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Fakten zur Aufführung 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
26. Januar 2013
(Premiere)

Theater Kiel


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Schwarzes Spiel von Sehnsucht und Erlösung

Wagner inszeniert Wagner, da erwartet man etwas Besonderes. Doch Regisseur Carlos Wagner ist nicht verwandt mit dem Bayreuther Clan, und Der Fliegende Holländer ist seine erste Wagner-Inszenierung, allerdings mit einer ganz besonderen Sichtweise. Für Carlos Wagner ist dieses Werk keine Oper mit dramatischem Stoff im herkömmlichen Sinn, sondern mehr ein Oratorium, das die Jenseits-Sucht von Holländer und Senta erörtert. Die Person des Eric wird lediglich als dramaturgische Figur eingefügt. Und so steht ein Psychogramm zweier zerstörter Seelen im Vordergrund der Inszenierung. Einerseits der Holländer, der sich nach dem Tod, dem Nichts, als Erlösung sehnt, und auf der anderen Seite Senta, die in ihrer Seelenverwandtschaft zum Holländer das Gleiche sucht und mit ihm eine Schicksalssymbiose eingeht. Sie unterscheiden sich in ihren einheitlichen Gesten und Kostümen fundamental von allen anderen Protagonisten. Carlos Wagner glaubt nicht an die Erlösung des Holländers durch die Aufopferung Sentas im christlichen Sinne. Senta beschwört in ihren seelischen Abgründen den Holländer hervor, der sich nach dem Ende, der Annihilation, dem Nichts sehnt. Für Senta ist dieses Sehnen nach dem Unendlichen heroisch und tragisch zugleich, und in letzter Konsequenz erlöst sie den Holländer am Schluss, indem sie ihm das Genick bricht und sich gemeinsam mit ihm in den Abgrund stürzt.

Regisseur Wagner findet einen großartigen Zugang zu diesem Werk, doch es bleibt bei Ansätzen, die er nicht konsequent weiter umsetzt. Ein Riesenanker, der aus der Höhe herabstürzt, den Bühnenboden zerschlägt und so eine Wunde als Metapher darstellt. Dass aus diesem Loch der Holländer, an den Anker gefesselt, ja wie ans Kreuz geschlagen, aus der Tiefe hochsteigt, ist ein genialer Regieeinfall, der allerdings dem Bühnenbildner Rifail Ajdarpasic zugeschrieben wird.

Neben berührenden Momenten des Innehaltens beim großen Duett Holländer – Senta im zweiten Aufzug, der in Gestus und Ausdruck unwillkürlich an Heiner Müllers Bayreuther Tristan und Isolde erinnert, sind es alberne und auf billige Effekthascherei getrimmte Szenen. Wenn zu Beginn des dritten Aufzuges die Matrosen Dalands im großen Chor Steuermann, lass die Wacht im Gangnam Style tanzen und das Publikum dafür auch noch Szenenapplaus spendet, dann ist das Slapstick und zerstört alles, was vorher an dramaturgischer Spannung aufgebaut wurde. Vieles ist auch Zeigetheater. Verlangsamte Gesten, die das Gesungene visualisieren, erinnern an Robert Wilsons Interpretationen und sind nicht wirklich neu. Indiskutabel ist die künstlich eingefügte Pause nach dem zweiten Aufzug, die die großartige Dramatik und Spannung zerstört, zumal sie weder dramaturgisch Sinn macht noch es einen nennenswerten Bühnenumbau gibt. Schade. Ohne Pause wäre die Spannung vielleicht nicht abgefallen.

