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Fakten zur Aufführung 

LADY MACBETH VON MZENSK
(Dmitri Schostakowitsch)
4. Februar 2012
(Premiere am 29. Oktober 2011)

Staatstheater Kassel


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Vor der Aufführung

Orchesterdirektorin Insa Pijanka unterhält sich mit Franz R. Stuke über die Möglichkeiten, Musik politisch zu motivieren und einzusetzen. Ein brandaktuelles Thema (4'41).


 

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Sex and Crime - unter gnadenloser Bewachung

Der Oper Kassel gelingt eine maßstabsetzende Umsetzung der epochemachenden Schostakowitsch-Oper. Michael Schulz inszeniert ein Drama der verlorenen Hoffnungen, rekurriert auf die Entstehungszeit der Oper zu Zeiten der stalinistischen Willkür in den 1930-er Jahren – auf dem Hintergrund der desolaten Bedingungen des zaristischen Regimes. Katja leidet unter der Lieblosigkeit in einer brutal-animalischen hermetischen Szene, gerät auf ihren Auswegen an die falschen Adressaten, wird zur Mörderin, erlebt eine Existenz ohne Mit-Leiden.

Dirk Beckers Bühne ist leer, von weißen verstellbaren Wänden begrenzt, bedeckt von einem Plafond, der sich mit kreisrundem Ausblick am Ende auf die Menschen herabsenkt – wie ein Gefängnis. Renee Listerdals Alltagskostüme schaffen mit einem durchgehenden Strumpf-Motiv und den stalinistischen Uniformen die Assoziationen eines verzweifelten Kampfes um akzeptierte Individualität.

Alexander Hannemann dirigiert das hellwache Staatsorchester Kassel mit kontrollierter Gestik zu einer bravourösen Umsetzung der so vielfältigen musikalischen Ausdrucksformen der Schostakowitsch-Welt, mit ihrer effektvollen Instrumentierung, ihren gewollt-interpretationsreichen Zitaten, mit den enormen Dynamik-Herausforderungen und – an der Grenze musikalischen Ausdrucks – in den brutalen Sex-Eruptionen.

Kelly Cae Hogan spielt die verstört-zerstörende Katja mit eminenter Sensibilität, verkörpert Leidenschaft, Mit-Leiden und Hoffnungslosigkeit in ergreifender Intensität – dazu begnadet mit einer bewegenden Stimme, die das ambivalente innere Zerrissensein vermittelt: stark im Ausdruck, souverän in der stimmlichen Kompetenz. Luca Martin ist ein egoistisch-triebhafter Sergej, verkörpert den Typus des politischen Ignoranten; mit seiner hellen, identifikationsreichen Stimme mit durchsetzungsfähigen Höhen auch im Sprech-Gesang wird er zum stimmgewordenen „Agenten“ rücksichtsloser Triebhaftigkeit zu Zeiten „revolutionärer“ Hoffnungen. Renatus Meszar gibt dem Boris unbegriffene Gewalt, beeindruckt mit kontrollierter Stimmkraft in dramatischen Tiefen und überzeugender Intonation. Mit Dong Won Kim als schwächlicher Sinowi, Krzysstoff Borysiewics als trunkenem Popen, Espen Fegran als stalinistischem Polizeichef, Jürgen Appel als gefügigem Verwalter sind überzeugende Interpreten einer hoffnungslosen Zukunft präsent – zu schweigen von Maren Engelhardt als kollektiv-vergewaltigter Axinja und Egle Sidlauskaite als amouröser Sonjetka. Christoph Schröter singt den „Schäbigen“ vom Portal, die Spielleiterin Sonja Trebes spielt diesen bizarr-desolaten Charakter mit Hingabe.

Der Chor unter Leitung von Marco Zeiser Celesti singt die so aggressiven Passagen in kollektiver power in frappierender Übereinstimmung mit der Musik, integriert in die Botschaft des so nachdenkenswerten Abends.

Das Kasseler Theater ist nicht voll besetzt: Dem Vernehmen nach, lehnen viele Alt-Abonnenten die „Sex-Szenen“ ab; offenbar eine Minderheit – aber auch vielleicht ein Vorbehalt gegenüber der allzu politisch korrekten „Schuldzuweisung“ auf den Stalinismus, anstatt die Unmöglichkeit des richtigen Lebens  im falschen aktuell-konkret zu demonstrieren?

Auf alle Fälle: Das Auditorium ist fasziniert und feiert einen exzeptionellen Opern-Abend intensiv und langanhaltend.

Franz R. Stuke

Fotos: N. Klinger