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Fakten zur Aufführung 

THE RAPE OF LUCRETIA
(Benjamin Britten)
21. Februar 2011
(Premiere. 13. Februar 2011)

Hamburgische Staatsoper -
Opera stabile


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Spannungsgeladenes Drama

Es ist eine Geschichte, die nahegeht, keine Frage. Und dies ist in dieser Inszenierung von Brittens Rape of Lucretia räumlich gesehen wörtlich zu nehmen. Die Protagonisten agieren nur wenige Schritte vom Publikum entfernt, ohne Orchestergraben (die Musiker sitzen hinten rechts), ohne erhöhten Bühnenboden. Dadurch entsteht eine atmosphärische Dichte, die auf großen Opernbühnen so kaum möglich ist. Eine kluge Wahl also, Brittens Kammeroper von 1946 in die kleine Opera stabile der Hamburgischen Staatsoper zu legen.
Schon dem bekennenden Pazifisten Britten geht es mit der „Schändung der Lukrezia“ („Rape“ oft fälschlich als „Raub“ übersetzt) weniger um die Erzählung einer Geschichte aus dem alten Rom als um die in Kriegszeiten immer wiederkehrenden Elemente von Gewalt, insbesondere gegen Wehrlose, und Auflehnung gegen Fremdherrschaft, aber auch um die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit.
Tine Topsøe, die das Werk im Rahmen ihres Diploms an der Theaterakademie Hamburg inszeniert, folgt diesem Weg Brittens in vielerlei Hinsicht. Die zwei Generäle und der Prinz, die sich im Feldlager am Wein berauschen und über die Untreue der Frauen lamentieren, stecken gerade nicht in den gleichen Uniformen (Kostüme: Anja Wendler). Collatinus (Ryszard Kalus) mit römischem Gewand und Rüstung ist gleichzeitig kreidebleich wie eine Marmorstatue, Junius (Ronaldo Steiner) trägt eine Möchtegern-Uniform aus Versatzstücken und Tarquinius (Kazuhisa Kurumada) mit Hut und Trenchcoat steht irgendwo zwischen FBI-Agent und Columbo. Die beiden Erzähler (Julius P Williams III und Mary Osborne) sind staub- und rußverschmiert, als hätten sie gerade einen Bombenangriff hinter sich.
Noch unbestimmter gibt sich das Bühnenbild (Monika Diensthuber). Weiße Vorhänge und eine Lichterkette, ein bemooster Boden, dazu einiges bunt gemischtes Mobiliar: ein paar Stühle, Holzkisten, Schränke, eine Leiter. Lucretias (Elisabeth Wöllert) weiß gehaltenes Schlafgemach erscheint dagegen hinter einem überdimensionalen Holzbilderrahmen, was museale Distanz schafft, den Zuschauer aber gleichzeitig zum Voyeur macht.
Tine Topsøes Personenführung gerät nicht immer stringent. Die Szene von Lukretia mit ihren Dienerinnen, die damit beschäftigt sind, überdimensionale Wollfäden aufzuwickeln, wirkt eher gelangweilt. Und auch das eigentlich spannungsgeladene Aufeinandertreffen des sängerisch hervorragenden Prinzen Tarquinius mit der schutzlosen Lucretia gerät bisweilen ins Stocken, wenn beide sich einigermaßen reg- und spannungslos gegenüber stehen. Solche Momente werden aber zum Glück von Brittens Musik getragen.
Anderes ist dagegen gelungen. Die Generäle, die im Suff schnell mal aneinander geraten, überzeugen ebenso als tragische Helden wie die Erzähler, die außen vor stehen und gleichzeitig ebenso verzweifelt wie erfolglos versuchen, Einfluss auf die Handlung zu nehmen. Der Höhepunkt der Entwicklung, die Vergewaltigung Lucretias, findet hinter verschlossenem Vorhang statt, was als Schilderung des Brutalen vollkommen ausreicht.
Die von Britten bewusst anachronistisch eingearbeitete christliche Erlösungsbotschaft droht für den nicht anglophilen Zuschauer allerdings untergehen. Zwar wird diese vermutlich sowohl durch Lucretias Umherwandeln nach ihrem Selbstmord als auch durch das Abwandern der Erzähler Richtung Foyer angedeutet. Die entscheidenden, vom Erzähler gesungenen Wörter fehlen jedoch - bewusst? - in den Übertiteln.
Musikalisch dagegen gibt es kaum etwas auszusetzen. Julius P. Williams III als Erzähler ist sehr gut zu verstehen und wird nur von seiner Rollenkollegin Mary Osborne überboten, die schon mit den ersten gesprochenen Worten ihre Schauspielkunst unter Beweis stellt.
Die Generäle setzen ihre wuchtigen Bass- bzw. Baritonstimmen gleichermaßen gekonnt ein, sodass man ihnen ihren hohen Rang ohne Weiteres abnimmt. In Lucretias Gruppe gibt Megan MacKenzie Tucker als zickende Lucia schauspielerisch den Ton an, während die Gesangskrone Judith Thielsen als Bianca zusteht. Elisabeth Wöllert als Lucretia erscheint zunächst etwas zurückhaltend, steigert sich aber bis zu ihrem Selbstmord zu großer Intensität.
Daneben wird der Abend aber vor allem getragen von dem hervorragend einstudierten, für dieses Britten-Projekt eigens zusammengestellten Orchester, das unter Leitung von Rebecca Hicks trotz solistischer Besetzung den Raum zu füllen versteht und immer wieder Entscheidendes zum spannungsgeladenen Verlauf des Dramas beisteuert.

Nicolas Furchert