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Fakten zur Aufführung 

BORIS GODUNOW
(Modest Mussorgsky)
8. März 2012
(Premiere)

Theater Hof


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Feuerwall

Es ist das innere Feuer, dem kein äußerer Feuerwall Einhalt gebieten kann, der  als Szenenteiler in dieser nachhallenden Inszenierung sowieso nie das Ganze abdeckt und damit nicht einmal den Anschein erwecken möchte, vor den Protubationen der Seele hinreichend Schutz gewähren zu können. Es gibt kein Entrinnen vor sich selbst. Wahn ist Sühne – russische Themen von Puschkin bis Dostojewski schweben im Raum.

Urs Häberli, kommender, und Johannes Reitmeier, gehender Intendant am Pfalztheater inszenieren am Theater Hof gemeinsam den Boris Godunow und zeichnen ein stimmiges Psychogramm von Schuld und Wahn, mit Bildern zwischen Ibsenschen Gespenstern und Poeschen Bedrängungen. Freud trifft Puschkin. Und West fühlt mit Ost, das ewig junge ex oriente lux. Innere Vorgänge werden von den Regisseuren visualisiert,  wenn der gemeuchelte Zarewitsch als blasser Jüngling im elysischen Weiß immer dann dem Godunow  erscheint, wenn er am wenigsten zu gebrauchen ist. Der Gottesnarr fällt gleich zu Beginn aus der bis dahin hermetischen Feuerschutzwand und damit aus der geschützten Ordnung. Er wartet nicht als omnipräsentes Gewissen, bis ihm Mussorgsky seinen Auftritt verpasst. Das sind die Klammern, die die sieben Bilder zusammen halten, wie die latente Bedrohung in Person des Grigorij, der auch ohne Rolleneinsatz im Hintergrund lauern kann. Litauen als Seelenlandschaft. Aus Geschichte wird Gegenwart, wenn in der Schlussszene die Bojaren und die weiteren Protagonisten in Gegenwartskleidung auftreten und jeder versteht: Macht- und Nachfolgerspiele kann man auch 450 Jahre später im Kreml erwarten.

So freudlos die Zwangsneurose subjektiv, die Zwangslage objektiv in Form eines Raumes dargestellt werden, kalt und grau, der sich bedrohlich verjüngt und keinen Ausweg offen lässt, wenn man wie Pimen nach hinten geht, dann um zu sterben, so liebevoll sind die einzelnen Bilder gemalt. Zwei Meister der Verdichtungen packen ihre Farben aus und schlagen das Publikum in Bann. Man spürt die Armut des hungernden Volks, der Chor wird zum glänzend aufgelegten spielenden Akteur. Eine kleine Trennwand, und aus einem immer noch angstgebärenden Kloster wird eine Zelle, in der Eitelkeit, Verschlagenheit und Größenwahn in einer Mönchsbrust schlagen. Frau Wirtin braucht nur einen Tisch, um ein Gelage zu veranstalten. Schade, dass dieses Regietandem bald getrennte Wege gehen wird.

Das komplexe und konkludente Bühnenbild entwickelt Rudolf Rischer. Wenn sich Querbalken in der Todesstunde wie eine Mischung aus Schafott und Poeschem Pendulum herab senken, oder man die Schankwirtin vor dem geistigen Auge auf dem Hof sieht, in dem sie sich übergibt – Regie und Bühnenausstattung sind aus einem Guss. Die Kostüme von Barbara Schwarzenberger zeichnen ein Russlandbild zwischen Herrlichkeit und Elend. Man muss nicht ins Programm schauen, um jede Figur zuordnen zu können. Zu sehen sind Popen von beeindruckender Zeitlosigkeit, Royals in verspielter Eleganz.

Das Orchester unter Leitung von Arn Goerke spielt mit russischer Seele: ohne falsche Wucht, die psychischen Vorgänge verdichten sich zu Musik, dann wieder die Modernität Mussorgskys, fast schon Filmmusik, untermalend und interpretierend. Beeindruckend ist die hohe Qualität für ein Theater in einer kleinen Stadt. So auch der Chor, den Michel Roberge einstudiert hat. Voller Spielfreude, die sich einlässt auf die intelligente Raumaufteilung und Zuordnungen Häberlis und Reitmeiers, die den Anforderungen dieser großen Choroper beglückend nachkommen.

Wieland Satter gibt der Rolle des Boris Godunow die Nuancen, deren es bedarf, um den Wahnsinn nicht zur übertriebenen Farce werden zu lassen, verstörend schön, mit einer Stimme, die wie gewohnt über eine enorme Strahlkraft verfügt.  Paulo Ferreira hat nicht von ungefähr mit Anna Netrebko auf einer Bühne gestanden. Der portugiesische Tenor, Ensemblemitglied in Hof, brilliert stimmlich in der Rolle des Grigorij, eine Stimme von außergewöhnlicher Schönheit. Alle Gefühle werden darstellerisch und im Gesang glaubhaft transportiert, von Angst bis Eitelkeit. Andrew Zimmerman, nach Jahren seiner Professur zurück in Deutschland, glänzt mit seiner eleganten, fein nuancierenden Stimme, ein Fürst Schuiskij, dessen Unberechenbarkeit Zar und Zuschauer gleichermaßen verunsichert. Ingrid Katzengruber in der Hosenrolle des Zarensohnes Feodor - ihre konzentrierte Stimmführung ohne jedes Tremolieren, die klare Schönheit der Sopranstimme prädestinieren sie für diese Rolle. Als Xenia, die Zarentochter,  agiert Inga Lisa Lehr, wunderschön im Aussehen und anmutig im Auftreten, mit einer Stimme, die jeder Rolle eine eigene Färbung zu geben versteht. Stefanie Rhaue ist eine köstlich komödiantische Schankwirtin. Überragend die Leistung von Thomas Rettensteiner als entlaufener Mönch Warlaam, mit einer in die Tiefen eindringenden Baritonstimme,  die zu Recht vom Publikum gefeiert wird. Karsten Schröter überzeugt in der Rolle des Pimen, mönchisch, ohne falsches Pathos. Ansprechend Thilo Andersson als Geheimschreiber und Karsten Jesgarz als zweiter entlaufener Mönch Missail. In den weiteren Rollen treten Chong Sun als Gottesnarr, Igor Storozhenko als Vogt/Hauptmann, Wladimir Polatynski als Bauer, Thorsten Stammberger als Leibbojar sowie Hannes Krauß, im Wechsel mit Felix Walther, als hochkonzentrierter Gespensterknabe auf.

Das Publikum feiert minutenlang alle, einschließlich des Regieteams, das mit bravi-Rufen bedacht wird. Große Oper in einem schicken Theater, mit schickem Publikum und, wie schön, ohne Reden danach. So sieht mündiger Umgang mit dem Publikum aus. Gefeiert wurde trotzdem oder gerade deshalb bis tief in die Nacht im Theaterbistro. Wie man hört, soll Intendant Uwe Drechsel noch stilgerecht mit Reitmeier und Häberli mit Wodka anstoßend gesehen worden sein.

Frank Herkommer

Fotos: SSF-Fotodesign