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Fakten zur Aufführung 

LA FUGA IN MASCHERA
(Gaspare Spontini)
31. August 2012
(Premiere)

Pergolesi Spontini Festival, Jesi, Teatro Pergolesi


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Una figata!

Bei Gaspare Spontini denkt man gleich an Grand Opéra: große ernste Oper, an „La Vestale“, an Paris und Berlin. Aber auch Spontini hat einmal „klein“ angefangen, klein und komisch und in Neapel.

In der rund 40.000-Einwohner-Stadt Jesi, nahe Ancona, stellt das dortige Spontini-Pergolesi-Festival in seiner diesjährigen zwölften Ausgabe, und in Kooperation mit dem Teatro San Carlo in Neapel, die moderne Erstaufführung einer neapolitanische Karnevalsoper Spontinis aus dem Jahr 1800 in den Mittelpunkt. Spontini wurde 1774 in Jesi geboren, ebenso wie 64 Jahre zuvor Giovanni Battista Pergolesi. Beide Komponisten stehen im Mittelpunkt der langjährigen Forschungsarbeit der Fondazione Pergolesi Spontini, die in Jesi die Opern- und Konzertsaison und seit 12 Jahren auch ein Sommer-Festival bestreitet, beide durch massive Kürzungen in der italienischen Kulturförderung auf ein Minimum an Vorstellungen reduziert, jedoch auf gleich bleibend hohem Niveau. Nicht umsonst erhielt das Festival 2011 den Kritikerpreis Premio Abbiati der Associazione Nazionale Critici Musicali.

Wie sein Landsmann Pergolesi, hat auch Spontini in Neapel studiert, genauer von 1793 bis 1795 am Conservatorio della Pietà de' Turchini, einer der vier musikalischen Kaderschmieden der Stadt am Fuße des Vesuv. Und in Neapel erhielt Spontini auch seine ersten Engagements als Opernkomponist. Mit der musikalischen Komödie La Fuga in Maschera, seinem siebten großen Bühnenwerk, nahm Spontini freilich auch Abschied von Neapel. Es handelt sich um eine typische Karnevalsklamotte mit vielen Commedia-dell’Arte-Elementen, die mit einem Maskenfest endet und bei der man ständig denken muss, dass auch ein Gioacchino Rossini eben doch auf exzellente Steilvorlagen aus Neapel aufbauen konnte.

Der Plot des Librettisten Giuseppe Palomba ist simpel, irgendwie bekannt und doch höchst effektiv. Unter anderen Vorzeichen erinnert er an jene in Italien so beliebten Cinepanettone genannten Familienfilme, die dort alljährlich zu Weihnachten in die Kinos kommen und in die ganze Familien-Clans am ersten Weihnachttag nach dem großen Mittagsgelage gehen und bei denen im Grunde derselbe Plot, mit nahezu denselben Schauspielern lediglich an anderen Orten der Welt abläuft: Der Maler Marzucco will seine Tochter Elena mit Filebo, einem Doktor der Physik und Medizin verheiraten, den er in einem Kaffeehaus kennen gelernt hat. Deshalb malt er für ihn ein Portrait seiner Tochter, das – wie die Dienerschaft bemerkt – nicht unbedingt dem tatsächlichen Aussehen Elenas entspricht. Elena träumt indes, der Literatur ihrer Zeit gemäß, von einem Naturmenschen, am liebsten einem Hirten. Sobald sie den Gemüsehändler Nardullo im Hause ihres Vaters antrifft, verliebt sie sich Hals über Kopf und will von einem Doktor nichts mehr wissen. Als Marzucco dort mit Filebo erscheint, versteckt sich Nardullo hinter dem Portraitgemälde Elenas und belauscht sie. Filebo entpuppt sich als typischer Vertreter jenes „Dottore“ der Commedia dell’Arte, der pausenlos wissenschaftliche Fachbegriffe absondert. Damit berückt er den Maler und auch dessen Nichte Olimpia, doch Nardullo erkennt in ihm den Hochstapler Doralbo. Deshalb schneidet er kurzerhand ein Loch in Elenas Portrait und steckt sein eigenes Gesicht hindurch. Filebo/Doralbo ist entsetzt vom Antlitz seiner zukünftigen Braut, und Marzucco begreift nicht, warum. Die Sache spitzt sich zu, als auch die Dirne Corallina im Hause Marzuccos auftaucht: Sie ist Nardullos Schwester und die Exgeliebte Doralbos. Mit ihm gemeinsam will sie die Familie Marzucco nach Strich und Faden ausnehmen. Drei turbulente Akte und unzählige rasante Kampf- und Ensembleszenen später, mit größten Verwirrungen, Verwechslungen und gegenseitig gestellten Fallen, allerlei gefälschten Ehekontrakten, Gewitter und einer Geisterbeschwörung, mündet alles in einem Maskenball, bei dem das Publikum im Saal sich als Spontini maskieren kann. Am Ende fliehen Nardullo und Elena unter dem Schutz der Masken ins gemeinsame Glück.

