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Fakten zur Aufführung 

LA BOHÈME
(Giacomo Puccini)
8. Oktober 2011
(Premiere)

Theater für Niedersachsen
Stadttheater Hildesheim


Points of Honor                      

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Immer diese Künstler

Auf die aus bürgerlicher Sicht ganz unakzeptable Moral der jungen, mittellosen Künstler hat es Benoit, ihr Vermieter, abgesehen. Er taucht nicht nur im ersten Bild von Puccinis Erfolgsoper auf, in der Neuproduktion des Theater für Niedersachsen im Stadttheater Hildesheim führt er als Wegweiser mit ebenso pointierten wie charmanten Reimen vor Beginn jedes der vier Bilder durch die Handlung – und lässt dabei immer wieder sehr anrührend durchblicken, dass auch er, der strenge Geschäftsmann, gern ein wenig von der unbeschwerten Leichtigkeit, der Lebensart der Bohème abbekommen hätte. Uwe-Tobias Hieronimi gibt nicht nur mit gewohnter Präsenz die kurze Partie des Benoit, sondern führt mit elegantem Witz als diese erfundene Figur durch die Geschichte. Ein geschickter Einfall, den Teil des Publikums, der die Handlung nicht so genau kennt, durch die vier Szenen zu geleiten. Gesungen wird in der Originalsprache, die an größeren Häusern übliche Übertitelanlage gibt es hier nicht. Was also vielleicht einem ganz pragmatischen Grund entsprungen ist, erweist sich zugleich als liebenswerte Zutat dieser Aufführung.  

Allerlei Ausfälle im Team mussten im Lauf der Probenzeit bewältigt werden. Zuallererst der krankheitsbedingte Ausstieg des Regisseurs. Ausstatter Walter Perdacher, ein wahrlich erfahrener und mit guten Kontakten ausgestatteter Mann der deutschen Opernszene, hatte mit Heinz Lukas-Kindermann, zuletzt Intendant am Theater Trier und Gründer der dortigen Antikenfestspiele, mehrfach zusammengearbeitet, bat ihn um kurzfristige Hilfe, die der ebenso erfahrene Regisseur nicht verwehrte. Lukas-Kindermann musste nun mit dem Arbeiten, was er an entworfenem Bühnenbild und Kostümen vorfand. Die erprobte Zusammenarbeit mit Perdacher machte ihm dabei offensichtlich keine Probleme. Durch einen großen, goldumrandeten Bilderrahmen fällt der Blick auf die Bühne. Grau-blau getünchte Wände links und rechts begrenzen den Bühnenraum. Eine Rückwand mit langweiliger Blümchentapete und ein schräges Dachelement aus Glas dazu geben die Mansarde, ein leuchtend bunt geschmückter Weihnachtsbaum vor offenem Hintergrund das Quartier Latin, eine Bank in der Mitte und auf das Rotlichtmillieu verweisende Lokaltüren das dritte Bild. Schlichte, dem Millieu der Figuren entsprechende Kostüme, einzig im zweiten Bild einige kräftige Farbtupfer mit dem als Zirkusfiguren gezeigten Volk, runden das Bild ab. Mit einfachen, aber klaren und gut durchdachten Mitteln gelingt Lukas-Kindermann und Perdacher eine ganz dicht am Text entlang erzählte, anrührende und emotional bewegende Inszenierung. Hier wird das Stück nicht in Frage gestellt, diskutiert, nach Zwischenebenen gesucht. Zum einen muss das an diesem Ort auch nicht sein, zum anderen – und vor allem – steht als Ergebnis eine handwerklich souveräne und das Publikum durchweg bewegende Arbeit auf der Bühne.

Noch kurzfristiger, eine Woche vor der Premiere, ist Annabelle Pichler als Mimi eingesprungen, nachdem sowohl die hauseigene als auch die mit einem Studierauftrag bedachte Sängerin krankheitshalber ausfielen. Umso mehr Respekt verdient es, dass sie kaum Wünsche offen lässt. Von einigen Passagen abgesehen, in denen sie auch mit weniger Kraft im kleinen Hildesheimer Haus ohne weiteres durchsetzungsstark gewesen wäre, überzeugt sie mit großen, aufblühenden lyrischen Bögen, mit feinen Zwischentönen und nicht zuletzt mit einer in jeder Hinsicht glaubhaften Darstellung. Die zeichnet ebenfalls die anderen Protagonisten aus. Christian S. Malchow als Rodolfo nimmt durch ebenso sicher geführte, den üppigen melodischen Vorgaben Puccinis gut folgender Stimme für sich ein, könnte allerdings auch an manchen Stellen mit noch weniger Druck an die Partie herangehen. Seine Künstlerkollegen Timothy Sharp als Marcello, Julius Vecsey als Schaunard und Levente György als Colline sind kompetent und überzeugend besetzt. Regine Sturm hätte ihre Musetta im zweiten Bild durchaus etwas damenhafter anlegen können, fügt sich ansonsten aber nahtlos in das sorgfältig zusammengesetzte Ensemble ein. Unter den kleinen Partien sei stellvertretend noch Piet Bruninx als blasierter Alcindoro erwähnt.

Werner Seitzer findet mit gut ausbalancierten Tempi und den nötigen emotionalen Aufschwüngen mit dem präzise disponierten Orchester des Theater für Niedersachsen zu einem Puccini-Klang, der dem anrührenden Geschehen auf der Bühne bestens entspricht. Achim Falkenhausen schließlich hat die Chöre für ihre kurzen Auftritte sicher vorbereitet.

Eine runde, mit großer Freude anzusehen und –hörende Sache ist dem emsigen Hildesheimer Theater damit wieder einmal gelungen. Das Publikum honoriert das mit begeistertem Beifall und vielen Bravos.

Christian Schütte






 
Fotos: Andreas Hartmann