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Fakten zur Aufführung 

ALESSANDRO
(Georg Friedrich Händel)
19. Februar 2012
(Premiere am 17. Februar 2012)
und
GALAABEND "4 COUNTERTENÖRE"
18. Februar 2012
(Einmaliges Konzert)

Badisches Staatstheater Karlsruhe


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Ein Herrscher am Boden

Wie kommt ein Regisseur aus der Nummer heraus, eine Nummern-Oper inszenieren zu müssen? Am besten dadurch, dass er es dabei belässt und ihr nicht gewaltsam tieferen Sinn antut, als in ihr enthalten ist. Alessandro von Georg Friedrich Händel ist so ein Fall. Das Werk ist nicht entstanden, um tragische, politische oder allzu menschliche Dinge zu problematisieren, sondern als Folge von Hits für die Primadonnen jener Zeit, zu der natürlich auch die Kastraten gehören. Und ein Marketing-Genie ist Herr Händel auch, denn er schreibt nicht nur der Faustina und der Cuzzoni sowie Herrn Senesino die schönsten Arien in die Kehle, sondern er hetzt die beiden Primadonnen medienwirksam aufeinander. Schon während der Proben geraten sie sich im Wortsinn in die Haare, und der Kartenvorverkauf floriert prächtig.

In Karlsruhe geht es bei den Händel-Festspielen mit dieser Oper friedlich zu, allerdings musikalisch griffig und szenisch amüsant. Regisseur Alexander Fahima, Ausstatterin Claudia Doderer und Choreograf Michael Bernhard zeigen einen Typus Mensch, der sich – vom Machtrausch besessen – Göttlichkeit zumisst und dennoch von ganz irdischen Dingen buchstäblich auf den Boden geholt wird. Denn dieser Alessandro, dem die antike Welt zwischen Peloponnes und Indien zu Füßen liegt, erliegt der Verwirrung der Sinne. Rosanne oder Lisaura, das ist sein Problem, das er mit kunstvollen Koloraturen zu lösen versucht, und dabei den Spott der beiden Umworbenen auf sich zieht, zumal Lisaura ja eigentlich dem Gegenspieler und halbherzigen Verbündeten Tassile zugeordnet ist.

Wie aber die wundervollen, höchst anspruchsvollen Arien bildlich-szenisch verbinden? Menschliche Schwächen werden ironisiert; die Spießgesellen von Alessandro tauchen als „Drei Musketiere“ auf und parodieren das Gehabe durch brüchige Tanzschritte, hübsch gemacht. Den nicht vorhandenen tieferen Sinn  finden die beiden Sopranistinnen Yetzabel Arias Fernandez als Rosanne und Raffaella Milanesi als Lisaura im ehrgeizigen Projekt „Wer hat die schönste Stimme im ganzen Land?“. Da mag es einem gehen wie damals in London, als sich die Hörer stritten, ob nun der Faustina oder der Cuzzoni der Vorzug zu geben sei. Fernandez zeigt viel Wärme und Empfindung, Milanesi ein reines Leuchten einer eher schlanken Stimmführung, und beide brillieren mit überragenden Koloraturen. Die Intensität des Beifalls ist für beide Sängerinnen beinahe identisch, zumal sie permanent hübsch kostümiert – die eine anfangs mit Diana-Bogen, die andere mit koketter Krinoline – die Szene beherrschen dürfen.

Dann gibt es die drei Musketiere, denen Bariton Andrew Finden, Tenor Sebastian Kohlhepp und die Altistin Rebecca Raffell spielfreudiges und sängerisch untadeliges Profil geben. Alessandro und Tassile sind mit Countertenören besetzt. Lawrence Zazzo in der Titelfigur zeigt alles, was ein Counter geben kann, muss allerdings der mörderischen Partie insofern Tribut zollen, als er die Arien etwas uniform singt. Martin Oro gibt dem indischen König Tassile eher weicheres Profil, als ob sich dieser Herrscher in ein ungewisses Schicksal fügen will. Die von Michael Form geleiteten Deutschen Händel-Solisten musizieren einen durchaus attraktiven Klangteppich, dem allerdings manchmal mehr zupackender Gestus  abverlangt werden könnte.

Musik von Händel und einigen Zeitgenossen gibt es zudem am Abend zwischen Premiere und zweiter Vorstellung von Alessandro zu hören. Das Konzertereignis des Jahres, zumindest für Karlsruhe, ist die Gala mit Franco Fagioli, Max Emanuel Cencic, David DQ Lee und Xavier Sabata. Denn vier Herren desselben Stimmfachs auf absolut exzellentem Niveau im Wechsel hören zu dürfen, ist schon ein Ausnahmeereignis, weil jeder für sich in Arien zwischen Händel und Porpora, Vivaldi und Galuppi individuelle Farben, Ausdrucksmöglichkeiten und Brillanz vorführen kann. Getragen vom fulminant die barocken Affekte ausschöpfenden Prager Ensemble Collegium 1704 unter Leitung seines Gründers Vaclav Luks werden Glanzlichter am laufenden Band präsentiert. Bei aller schieren Unmöglichkeit, Unterschiede auszumachen – primus inter pares bleibt Franco Fagioli.  

Das Publikum ist mit der Oper hoch zufrieden und vom Konzert stürmisch begeistert.

Eckhard Britsch

Fotos: Markus Kaesler