Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

ROMEO UND JULIA AUF DEM DORFE
(Frederick Delius)
28. Januar 2012
(Premiere)

Badisches Staatstheater Karlsruhe


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Schöner sterben

Der Tod wäre etwas Schreckliches, vor dem sich der Mensch zu ängstigen hätte? Nicht in Karlsruhe, wenn die Oper Romeo und Julia auf dem Dorfe von Frederick Delius nach der Novelle von Gottfried Keller ausgegraben und erfolgreich reanimiert wird. Denn Sali, ein Braver Romeo-Bursche aus dem schweizerischen Irgendwo, und seine liebreizend-naive Julia namens Vreni aus demselben Hinterwald, lassen sich gerade sehnsüchtig, im Nachen sitzend, einen imaginären Strom hinunter treiben, der sie direkt zum Hades führt. So hoffen sie auf ihr Glück, das ihnen auf Erden nicht beschieden ist.

Das ist ausgesprochenes Pech, denn sie sind, verkörpert vom sauber, aber etwas farbenarm singenden Tenor Carsten Süss sowie der bezaubernden und mit innig-lyrischem Sopran ausgestatteten Stefania Dovhan, Opfer ihrer bösen Väter und dörflicher Engstirnigkeit, die Normen der Moral und Pseudo-Sittsamkeit vorgeben, aus denen das Paar nicht ausbrechen kann. Solche Strukturen zeigt Regisseurin Arila Siegert in eindringlichen Bildern, wenn etwa eine Dorfgemeinschaft erstarrt und die Liebenden im Irrgarten menschlicher Statuen nicht zu einander finden können. In solchen Tableaus beweist sich eine choreographisch geschärfte Deutungshoheit dieser Regisseurin.

Wie kommt es zur Katastrophe der Todessehnsucht? Klein-Vreni und Klein-Sali spielen auf dem Brachland zwischen den Feldern ihrer Väter, die von Seung-Gi Jung und Jaco Venter als grobe Gesellen interpretiert werden. Dieser Acker wird einem Außenseiter, dem schwarzen Geiger, vorenthalten und weckt Begehrlichkeiten. Die Väter versuchen es erst durch Verrücken der Grenzsteine - alte bäuerliche Untugend beim Pflügen - , dann verplempern sie ihr Vermögen durch Prozesshändel, und Vreni und Sali sind verarmt. Im bigotten Dorf ist das Anlass zur Ausgrenzung. Eine Hochzeit können sie sich nicht leisten, doch ohne Heirat und Haus aber kein Platz in dieser abgeschotteten Gemeinschaft. Dabei lockt der schwarze Geiger, den Armin Kolarczyk weniger dämonisch als vielmehr fröhlich vorstellt, mit dem Gegenmodell eines freien Lebens in den Bergen. Doch das Paar bleibt gefangen. Solche Abhängigkeit gibt auch das Bühnenbild von Frank Philipp Schlössmann vor, der auf doppelter Drehbühne Wandscheiben gegeneinander laufen lässt, so dass auch sich öffnende Räume immer wieder zum Gefängnis werden. Allerdings wirken naturalistische Feldstein-Umrandung und die mit Kreuz-Chiffren fahl bedeckten Wände als deutlich irritierender Kontrast, während Marie-Luise Strandt die Kostüme der ländlich-literarischen Vorlage anpasst.

Der deutschstämmige Delius, dessen Wiederbelebung vor einem Vierteljahrhundert mit Fennimore und Gerda in Bielefeld eingesetzt hat, schreibt tonmalerische Musik, in der sich die Einflusslinien zwischen Wagner und frühem  Strauss, französischem Impressionismus und Ziehvater Grieg kreuzen. Die Musik ist situativ konzipiert und gibt dem großen Orchester viel Raum. Den nutzt Generalmusikdirektor Justin Brown gemeinsam mit der Badischen Staatskapelle glänzend, auch der von Ulrich Wagner einstudierte Chor fügt sich bestens ein.

Am Ende wartet aufs sehr freundlich eingestimmte Publikum noch ein kleiner Regie-Gag, denn Vreni und Sali ziehen sich die Schuhe aus, ehe sie den Todes-Kahn besteigen – Recycling nach Schweizer Art. Das Recycling dieser 1907 in Berlin uraufgeführten Oper in der Karlsruher Reihe „Meisterwerke des 20. Jahrhunderts“ dürfte dennoch eher ein Unikat bleiben.

Eckhard Britsch

 

Fotos: Jochen Klenk