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Fakten zur Aufführung 

DOCTOR ATOMIC
(John Adams)
25. Januar 2014
(Premiere)

Badisches Staatstheater Karlsruhe

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Die verlorene Unschuld

Allgemeines Raunen während der Premierenfeier. Von „Theatergeschichte“ wird gemunkelt, und die in Theatern üblichen Komplimente klingen ausnahmsweise echt. Doch Geschichtsträchtiges erklärt sich allenfalls irgendwann im Rückblick, aber Außergewöhnliches ist dem Badischen Staatstheater Karlsruhe mit der Oper Doctor Atomic von John Adams ohne Zweifel gelungen. Weil das 2005 in San Francisco uraufgeführte Stück in Musik und Text sehr stark ist, und weil die Umsetzung am Haus die Normen des Üblichen sprengt.

Adams, amerikanischer Minimal-Music-Komponist der zweiten Generation, veropert Zeitgeschichte. Mit Nixon in China wurde er erstmals verhaltensauffällig, das Theater Bielefeld hat ihn 1989 in einer Dew-Inszenierung hierzulande bekannt gemacht. In Doctor Atomic beschreibt er nach dem auf Originaldokumenten und Lyrik-Einsprengseln beruhenden Libretto von Peter Sellars das klaustrophobische Leben der Atomphysiker in Los Alamos kurz vor dem großen Test-Knall, der dann zu Hiroshima geführt hat. Die Innenschau von Macher Robert Oppenheimer, Zyniker Edward Teller und Bedenkenträger Robert Wilson wird gespiegelt an den eher eindimensionalen Ansprüchen des Projektleiters, General Groves, und an den Zweifeln von Ehefrau Kitty Oppenheimer. Pasqualita, das Indianer-Kindermädchen, verkörpert die wegen des Projekts vertriebenen Ureinwohner.

In Karlsruhe gelingt dem Team um Regisseur Yuval Sharon, Bühnenbildner Dirk Becker, Kostümdesignerin Sarah Rolke, den Animationskünstlern Benedikt Dichgans, Philipp Engelhardt und Andreas Grindler im Zusammenwirken mit Lichtdesigner Rico Gerstner sowie dem Sounddesigner Stefan Raebel eine exzellente Zusammenschau von Szene und Musik, Imagination und packender, verrätselter „Handlung“. Denn diese ist in Einheit mit den monomanen Klangschichtungen der Komposition auf das reduziert, was Menschen in einer Ausnahmesituation ausmacht: Quälende Innenschau, nonchalantes Überspielen von Ängsten, Zweifel an den eigenen Rechenkünsten, denn immerhin könnte die Kettenreaktion einen Weltenbrand auslösen – wenn die komplexen Gleichungen nicht aufgehen und das atomare Feuer sich verselbständigt.

Bühnenbreite Oszillogramme, auf Millimeterpapier flackernd, geben den nervösen Grundton an. Dann werden zur Vorgeschichte Comic-artige Bilder projiziert, auch kahle Landschaft zieht vorüber; wie Guckfenster öffnen sich Einblicke. Oppenheimer am Schreibtisch, Kitty bei der Hausarbeit, Teller motzt, denn er sinniert schon über der Wasserstoffbombe; Wilson will seine Petition an die Regierung diskutiert wissen, der General jammert wegen seines Diätplans; ein Meteorologe warnt vor Niederschlag-Fallout und drehendem Wind, siehe da, das atomare Schwert könnte sich unmittelbar gegen seine Erfinder wenden. Dazwischen Weltflucht der Figuren: Gedichte werden zitiert, um die Seele der anderen zu erkunden. Im zweiten Akt wird die Bühne offen, die Protagonisten stolzieren herum, von Albträumen geplagt, der Countdown läuft; das Kindermädchen wird zur Schamanin, und der in staubigem Grau bedrohlich hin und her geführte Chor versinnbildlicht in archaischem Ausdruck die drohende Apokalypse. Am Ende weist die erinnernde Hiroshima-Feuerschale in die Zukunft. Wieder einmal haben die Menschen ihre Unschuld verloren.

Das Orchester des Badischen Staatstheaters setzt unter Johannes Willig die Partitur mustergültig um. Willig entwickelt eine phänomenale musikalische Intensität, wenn er mit extremer Präzision die metrischen Verschiebungen und memorierenden Klang-Formeln zu suggestiven Verdichtungen führt, die geradezu gewaltsam den Hörer gefangen nehmen. Die schwierigen Gesangslinien werden von Bariton Armin Kolarczyk als Oppenheimer und Mezzo Katharine Tier als Kitty mit dinglicher Prägekraft vorgestellt. Ihnen zur Seite steht mit dem Wilson Steven Ebel, dem General Renatus Meszar, der Pasqualita Dilara Baştar und Teller Lucas Harbour, sowie Jaco Venter, Klaus Schneider und Mattis van Rensen in weiteren Rollen ein ausgezeichnetes Ensemble. Der Chor unter Ulrich Wagner leistet auch darstellerisch Großes.

Ein bedeutender Opernabend mit einem aufgeschlossen-begeisterten Publikum.

Eckhard Britsch

Fotos: Falk von Traubenberg