Das Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic besteht aus einem knappen Dutzend großer Seilwinden, die im ersten und dritten Aufzug als Drehpunkte für die Takelage von Dalands Schiff dienen, im zweiten Aufzug als industrielle Spinnräder, auf denen die Frauen wie auf einem Ergometer sitzen und sich abstrampeln. Das insgesamt düstere Bühnenbild mit den roten Seilen fasziniert zu Beginn, doch es nutzt sich zu schnell ab, zumal es nach der Pause keine wesentliche Änderung gibt. Genial allerdings der schon erwähnte Anker für den ersten Auftritt des Holländers. Auch die Kostüme von Christof Cramer reihen sich in das düstere Bild ein. Einheitlich sind die Darsteller in ein glänzendes, kampfanzugähnliches Outfit mit roten Schnüren gekleidet und wirken wie eine Arbeitsbrigade kommunistischen Vorbilds. Erik ist im wagnerischen Sinne ein Außenseiter, ein von Daland nicht gewollter Schwiegersohn. Regisseur Wagner verzichtet darauf, Erik als eigenständigen Charakter darzustellen. Er setzt Erik durch dieselbe uniforme Kleidung auf eine Stufe wie die Matrosen, wie den Steuermann, wie Daland, was dramaturgisch allerdings keinen Sinn ergibt. Nur der Holländer und Senta bilden die Ausnahme. Ihre Mäntel sind identisch, sind archaisch und symbolisieren ihre Seelenverwandtschaft.

An diesem Abend sind es die großen Stimmen, die diese Aufführung dann doch aus der Banalität heben. Jukka Rasilainen hat die Partie des Holländers mittlerweile so verinnerlicht, dass er sie personifiziert mit dem Ausdruck der zerstörten, nach Erlösung suchenden Seele anlegt. Sein markanter, fulminanter Bass-Bariton nimmt spielerisch die Tiefen und die Höhen der Partie. Sein Ausdruck, sein Gestus bei seiner ersten Begegnung mit Senta sind so berührend, dass man Mitleid mit dieser Figur verspürt. Ihm in Stimmführung und musikalischem Ausdruck ebenbürtig ist Orla Boylan als Senta. Überzeugend ist ihre dramatische Stimmführung, in der Ballade im zweiten Aufzug wechselt sie vom zärtlichen Piano in furienhafte Ausbrüche, und im großen Duett mit dem Holländer harmoniert ihre Stimme mit Rasilainen so wunderbar, dass ihrer beiden Seelenverwandtschaft auch musikalisch und gesanglich zum Ausdruck kommt.

Petros Magoulas gibt den aalglatten Daland, der für Reichtum sogar seine Tochter verkauft, mit wohltönendem Bass und großer Spielfreude. Sung-Kyu Park überzeugt in der Partie des Eric mit lyrischem Schmelz und tenoraler Strahlkraft. Seine Cavatine im dritten Aufzug, angelegt als verzweifelte Liebeserklärung an Senta, intoniert er sicher mit großem Ausdruck. Fred Hoffmann ist ein vorzüglicher Steuermann, sein Lied im ersten Aufzug gelingt ihm in beeindruckender Weise. Marina Fideli gibt die Mary mit resolutem Mezzosopran.

Musikalisch ist diese Premiere ebenfalls ein Wellental der Gefühle. Georg Fritzsch führt einerseits das Philharmonische Orchester Kiel mit differenziertem Dirigat durch die Partie, andererseits fehlt die endgültige Spannung, die dieses Werk ausmacht. Zwar klingt es schon während der Ouvertüre wuchtig und dröhnend aus dem Orchestergraben, doch die bedrohlichen Motive des Holländers sind im Ausdruck nur angedeutet. Leider trübt manch unsaubere Stelle der Bläser, insbesondere der Hörner, den durchaus fulminanten Gesamteindruck des Orchesters. Der von Barbara Kler einstudierte Chor und Extrachor ist nicht nur stimmlich enorm präsent, es beeindrucken vor allem die Textverständlichkeit und der sängerische Ausdruck.

Als sich nach über zweieinhalb Stunden der Vorhang über eine diskussionswürdige Vorstellung senkt, reagiert das Kieler Premierenpublikum mit großem Applaus und Bravi-Rufen für Orchester, Chor und Solisten. Überraschenderweise gibt es nur vereinzelte Buhs für das Regieteam, das eins auf jeden Fall erreicht hat: Über den Kieler Holländer wird und muss man sprechen!

Andreas H. Hölscher

Fotos: Olaf Struck