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Fakten zur Aufführung 

AGRIPPINA
(Georg Friedrich Händel)
10. November 2012
(Premiere)

Theater Kiel


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Verwirrspiel um Intrigen, Macht und Liebe

Georg Friedrich Händel ist erst 24 Jahre alt, als er am 26. Dezember 1709 in Venedig mit der Uraufführung seiner sechsten Oper Agrippina über Nacht einen triumphalen Erfolg feiert und mit diesem vor genialen Einfällen strotzendem und für die damalige Zeit durchaus modernen Jugendwerk den Grundstein für seine bis heute ungebrochene Popularität legt. Händel erzeugt mit der Musik zu seiner Oper zum ersten Mal ein so hohes Maß an dramaturgischem Fluss und musikalischer Geschlossenheit, die er mit manchen seiner späteren Londoner Opern nur manchmal erreicht und selten übertrifft.  Dabei hat er, was zu dieser Zeit durchaus üblich war, Sätze anderer italienischer Werke seiner Zeit übernommen, was aber dem Erfolg des Werkes keinen Abbruch getan hat. Ganz im Gegenteil, einen derartigen Jubel hat Venedigs opernverwöhntes Publikum bis dato noch nicht erlebt. 

Die Handlung ist ein klassisches Verwirrspiel um weibliche Intrigen, um Macht und Herrschaft, aber auch um Liebe und Verlangen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Agrippina, die Gemahlin des römischen Kaisers Claudio. Sie will Nerone, ihren Sohn aus erster Ehe, als Nachfolger von Claudio auf dem Thron platzieren, während dieser seinen Lebensretter Ottone als Nachfolger sieht. Doch für Ottone ist die Liebe zu der jungen und attraktiven Poppea wichtiger. Allerdings sind Claudio und Nerone in ihrem Verlangen ebenfalls der temperamentvollen Poppea verfallen. Ausgangsbasis für ein Intrigenspiel Agrippinas, die mit Raffinesse und Verschlagenheit jeden manipuliert, nur um den Thron für ihren Sohn zu sichern. Lange scheint es, als ob der edle Ottone dem Ränkespiel Agrippinas zum Opfer fällt. Agrippina und Ottone werden so zu moralischen Antipoden; er ist Poppea in reiner und ehrlicher Liebe verfallen, während Agrippina vor keiner Lüge, keinem Betrug, ja selbst vor Mordaufträgen nicht zurückschreckt, nur um ihr Ziel zu erreichen. Das Libretto, das dem Kardinal und Vizekönig von Neapel, Vincenco Grimani, zugeschrieben wird, beschreibt ein faszinierendes und zugleich zeitlos starkes Frauenporträt mit einem überraschenden Schluss. Es gibt weder ein moralisch kitschiges Happy-End noch einen zynischen Erfolg der Intrigantin. Ottone gewinnt seine Poppea, dafür wird Nerone Thronfolger von Claudio.

Arila Siegert hat dieses Jugendwerk Händels für die Kieler Oper als ein Kaleidoskop weiblicher Intrige und Machthunger mit zwei starken Frauen im Mittelpunkt inszeniert. Beide Frauen verführen und benutzen auf ihre spezielle Art die Männer, um zum Erfolg zu gelangen. Agrippina mit eiskaltem Kalkül und Machtanspruch, Poppea hungrig nach Liebe und Anerkennung. Und so geraten die Männer in ein Spinnennetz, aus dem es kein Entrinnen gibt. Doch bei aller Tragik kommt die Komik in diesem Stück nicht zu kurz. Neben den ernsten und tragenden Momenten, die wie große Bögen aneinandergereiht sind, gibt es immer wieder moderne Elemente von Comedy und Slapstick, so als Ottone oberhalb der Bühne das Liebeswerben von Claudio und Nerone um Poppea beobachtet. Siegert, die ursprünglich vom Tanz kommt, hat jede Menge Statisten auf die Bühne gebracht, die in kleinen Choreographien den Bilderreigen und die Erzählung verdichten.

Unterstützt wird diese erfrischende Inszenierung durch das gelungene Bühnenbild von Hans Dieter Schaal. Auf der Drehbühne befindet sich eine weiße, ja fast bauhausartige Konstruktion, die durch Projektionen verschiedene Räume und Bilder entstehen lässt, die je nach Bedarf gedreht und verschoben werden können und so dem Intrigen- und Ränkespiel der Frauen Vorder- und Hintergrund bieten. Dazu passen die farblich abgestimmten und vor allem im weiten Teil festlichen Kostüme von Marie-Luise Strandt.

Mit Rubén Dubrovsky hat die Oper Kiel einen ausgewiesen Spezialisten für Barockmusik gewinnen können. Mit der Basso-Continuo-Besetzung und dem Philharmonischen Orchester Kiel gelingt an diesem Abend ein heiteres, federndes und pointiertes Musizieren, das den dramaturgischen Ansatz musikalisch wunderbar unterstützt. Schon die Ouvertüre kommt mit zum Teil wuchtigen Anklängen, und Dubrovsky führt seine Musiker mit viel Esprit und Dynamik.

Auch sängerisch ist es ein großer Abend für Kiel. Allen voran Heike Wittlieb in der Rolle der machtbesessenen Agrippina. Ihr intrigantes Spiel begeistert und fasziniert. Auch wenn sie keine Koloratursopranistin im eigentlichen Sinne ist, so meistert sie die Herausforderungen dieser schweren Partie brillant und begeistert mit wunderschöner Intonation und ständigem Wechsel zwischen Piano und Forte. Roberta Mameli gibt eine verführerisch sinnliche Poppea, die sich von Agrippina nicht vorführen lassen will und temperamentvoll und erotisierend mit den Männern spielt. Ihr Sopran schmeichelt, klingt allerdings manchmal in den Höhen etwas angestrengt. Die Mezzosopranistin Amira Elmadfa gibt den Nerone mit warmem Timbre, perlenden Koloraturen und jugendlichem Ausdruck.

Der junge Countertenor Antonio Giovannini in der Rolle des Ottone begeistert mit nuancenreicher Stimmführung und den leichten Koloraturen, die er scheinbar mühelos ansetzt. Dabei wurde er vor der Vorstellung noch aufgrund einer akuten Erkältung als indisponiert angekündigt. Doch davon ist nicht viel zu spüren. Nimmt er sich am Anfang noch etwas zurück, so steigert er sich immer mehr im Laufe der Vorstellung, und die Stimme klingt geschmeidig und sehr feminin. Höhepunkt des Abends ist zweifelsohne das einzige Accompagnato-Rezitativ in dieser Oper mit anschließender Arie, die Giovannini mit so großer Intensität und berührender Wehmut interpretiert, dass das Premierenpublikum ihm einen langanhaltenden Szenenapplaus spendiert. Kyung-Sik Woo gibt den etwas vertrottelt und lüstern wirkenden Claudio mit markantem Bariton. Tomohiro Takada als Pallante, Marina Fideli als Narciso und Ulrich Burdack als Lesbo reihen sich nahtlos in das hohe Sängerniveau ein.

Das Premierenpublikum ist zum Schluss begeistert. Es gibt großen Jubel für alle Mitwirkenden, auch für das Regieteam. Die musikalische Darbietung und die Inszenierung haben gezeigt, dass das Werk Georg Friedrich Händels auch über 300 Jahre nach seiner Uraufführung spritzig und modern ist und zu Recht seinen Platz im Repertoire behauptet.

Andreas H. Hölscher

Fotos: Olaf Struck