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Fakten zur Aufführung 

ERWIN UND ELMIRE/DER ZERBROCHENE KRUG
(Othmar Schoeck/Viktor Ullmann)
14. April 2012
(Premiere am 25. Februar 2012)

Theater für Niedersachsen im Stadttheater Hildesheim


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Zwei Schweizer auf den Spuren von
Goethe und Kleist

Goethes Erwin und Elmire, er hat den Text des Singspiels im Alter von 25 Jahren geschrieben, und Kleists Der zerbrochene Krug haben auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun. Hier die recht einfach gestrickte Geschichte des Liebespaares Erwin und Elmire, die durch zurückweisendes Verhalten der jungen Frau getrennt werden, schließlich, nach sehnsüchtigen Bekundungen Elmires, durch die launige Vermittlung des Vertrauten Bernardo wieder zusammenfinden; dort die Geschichte des Dorfrichters Adam, der im Lauf der Verhandlungen um den zerbrochenen Krug, angeblich die Tat Ruprechts, als er sich der jungen Eve unsittlich genähert hat, immer mehr in Bedrängnis gerät, weil er weiß, dass eben er selbst zugleich Beschuldigter und Richter ist. Zwei Geschichten, die dramaturgisch kaum Anknüpfungspunkte bieten. Gerade das kann eine solche Kombination interessant machen. Im Programmheft wird zudem auf die Beziehung zwischen Goethe und Kleist verwiesen, die einerseits von Konkurrenzverhalten geprägt worden sei, andererseits aber auch darin bestanden habe, dass Goethe als Regisseur Kleists Zerbrochenen Krug in Weimar zur Uraufführung inszeniert hat.    

Regisseur Wolfgang Gropper und Bühnen- und Kostümbildnerin Ulrike Schlemm erzählen beide Stücke im selben Raum – ein schlichtes, kahles, weiß-graues und nach hinten zulaufendes Zimmer, rechts und links Türen, die hintere Wand ist variabel, gibt auch mal den Blick auf das Dahinter frei. Ein Flügel für das Zimmer bei Elmire daheim, ein Zelt als Obdach für den aus Verzweiflung entflohenen Erwin umreißen die Situationen der zwei Teile des Einakters an. Die Kostüme deuten in schlichter, fast schon alltäglicher Zeitlosigkeit kein bestimmtes Millieu an, die Personenregie ist gediegen, hätte gleichwohl etwas mehr Pfiff gut vertragen können. Eine Schwäche des Stücks an sich liegt jedoch wohl im Text; die Geschichte hat wenig Ecken und Kanten, wirkt stellenweise ein wenig naiv, bietet insgesamt keinen allzu mitreißenden theatralen Wurf. 

Schoeck bewegt sich kompositorisch ganz in einem nachromantischen Duktus. Dabei gelingen ihm immer wieder farbige, differenziert instrumentierte Passagen, einige Stellen sind dagegen von einer Schlichtheit, die möglicherweise dem wenig zupackenden Text zuzuschreiben ist. Der Komponist behält die für ein Singspiel – als was der Text ursprünglich von Goethe gedacht ist – typische Struktur bei, zwischen den musikalischen Abschnitten stehen gesprochene Dialoge. Chefdirigent und Operndirektor Werner Seitzer lässt Schoecks Partitur wann immer möglich in schwelgerischem, auch mal elegischem Tonfall von seinen Musikern aufblühen. Der gelegentlich recht üppigen Instrumentation kann sich das Ensemble mit Antonia Radneva als Elmire, Daniel Jenz als Erwin, Albrecht Pöhl als Bernardo und Dorothee Schlemm als Mutter Olympia nicht immer mit der nötigen Textverständlichkeit entgegensetzen.

Auch wenn Kleists Stück in der Bearbeitung durch Ullmann erheblich gekürzt ist, steckt der zweite Einakter dieses Abends doch voller wesentlich mehr Esprit, dramaturgischer Stringenz und – vor allem – Witzigkeit. Im gleichen Rahmen wie im ersten Teil des Abends steht jetzt lediglich ein mit Akten beladener Schreibtisch, ein paar Stühle an den Seiten. Mit vielen komischen, ironischen, durchaus auch mal persiflierenden Details erzählt Wolfgang Gropper diese tragikomische Geschichte um den Dorfrichter Adam. Ulrike Schlemm hat überwiegend düstere, einfache Gewänder einer kleinbürgerlichen Dorfgemeinschaft entworfen. Im Mittelpunkt steht klar die Figur des Adam, der letztlich an der Ausübung seines eigenen Amtes scheitert. Um das zu unterstreichen, erscheint zum Schluss mit dicker roter Farbe auf der Hinterwand: Fiat Iustitia – Es geschehe Recht.

Viktor Ullmanns musikalische Sprache schwankt zwischen den Stilen, das allerdings mit höchster Bravour. Elemente mit jazzigen Anklängen sind da genauso zu hören wie Passagen, in denen etwa sein Lehrer Alexander von Zemlinsky eindeutig Vorbild war. Ullmann verfügt über eine feine, subtile, auch mal deftige Instrumentationsgabe. Die folgt stets sensibel dem dramatischen Geschehen. Werner Seitzer und das Orchester des Stadttheaters setzen diese ausgesprochen delikate Partitur mit Verve und Präzision um. Eine mehr als dankbare Rolle für jeden Charakterdarsteller ist der Dorfrichter Adam, dem Uwe Tobias Hieronimi mit seinem kernigen Bariton vokale Statur verleiht und schauspielerisch zwischen Tragik und Komik zu changieren weiß. Neben ihm agieren Albrecht Pöhl als Gerichtsrat Walter mit leicht abgedunkeltem Bariton, Christian S. Malchow als Ruprecht mit kräftigen, Jan Kristof Schliep als Schreiber Licht mit wendig-leichten Tenortönen, in den vielen kleinen Rollen können die Herren mit Levente György als Veit Tümpel und Piet Bruninx als Diener Walters eine Spur mehr überzeugen als die Damen Dorothee Schlemm als Marthe und Denise Fisher als Eve, sehr positiv fällt aber Therese Hoffmann als zweite Magd auf.

Dass Ullmann am Beispiel des Zerbrochenen Krugs der einfallsreichere Komponist ist und einfach das überzeugendere Sujet gewählt hat, mag sicher zu dem Eindruck führen, dass der zweite Teil dieses Doppelabends wesentlich mehr Spielfreude auf allen Ebenen entwickelt. Der Komponist Othmar Schoeck sollte dennoch sicher ebenso wenig in Vergessenheit geraten.

Das Publikum im leider nur schwach besetzten Hildesheimer Theater bedankt sich für den Abend mit sehr freundlichem, aber recht kurzem Beifall.

Christian Schütte







Fotos: Andreas Hartmann