Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

RINALDO
(Georg Friedrich Händel)
29. April 2011 (Premiere)

Oper Köln


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Sieg des Christentums (?)

Nicht so sehr die Liebeswirren, nicht die Magie oder gar der funkelnde Titelheld ist es, was Sabine Hartmannshenn an Händels Rinaldo interessiert. Sie erzählt vielmehr vom Jahrhunderte alten Kampf der Religionen, der mit Grausamkeit geführt wird und ohne jede Toleranz.

Dieter Richter baut eine Art Offizierskasino einer Kolonialmacht, der aber auch ein US-Stützpunkt im Irak sein könnte. Hinter einer Weltkarte verbirgt sich eine zweite Bühne, die eine zweite Spielebene erlaubt. Hier finden Rinaldo und Almirena einen Paradies-Liebesgarten, natürlich mit Schlange inklusive - und hier ruht viel später auch der weise Mann in seinem Sarg, gruselig von Totenköpfen umgeben.

Doch zunächst entspannt sich der Kriegsheld standesgemäß beim kolonialen Polo, während Feldherr Goffredo und sein Bruder Eustazio, hier angelegt als geistlicher Würdenträger, die Christianisierung des Morgenlandes besiegeln wollen. Im entbrennenden Kampf schreckt keine Seite vor irgendwelchen Grausamkeiten zurück. Die Widersacher der Christen, Argante und Armida, planen Entführungen und Mord. Irgendwann kommen auch Gefühle ins Spiel, die in Hartmannshenns Sicht aber eher instrumentalisiert werden. Beim großen Show-down siegen die Christen und der heldenhafte Rinaldo entpuppt sich als moderner Folterer nach Maß. Der Zweck heiligt die Mittel und die Barbaren werden bekehrt, ob sie wollen oder nicht. Dass das kein modernes Phänomen ist, sondern (auch) schon zu Händels Zeiten bekannt war, verdeutlicht Susanna Mendoza, indem sie die Helden zwischenzeitlich in wunderbar farbige und prächtige Barock-Kostüme steckt.

Am Ende sind die einen Sieger, die anderen unterjocht und scheinbar bekehrt. Nur Almirena ist desillusioniert, ist ihr angebeteter, strahlender Recke Rinaldo doch nichts anderes als ein brutaler Inquisitor. Schaudernd weicht sie vor ihm zurück.

Mit Alessandro De Marchi steht ein Spezialist für Alte Musik am Pult des Gürzenich-Orchesters, das historisch informierte Spielpraxis pflegt. Größtenteils gelingt das prächtig, im Detail gibt es da ganz wunderbare Erlebnisse: Solo-Oboe und Solo-Fagott klingen überaus edel, die Streicher-Soli sind perfekt, das Blockflöten-Trio präsentiert sich ganz ausgezeichnet. So kommt Händels tolle Musik mit all ihren Emotionen unmittelbar beim Publikum an. Lediglich die hohen Trompeten erwischen einen rabenschwarzen Premieren-Tag. Da kiekst es reichlich und immer wieder. Ein Superlativ dagegen: der atemberaubend virtuose Cembalist!

De Marchi erweist sich aber auch als absolut sängerfreundlicher Dirigent und lässt dem lustvollen Miteinander der Stimmen freie Entfaltung. Und die agieren wunderbar als Ensemble und auch solistisch – lediglich Wolf Matthias Friedrich als Argante lässt da Defizite erkennen. Seine Stimme kann entweder nur übermäßig laut – oder nur so leise, dass man sie kaum oder gar nicht hört! Eine unangenehme Marotte.

Stimmlich und schauspielerisch sicher gestalten die Mitglieder des Opernstudios Yong Doo Park, Gustavo Quaresma Ramos, Ji-Hyun An und Kathleen Parker die kleinen Partien.

Krenare Gashi ist eine süße Almirena, leidend und liebend, kokett und schüchtern zugleich. Ihr Sopran wirkt noch ein wenig „geradeaus“, etwas einförmig, lässt das „Lascia, ch’io pianga“ aber wundervoll und betörend strömen.

Steve Wächters Altus ist noch ein ganz klein wenig schmal. Aber seine stupende Sicherheit, sowohl was die Intonation als auch die Agilität in den Koloraturen angeht, machen seine Eustazio-Arien zu einem purem Vergnügen. Das gilt noch mehr für Hagen Marzeit als Goffredo. Er singt (ebenfalls als Altus) den Eroberer, der durch und durch glutvoll für sein Ziel kämpft und allerlei stimmliche Farben mobilisiert. Patricia Bardon hat beste Kondition für die anspruchsvolle und fordernde Titelrolle, bietet schon fast vergessen geglaubte Tiefen einer echten Altistin und glänzt mit kraftvoller Höhe. Schlichtweg beeindruckend!

Aber – und da gibt es gar nichts zu deuten – dieser Abend hatte einen Namen: Simone Kermes. Kölns Opernintendant Uwe Eric Laufenberg setzt ja auf die temporäre Verpflichtung großer Namen. Ein an sich fragwürdiges Konzept, der dauerhaften Publikumbindung sicher nicht förderlich und eher erinnernd an die negativen Seiten der alljährlichen Festivalplage. Aber: es kann eben auch funktionieren! Wie hier im Rinaldo. Denn Simone Kermes ist absolut ensembletauglich und versucht sich nie und nirgends in den Vordergrund zu singen. Ist sie dagegen solistisch am Zug, gibt sie (im besten Sinne) eine Diva par exellence. Sie spielt mit ihrem Publikum, fordert sofortige Reaktion ein und tritt in direkte Interaktion. Die Regie lässt ihr dazu Raum, etwa am Ende des zweiten Akts mit dem Racheschwur. Da zieht die Kermes quasi eine Solo-Performance ab, die absolut in den Händel-Rahmen passt!

Das Kölner Premierenpublikum straft Sabine Hartmannshenn mit Buh-Orkanen. Ganz offensichtlich ist Meissner-City noch immer nicht bereit für eine Folterszene mit Kreuz. Dabei sollten gerade die Kölner doch das Karfreitags-Geschehen bestens kennen und reflektieren können.

Christoph Schulte im Walde

 







Fotos: Paul Leclaire