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Fakten zur Aufführung 

THE SOUND OF A VOICE
(Philip Glas)
24. Mai 2012
(Deutsche Erstaufführung)

Pfalztheater Kaiserslautern

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Die Unmöglichkeit des Seins

Sand rieselt, Haufen bildend, aus drei verborgenen Quellen von der Decke, niemand kennt deren Umfang, aber jeder spürt: Es wird aufhören. Die Sanduhr der Vergänglichkeit läuft, die Zeit der Liebenden zerrinnt. Eine Quelle nach der anderen versiegt, das unvermeidliche Ende zeichnet sich ab. Einer der klugen Regieeinfälle von Andreas Bronkalla bei der Inszenierung in deutscher Erstaufführung der Kammeroper in zwei Teilen von Philip Glas. Der Raum im ersten Teil The Sound Of A Voice  nahezu leer, korrespondierend mit der prinzipiellen Hoffnungslosigkeit, die allen Annäherungen von Anbeginn innewohnt. Zwei, die alleine auf sich geworfen sind. Im Hintergrund eine Wand aus Bambusstangen, sperrig und spröde wie das Sein, in ihrer unbelaubten  Kahlheit verweigert sie jeden Schutz der  für die Liebe unabdingbaren Initimität.  Bronkalla spielt mit den Raumbotschaften, lediglich eine Matte für den archetypischen Krieger, der die starke Frau, die archetypische Hexe, besiegen wollte und in der aufkommenden Liebe schwach wird.  Einmal lässt er den homo ludens zu, tritt aus der von ihm selbst und überhaupt erwarteten Rolle, wenn er sein Abdomen als Trommel der Vergnüglichkeit einsetzt, um ausgerechnet dann auf  Unverständnis zu stoßen. Geschlechterkämpfe, bewusste wie unbewusste, in denen Erwartungen und Bedürfnisse in unauflösliche Konflikte treten. Ein abgründiges Spiel mit dem Abgrund, dialektische Zuordnungen von Stärke und Schwachsein. Im Raum steht eine vasa sacra, ein Opfergefäß mit Beaudelairschen Blumen des Bösen, in denen die Liebe zu allen bisherigen Männern aufgehoben wurde, im eliminierenden wie bewahrenden  Sinn. Wenn der Wind durch die Blüten weht und vermeintlich den sound of a voice erzeugt, erzählt diese Interpretation von Sehnsucht und Scheitern zugleich. Eine stringente und strenge  Personenführung, ein Bühnenbild, minimalistisch wie die Musik, jeder Gesichtsausdruck ein Bulletin der Empfindungen, der Körper wird zum Alphabet der Gebärdensprache, zwei, die Haltung bewahren, einander und sich nicht gehen lassen, einander anziehend und abstoßend, den  Fliehkräften nicht Einhalt gebieten könnend.  Bronkalla, dessen ausgeprägte Handschrift Vorfreude auf weitere Inszenierungen weckt, hat mit Arlette Meißner und Daniel Böhm die glückliche Konstellation gefunden, zwei Protagonisten für diese Oper auf die Bühne stellen zu können, die beides beherrschen: Den Gesang, der eine unglaubliche Konzentration erfordert  angesichts einer Instrumentalmusik, die ein Eigenleben führt und genau damit der Dialektik des Stückes entspricht, ausgestattet mit zwei schönen, farbreichen Stimmen, wie die Mimik und Körpersprache. Der Krieger, dem der Bariton Bestimmtheit und Selbstzweifel, Wagemut und  Wehmut einfärbt, die Einsame, die  Stärke und Fragilität, das Zarte und das durch Erfahrung Ernüchterte in die Stimme legt.

Der zweite Teil, Hotel of Dreams, sehr japanisch. Erfüllung im Opfer, der gemeinsame Tod als höchster Ausdruck der Liebe. Alterssexualität, Schönheit der Alten, die Unmöglichkeit, alleine aus der Erinnerung Lust und Erfüllung zu ziehen, die Themen im Etablissement, wo dem Schlaf beigewohnt wird.  Wieder ein überzeugendes Bühnenbild. Drei geometrische  Flächen, der Rest des Dickichts, Konjunktionen zum ersten Teil, wie die einzelne Blume, die der enttäuschte rasende Reporter knickt.  Die Bühne wie die Kostüme gestaltet von Anna Kirschstein. Wieder diese ansprechende Dialektik: Der archetypische Teil in japanischer Kleidung, nichts verkitscht, alles schlicht und streng, der Samurai und die Geisha, im zweiten, japanischen Teil westliche Kleidung, elegante Dame, erfolggewohnter Herr – trotz Schreibhemmung. Mit gerippter Unterwäsche, als Hinweis auf sein wahres Alter. Keine Maske, die auf alt macht, weil das eigentliche Thema zeitlos ist.  Ein Bild bleibt besonders haften: Wenn die Liebende im ersten Teil den bunten Kimono ausfährt wie Flügel, um  zum schwarzen Todesfalter zu mutieren. Die dezente Lichtführung liegt in den bewährten Händen von Manfred Wilking.

Bronkalla hat das Dirigat an Silvia Canali delegiert, Solorepetitorin am Pfalztheater.  Eine ebenso ungewöhnliche wie kluge Entscheidung. Das Kammerorchester wird von ihr souverän, ohne jede Selbstinszenierung, geführt, die beiden Sänger in ihren Einsätzen dezent unterstützt.  In dem kleinen Theaterraum ist jede Nuance zu hören, im guten wie im gnadenlosen Sinn, viele Soli charakterisieren die Komposition. Insgesamt eine ansprechende Performance mit einer Musik, die es Wert ist, mehrfach gehört zu werden, um ihre psychagogischen Raffinessen zu entdecken.

Das Publikum im ausverkauften Haus tief berührt, ergriffen von der grandiosen Interpretation durch  Arlette Meißner und Daniel Böhm, viele Minuten tosender Beifall für eine Erstaufführung, die nicht die letzte sein dürfte.

Frank Herkommer

 





Fotos: Isabelle Girard de Soucanton