Nach der Uraufführung im Teatro Nuovo sopra Toledo zu Karneval 1800 in Neapel verschwand La Fuga in Maschera in der Versenkung, und Spontini machte bald Karriere nördlich der Alpen. Die Partitur galt als verschollen, bis sie 2007 auf einem Londoner Antiquitätenmarkt wieder auftauchte, mit der Signatur Spontinis gut leserlich auf der Titelseite. Die Musik Spontinis zeigt alle Qualitäten und Mängel ihrer Zeit, des Genres und der Aufführungsumstände: Sie will nicht mehr sein als gute Unterhaltung und funktioniert doch oder gerade deshalb wie am Schnürchen. Sie wiederholt sich unaufhörlich und macht dabei trunken und glücklich. Ihre Spaß-Maschinerie fußt im komischen Neapel, aber Melodie und Orchestrierung lassen den späten „großen“ und „ernsten“ Spontini aus Paris und Berlin erahnen, etwa in Momenten wie dem Quintett des zweiten Aktes Dolce e vaga Ziterea mit solistischen Harfen-, Flöten-, Oboen- und Hornpassagen.

„Den Absichten des Autors so nahe wie möglich zu kommen“, indem er sich vorzustellen versucht, „wie das ursprüngliche Verhältnis zwischen der Oper und den Zuschauern gewesen ist, für die sie bestimmt war“, umschreibt der Regisseur Leo Muscato sein Konzept und beweist, dass historisch informierte Aufführungspraxis auch auf der Bühne keineswegs museal sein muss. Dazu bedarf es allerdings des Regiehandwerks, gekonnter Personenführung, hervorragender Sängerschauspieler und der drei Slapstick-Mimen Andrea Bartola, Andrea Caimmi und Simone Luglio. Leo Muscato inszeniert das Ganze als großen Spaß, als Klamotte ohne weiteren Tiefgang, aber mit einem ganzen Feuerwerk an Gags und Einfällen. Man könnte lediglich anmerken, dass etwas weniger action auf der Bühne teilweise mehr wäre. Bühnenbilder Benito Leonori und sein Lichtdesiger Alessandro Verazzi schaffen dazu eine fast leere Bühne, die nach vorne von einer transparenten Jalousie abgetrennt ist, auf die alle Bühnenbildelemente und -bewegungen in einer Decoupage-Ästhetik projeziert werden, wobei jeder der Protagonisten ein Leitmotiv erhält, wie etwa Olimipia Gänseblümchen oder Elena Herzchen. Dazu passen die skurrilen knallbunten Kostüme von Giusi Giustino. Die Handlung findet fast komplett an der Rampe statt, was auch der schwierigen Bühnen-Akustik des Teatro Pergolesi in Jesi entgegen kommt. Gesungen wird gut bis sehr gut. Man versteht jedes Wort und das auch in den vielen halsbrecherischen Ensemble-Szenen. Unter den Sängerinnen verdienen Ruth Rosique als leicht hysterische - an Isabelle Huppert in Acht Frauen gemahnende – Elena und Alessandra Marianelli als vulgär-raffinierte Corallina besonderes Lob, bei den Herren vor allem Filippo Morace als Marzucco. Corrado Rovaris, ein aktueller Stern am italienischen Himmel der historisch informierten Aufführungspraxis auf nicht historischen Instrumenten, dirigiert mit Verve und sichtlichem Spaß vom Cembalo aus - und mit der Bühne sprichwörtlich auf Augenhöhe - das hervorragend spielende Festival-Orchester I Virtuosi Italiani.

Das altersmäßig äußerst bunt gemischte Publikum – schon die Generalprobe war für Schüler offen - ist quer durch alle Altersklassen schier hingerissen. Es spendet, für Italien eher außergewöhnlich, nicht nur langen, sondern auch rhythmischen Applaus mit vielen bravi-Rufen für alle. „Una figata!“ – „Echt geil!“, formuliert eine jugendliche Operngängerin. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Sabine Radermacher

Fotos: Stefano Binci