Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DER ZAREWITSCH
(Franz Lehár)
22. März 2014
(Premiere)

Theater für Niedersachsen,
Großes Haus Hildesheim


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Oberflächliches Liebesmärchen

Der Zarewitsch ist die Geschichte eines für kurze Zeit wahrgewordenen Liebesmärchens: Der Zarewitsch Alexej verliebt sich nach langem Desinteresse an Frauen durch Kuppelei seines Vaters, des Zaren, und dessen Diener in die Tänzerin Sonja. Bis hier ein typischer Operettenstoff. Aufgrund des Standesunterschiedes wird die Beziehung allerdings nicht akzeptiert und die beiden müssen fliehen. Als der Vater stirbt, muss der Zarewitsch dessen Posten bekleiden, und das Paar verzichtet zugunsten des Vaterlandes auf seine Liebe. Von bloß heiterer Operettenseligkeit ist hier thematisch nichts mehr zu spüren. Franz Lehárs märchenhafter Opernstoff, der auch durch textliche Bezüge an Aschenputtel und den Prinzen erinnert, hat durchaus Potenzial für eine tiefe, berührende Geschichte. Aber leider nicht in Hildesheim. Hier bleibt die Interpretation von Klaus-Dieter Köhler doch sehr an der Oberfläche. Die Charaktere bleiben Bühnencharaktere, die auf einer wenig emotionalen Ebene schauspielern. Da gibt es zum einen das Paar Alexej und Sonja – zwei stocksteife Bekannte, später Freunde, die bruchlos von einem zum anderen Akt ein gänzlich verliebtes, scheinbar sorgenfreies und luftig-leichtes Leben in Italien führen. Der Kammerdiener Iwan und seine Frau Mascha, von deren Ehe niemand etwas erfahren darf, sind genau das Gegenteil: lustig, lebensfroh und im Streit auch gerne laut, denn Iwan guckt auch anderen Frauen hinterher. Ihre „Heimat“ ist der Slapstick und es gibt „Running Gags“, die sich durch das ganze Stück ziehen: Zum Beispiel das von Iwan immer wieder gebrauchte Wort „Sotschi“, eine Stadt in Russland und eine der Spielstätten der Fußball-WM 2018, hier allerdings eher für „alles ok“ gebraucht. „Gesundheit“ bekommt Iwan auch immer wieder als Reaktion auf „Sotschi“ zu hören. Das ist komisch, sicherlich. Aber nach zweieinhalb Stunden büßt diese Minikonversation doch an Komik ein. Geschuldet ist die mitunter gezwungene Komik wohl auch den an sich flachen Dialogen, die Köhler versucht, mit derart humoristischen Elementen zu beleben. Allerdings fehlt es der Inszenierung einfach an mehr Geist, etwas Fesselndem, Realem, das auch durch den dritten – modernen – Akt vor der malerischen Kulisse Neapels nicht erreicht wird.

Steffen Lebjedzinski deutet mit dieser Italienlandschaft auf Leinwand die große Weite an, die der Zarewitsch sich so sehr ersehnt hat – war er doch bis dahin in seinem goldenen Käfig gefangen. Von goldenem Käfig ist allerdings wenig zu spüren, eher erinnert der in Weiß und Gold gehaltene Raum mit seinen üppigen roten Vorhängen an einen Märchenpalast, von dem keine Enge ausgeht. Lediglich die modernen Turngeräte wollen nicht ins Bild passen. Für die Kostüme hat Lebjedzinski die Darsteller mit Uniformen, ausladenden Kleidern und den typisch russischen Winterfellmützen ausgestattet. Da ist viel Märchenhaftes dabei, aber auch unecht aussehende Bärte für gestandene Klischee-Russen.

Schauspielerisch überzeugt vor allem Jan Kristof Schliep als Iwan, allerdings neigt er zur Überzeichnung. Er ficht ein zwischen wirklicher und gezwungener Komik stattfindendes Wortduell mit Uwe Tobias Hieronimi in der Rolle des Bordolo, eines italienischen Lebemanns, der Iwans Frau verführen will, aus. Mit tenoralem Schmelz glättet er immer wieder die Wogen zwischen ihm und Mascha, die von Regine Sturm gegeben wird. Die temperamentvolle Sängerin und Darstellerin macht sich in der Rolle der eifersüchtigen, gar nicht so treuen Ehefrau wunderbar. In ihrem Schauspiel ist Feuer drin, das sie auch in ihrer Stimme nicht vermissen lässt. Besonders die Duette der beiden Darsteller machen Spaß. Gegenteilig hierzu Konstantinos Klironomos, der steife Zarewitsch, der auch an der italienischen Küste nicht richtig „locker“ werden kann – seine Küsse sehen doch etwas gekünstelt aus. Der Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme gelingt ihm im Verlauf des Stücks immer besser, aber mehr Sentiment hätte dem Gesang gut getan. Antonia Radneva, seiner geliebten Sonja, fehlt es an charakterlichem Entwicklungspotenzial, ihre liebevolle Art kann sie nur zum Schluss zeigen und mit warmem Sopran unterstreichen.

Musikalisch kann Daniel Stratievsky die komischen und tragischen Momente, welche Elemente russischer Volksmusik, Liebeslieder, einen Tango, italienische Tänze, das Wolgalied und natürlich die wunderschönen Buffo-Lieder umfassen, sehr fein herausarbeiten. Mit Esprit führt er das Orchester des TfN an der Seite von Achim Falkenhausen, der den Chor einstudiert hat, durch eine weich-fließende Partitur, bei der er besonders die volkstümlichen Elemente wie eine prägnante Harfenmelodie klug herausarbeitet.

Das Publikum zeigt sich von der Aufführung mehr als begeistert: Es gibt viel Zwischenapplaus, stürmischen Beifall für die Sänger, aber nur gemäßigten Applaus für das Regieteam – trotzdem lässt das Publikum das Team mit stehenden Ovationen wissen, wie sehr ihm die Aufführung gefallen hat.

Agnes Beckmann

Fotos: Andreas Hartmann