Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DER TAUSENDJÄHRIGE POSTEN ODER DER GERMANIST
(Franz Schubert)
10. März 2012
(Premiere)

Theater Heidelberg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Unbelehrbare Gesellschaft

Aus der Wissenschaft stammt die Erkenntnis, dass nicht jedes Experiment sofort zu Erkenntnis führt, sondern manch eines der Nachjustierung bedarf, ehe daraus  neues Wissen entsteht. Vielleicht umschreibt dieses Bild die zwiespältigen Gefühle, die während und nach der Premiere des seltsamen Zwitters aufkommen, der im Heidelberger Opernzelt seine Uraufführung erlebt hat: Der tausendjährige Posten oder Der Germanist heißt das Stück, dessen Libretto Elfriede Jelinek und Irene Dische verantworten, und dessen Musik von Franz Schubert stammt. Seine zwei kürzeren Singspiele Der vierjährige Posten und Die Zwillingsbrüder liefern dafür die Grundlage.

Oper oder Singspiel, Szene mit Musik oder Operette, das ist hier nicht die Frage, sondern eher, ob das Werk in sich gelungen wirkt. Denn der tastend-biedermeierlichen Musik, die unter dem Dirigat von Dietger Holm von den Heidelberger Philharmonikern brav und ordentlich gespielt wird, steht eine Handlung gegenüber, die ein Stück Nachkriegsgeschichte aufs Korn nimmt, allerdings auch da seltsam unentschlossen wirkt. Zum Inhalt. Der Germanist Professor Schall wird mit hohen Ehren aus dem Universitätsbetrieb verabschiedet. Doch hinter diesem Wissenschaftler, der seine Habilitation durch ein in den Kriegswirren geklautes Manuskript erlangt hat, verbirgt sich sein Alter Ego, der SS-Hauptsturmbannführer Schaal. Schall heiratet sein Lieschen 1955 zum zweiten Mal, denn der Nazi Schaal ist für tot erklärt. Der Identitätswechsel soll einen Neuanfang ermöglichen. Doch Kollege Professor Spieß, Sibirien-Spätheimkehrer, funkt dazwischen, wird aber durch Posten-Protektion ruhig gestellt. Auch der investigative Journalist Viet kann die Mauer der Selbstzufriedenheit letztlich nicht durchbrechen, auch wenn einige Protestdemonstrationen die Naziverstrickung anprangern.

Eine heiße Story, die einen realen Hintergrund hat. Aber funktioniert das mit der Musik von Schubert, so sehr das Autorenduo auch Originaldialoge mit Raffinement für das Heute retuschiert? Konsequenter wäre, einen zeitgenössischen Komponisten mit einer härteren, pointierten Klangsprache für die Uraufführung zu beauftragen.

Regisseurin Andrea Schwalbach doppelt die Hauptfiguren Schall/Schaal und Lieschen. Den überzeugenden Schauspielern Dietmar Nieder und Christina Dom werden der Tenor Winfrid Mikus und die Sopranistin Hye-Sung Na zugeordnet. Mikus setzt dabei sein unverwechselbares Timbre ein, Frau Na spitzt ihre Stimmführung zu, in früheren Partien hat sie geschmeidiger gewirkt. Die Entdeckung des Abends aber ist der Bariton Franz Schlecht als Walther Spieß, denn seine Stimme hat attraktive Farben, viel Substanz und Gestaltungskraft. Wilfried Staber als Journalist und Michael Zahn als Professor Schulze komplettieren des Ensemble angemessen. Der von Jan Schweiger einstudierte Chor sammelt wieder ein paar Extrapunkte.

Bühne und Kostüme entwickelt Anne Neuser. Sie setzt das Orchester auf die Bühne, im Vordergrund werden die Figuren gruppiert. Es „schmeckt“ ein wenig nach Alter Aula, dazu kommen ein röhrender Hirsch als Skulptur und viele Korporierte mit Band und Kappe. Das restaurative Nachkriegs-Deutschland wird also als weitgehend unbelehrbare Gesellschaft augenfällig gemacht.

Das Publikum dankt eher kurz, aber herzlich für die Uraufführung und lässt sich anschließend bei der Premierenfeier vom Intendanten Schultze und Operndirektor Germeshausen erläutern, wie wunderbar diese Produktion ist.    

Eckhard Britsch







Fotos: Klaus Fröhlich