes Können; mit großem Ausdruck und noch mehr Leidenschaft erobert er letztendlich die Rösslwirtin. Dass er noch mit dem Saxophon auf die Bühne kommt und selber spielt, ist das Sahnehäubchen auf eine großartige schauspielerische und sängerische Darbietung. Heike Wittlieb als etwas spröde Rösslwirtin Josepha Vogelhuber harmoniert stimmlich mit ihrem warmen und reifen Sopran prächtig mit Sabrowski. Der Schauspieler Matthias Unruh als Trikotagenfabrikant Wilhelm Giesecke gibt die Berliner Schnauze mit Herz so komisch und so bissig, dass man fast Angst um seine Gesundheit bekommt. Die Mezzosopranistin Amira Elmadfa ist eine reizende und verführerische Ottilie mit warmem Timbre, der Michael Müller als Rechtsanwalt Dr. Siedler mit schlankem Tenor und charmantem Spiel nicht widerstehen kann.

Herrlich komisch agiert Fred Hoffmann als schöner Sigismund Sülzheimer, und Anna Terterjan überrascht als lispelndes Klärchen und Objekt seiner Begierde.

Ursula Ruperti ist die Briefträgerin Kathi, die jodelnd in die einzelnen Aufzüge der Handlung einführt und sich ein lautstarkes Duell mit einem nerv tötenden Hahn liefert. Sebastian Rousseau gibt einen abgedrehten Piccolo Gustl, eine Comedy-Mischung aus Hape Kerkeling und Michael Mittermeier. Wie er das Publikum animiert, die Hymne „O du mein Österreich“ zu singen, das ist aller Ehren wert. Urs Affolter als Prof. Hinzelmann ist ein wunderbarer Kontrast zum lauten Giesecke. Sein gesungener Reisezauber ist einer der musikalischen Höhepunkte. Und Peter Kellner als der Kaiser berührt mit der Weisheit „S‘ ist einmal im Leben so“ mit leisen Tönen.

Das Publikum, das schon während der Aufführung kaum an sich halten kann, jubelt am Schluss fast schon frenetisch dem gesamten Ensemble einschließlich Musikern und Regieteam zu. Intendant Daniel Karasek kann zufrieden mit dem Saisonauftakt sein. Nach seiner spektulären Open-Air-Inszenierung der Tosca im August hat das Theater Kiel mit dem Weißen Rössl eine entstaubte, entkitschte Operette anzubieten, die einfach wieder Lust auf Revuetheater macht. Über diese Operetteninszenierung wird man in Kiel noch lange sprechen.

Andreas H. Hölscher

Fotos: Olaf Struck