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Fakten zur Aufführung 

DIE DREIGROSCHENOPER
(Kurt Weill/Bertold Brecht)
17. März 2012
(Premiere)

Pfalztheater Kaiserslautern


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Brechtig

Circus Vomitate. Der Name ist ein lateinischer Imperativ Plural, der dazu auffordert: „Übergebt Euch! Brecht!“. Ein Teekesselchen der neckischen Art. In der Tat ist das eine „Brechtige“ Idee, die Michael Lerchenberg einbringt, wenn er die Dreigroschenoper als Zirkusaufführung inszeniert. Und Dialektiker, der er ist, wie der Autor der Dreigroschenoper, erreicht er mit der Technik der Verfremdung, die Distanz schaffen soll, den Verstand schützen vor der Einlullung durch eine durchgehende Handlung, eine Einheit. Aus einer lockeren Aneinanderreihung von Songs wird eine flotte, tempogeladene Nummernshow, mit einer Sogwirkung, der man sich nicht entziehen möchte. Es wird viel gelacht an diesem Abend. Auf der Bühne agieren Lispler und Stotterer im Clownskostüm.  Wenn die Nutten eine „Pussy“ haben, dann ist sie nur aufgenäht. Eines der Hühner schält Kartoffeln, sein Kostüm parodiert die Bezeichnung. Dem Nummerngirl macht das Zwerglein Konkurrenz. Lerchenberg spielt nicht den weltanschaulichen Oberlehrer, er lässt mit Bällen und Reifen spielen. Er macht aus der Bettleroper kein weiteres Lehrstück. Die Kapitalismuskritik der Occupybewegung und Stéphane Hessels tippt der Intendant von Wunsiedeln eher beiläufig an. Er weiß, dass heute andere Schlachten geschlagen werden als in den Zwanzigern und beutet nicht die Erfahrungen von Menschen aus, die im 21. Jahrhundert, aber anderswo unter Manchesterverhältnissen leben. Er setzt eher den jungen Brecht in Szene, der Bürgerschreck aus den frühen Gedichten um Apfelböck, verderbte Unschuld und Bahnarbeiter, die in ihren Hütten die Auferstehung des Fleisches feiern. Lerchenberg schafft es, Sympathie hervorzurufen für Prostituierte und Kriminelle, Trinkerinnen und korrupte Polizisten, in eine Welt zu entführen und emotionale Identifikationen zu provozieren, die der heutigen selbstgerechten Spießigkeit im Umgang mit Scheitern und Gescheiterten eher fremd sind.

Das Bühnenbild von Jörg Brombacher nimmt die gesamte Fläche in Anspruch. Die  Musiker spielen wie im wahren Zirkus über der Manege auf, unter der Leitung von Rodrigo Tomillo, der nicht nur die Partitur, sondern auch die Texte im Kopf hat, der so wunderbar bei der Sache ist, seine Band zu hinreißender, mitreißender Musik dirigiert, dass man nicht weiß, wohin man schauen soll: zu ihm oder dem Geschehen in der Manege. Natürlich fehlt nicht die Schaukel, auf der Polly Peachum gekonnt ihren Song schmettert; Kisten, die sich schnell arrangieren lassen zu einer Hochzeitstafel. Und eine besondere Kiste, in der Mackie Messer zersägt wird. Das Gefängnis ist ein Raubtiergitter, wie es sich anbietet.

Die Kostüme sind entsprechend bunt, schrill, mit liebevollen Details gearbeitet. Andrea Fisser verpasst dem Moritatensänger eine wunderschöne Direktorenlivree, den Nutten Unterwäsche, die orgasmusverzögernd wirkt, jedes Kostüm möchte man einer längeren Einzelbetrachtung unterziehen; pfiffig auch die Hommage an Hannibal Lektor.

Stimmlich herausragend stechen drei Protagonisten hervor. Als Polly Peachum Friederike Butzengeiger, als Mackie Dominique Bals und als Münzmatthias Jan Henning Kraus. Wenn das Lied der Seeräuberjenny erklingt, kommt Gänsehaut auf. Alle Gesangsdarbietungen der Schauspielerinnen und Schauspielern sind von großer interpretatorischer Dichte. Schauspielerisch sind sowieso alle ein Genuss: von Oliver Burkia als Moritatensänger und Hochwürden Kimball über Peter Nassauer in der Rolle des bauernschlauen, unter dem Pantoffel stehenden Peachum bis hin zu allen anderen. Hannelore Bähr ist seine herrlich abgesoffene, gerne schreiende Frau, Markus Kloster spielt Filch und das Huhn Molly, urkomisch und hoch präsent. Henning Kohne stottert sich zwerchfellerschütternd clownesk durch die Rolle des Trauerweidenwalter, um dann breitbeinig die nölige Nutte Betty zu geben. Rainer Furch begeistert als  Hakenfingerjakob, der weiß, wann es die Fronten zu wechseln heißt. Günther Fingerle spielt den Sägerobert wunderbar infantil, die Sprechstimme weit oben, und den Konstabler. Jan Henning Kraus besticht mit der einschmeichelnden Samtstimme als Münzmatthias und geile Vixen - was sich Brecht bei diesem Namen wohl gedacht hat? Rainer Karow glänzt als bedrängter Polizeichef Brown, der sich den Titel Freund und Helfer redlich verdient, Antje Weiser ist eine überzeugend moralisch verkommene Spelunkenjennie, Elif Esmen brillant und krawallig als Lucy, die  betrogene Zweitfrau des Mackie. Die Statisterie präsentieren sich in zirzensischer Hochform.

Das Publikum ist hellauf begeistert. So macht Politprop Spaß. Selten war die Premierenfeier so gut und lang besucht wie an diesem Abend.

Frank Herkommer







Fotos: Stephan Walzl