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Fakten zur Aufführung 

HAIR
(Galt Mac Dermot)
5. Januar 2014
(Premiere am 29. September 2013)

Theater für Niedersachsen, Hildesheim


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Vietnam und Weißer Schnee

Der Beginn schockt: Laut donnernder Kriegslärm, MG-Salven, Detonationen, aufspritzende Erdfontänen, dazwischen Soldaten, lebend oder tot – amerikanische Soldaten – Krieg in Vietnam. Und dafür geboren werden, dafür leben, um dort zu sterben? – Das ist die Frage, die in den 1960-ern die junge Generation in den USA sich selbst, ihren Eltern und Politikern stellt. Denn der Vietnamkrieg eskaliert, in dem die Militärgroßmacht USA das kommunistische Nordkorea in die Knie zwingen will.

Auf die Frage gibt sich diese Generation ihre eigene, ungewohnte und protestierende Antwort: Wir verweigern den Armeedienst, den sinnlosen, mörderischen Kampf um Vietnam und gegen die Nordvietnamesen und suchen unser eigenes, friedliches Leben voller Freundschaft, Liebe, Räuschen und Träumen, ein Leben in bunten Bildern und LSD-beflügelten Phantasien zwischen Blumen und Verweigerung – die Hippiebewegung ist geboren.

Mit dem Musical Hair treffen 1967 Gerome Ragni und James Rado genau diese Stimmung, Galt MacDermot fasst sie in Songs und flotte Popmusik. Gemeinsam finden und erfinden sie ein musikalisches Sprachrohr für einen Jugendprotest neuer Art, in dem eine nonkonformistische Generation der bürgerlich-kleinkarierten amerikanischen Ordnungsgesellschaft entfliehen will und sich ihr eigenes, buntes Paradies baut.

Katja Buhl nimmt in ihrer Hair-Inszenierung diese Stimmung auf und macht daraus einen Bilder- und Musikbogen einer unbekümmerten, zwischen bunten Farben, freier Liebe und Dämpfen von Wasserpfeifen wabernden Welt, in denen die Hippie-Generation in ihren Tag hinein lebt, unbekümmert und selbstbezogen dem sorglosen Alltag hingegeben. Steffen Lebjedzinski nutzt diesen Hintergrund für eine buntfarbige Ausstattung, in der Elemente traditioneller Indianerkleidung ebenso auftauchen wie die wallenden Tücher und, quasi als Markenzeichen, die langen Haare. Beleuchtungseffekte, die die ganze Bühne in weiches Licht tauchen, verstärken den Eindruck einer Traumwelt. Lediglich die Anfangs- und Schlussvideos bringen die harte Vietnam-Realität in Schwarzweiß zurück.

Als der junge Claude seine Einberufung erhält, ist für ihn Schluss mit lustig. Er gerät in einen inneren, existentiellen Konflikt, der ihn schließlich an die Vietnamfront und dann schließlich auch unter ein weißes Kreuz bringt, Vietnam… Erst in diesem letzten Teil der Aufführung erhält die Inszenierung in Spiel und Musik die Eindringlichkeit und Ernsthaftigkeit, die eigentlich die Basis der Hippiephilosophie mit ihrer verspielten, aber doch ernst gemeinten Gesellschaftskritik bildet. Es sind nicht nur die Spinner und Träumer, die mit dem Song Let the sunshine in den farbenfrohen Alltag hinein leben, es sind auch die ernsthaften Protestler und Widerständler, deren Protest Ain't got no home… ein politisch gemeintes Anliegen ist, das auch die LSD-Schwaden nicht verdecken können.

Die Band unter Andreas Unsicker hat keine Mühe, die zahlreichen, inzwischen gut bekannten und zu Popstandards gewordenen Songs schwungvoll auf die Bühne zu bringen. Von Aquarius über I'm Black bis zum Finalsong Let the sunshine in freuen sich die Zuhörer über viele „alte“ Bekannte. Die bunt gewürfelte Truppe bringt diese Songs gekonnt und sicher auf die Bühne, allen voran Jonas Hein als Claude und Caroline Zins in der Rolle der Sheila.

Das Publikum reagiert altersgemäß gespalten: viele junge Leute sind begeistert und applaudieren ausgiebig, auch wenn ihnen diese emotional-weiche Musik schon ein wenig fremd ist. Ältere Besucher fühlen sich in dem „Krach“ nicht wohl, einige verlassen unter Protest oder verärgert das Theater und the Age of Aquarius.

Horst Dichanz







Fotos: Andreas Hartmann