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Fakten zur Aufführung 

MAZEPPA
(Peter Tschaikowsky)
24. November 2012
(Premiere)

Theater Heidelberg


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Animalische Triebe

Heidelberg, mit seiner pittoresken Altstadt und dem darüber thronenden Schloss, ist nach wie vor ein Magnet für Touristen aus aller Herren Länder. Neben Japanisch und amerikanischem Englisch mischt sich nun auch Russisch in das Stimmengewirr, das den Weihnachtsmarktbesuchern auf der Hauptstraße entgegen schallt. In einer der vielen Seitenstraßen und Gassen steht hier beinahe unauffällig das Theater der Stadt. Drei Jahre hat die zum Teil durch private Spenden finanzierte Renovierung des kleinen, aber feinen Hauses gedauert. Man will nicht als weitere Kulisse für den Fremdenverkehr dienen, sondern unterstreicht den eigenen künstlerischen Anspruch: Mit der Inszenierung der Wiedereröffnungspremiere hat man Elisabeth Stöppler betraut. Mit Peter Tschaikowskys Mazeppa knüpft die erfolgreiche Regisseurin an ihre Gelsenkirchener Rusalka an, auch wenn Stöppler das Heidelberger Publikum nicht auf dieselbe Weise fordert wie noch vor einem halben Jahr die Opernfreunde im nördlichen Ruhrgebiet.

Tschaikowskys hierzulande weniger populäres Werk erzählt die Geschichte des ukrainischen Kosakenführers Mazeppa, der sich in seine Patentochter Maria verliebt. Darüber kommt es zum Bruch mit Marias Vater Kotschubey, einem langjährigen Freund Mazeppas. Maria bleibt bei Mazeppa. Es folgen politische Intrigen, die in Folter und Krieg münden. Ihr Jugendfreund Andrej und Kotschubey verraten Mazeppas Unabhängigkeitspläne an den Zaren, der diesen keinen Glauben schenkt. Kotschubey wird von seinem alten Freund gefoltert und hingerichtet. In der Schlacht von Poltawa werden Mazeppas Truppen von denen des Zaren geschlagen. Der Kosakenführer verwundet im Zweikampf Andrej tödlich. Am Ende der Oper haben alle verloren, sind entweder tot oder wahnsinnig geworden.

Elisabeth Stöppler entgeht bei der vorgegebenen Handlung der Versuchung, die Oper auf gegenwärtige Konflikte hin – man denke an die Irrungen und Wirrungen des arabischen Frühlings – zu inszenieren. Vielmehr interessiert sie sich für das Innenleben der Figuren, allen voran für Maria, die in den Mittelpunkt der Inszenierung gerückt wird. Das ist der Schlüssel dafür, dass nicht der politische Konflikt, sondern das Thema Sexualität in den Fokus drängt. So erlebt die Gewalt eine andere Gewichtung. Maria ist Gegenstand des Begehrens, leidet unter den Konsequenzen ihrer Verbindung mit Mazeppa. Denn hier besitzt die Lust immer etwas Animalisches, ist das Triebhafte von Verrohung, Gewalttätigkeit und Dominanz geprägt, was durch die Symbolik der von Katharina Gault geschaffenen Kostüme unterstrichen wird. Die Kosaken tragen Raubtiermasken, verwandeln sich in Adler, Wolf oder Bär, während Maria zumeist Zeichen der Unschuld trägt, einen Brautschleier etwa oder ein weißes Kleid. Ein anfangs nur von Kotschubey, später auch von Mazeppa, genutzter Rollstuhl wird zum Sinnbild von Impotenz. Der von Karoly Risz karg eingerichtete Bühnenraum wird während des laufenden dritten Akts abgebaut. „Das Alte“, erläutert Elisabeth Stöppler, „wird heruntergerissen, fällt ab, damit das Neue sichtbar wird und strahlen kann.“ Den Wahnsinn Marias deutet die Regisseurin als Hellsichtigkeit.

Mit klarer, zupackender Stimme weiß Hye-Sung Na in der Rolle der Maria zu gefallen. Anfangs in den hohen Lagen beim Forte noch etwas scheppernd, gelingt der Sopranistin insgesamt eine überzeugende Darbietung. Das gilt nicht nur für den Gesang, sondern auch für die Darstellung. James Homann verleiht dem Mazeppa mit einer überraschend sanften Stimme eine für die Rolle subtile Dramaturgie. Technisch perfekt entgeht der Bariton der Versuchung eines zur Schau gestellten Virtuosentums, auch wenn man sich an der einen oder anderen Stelle etwas mehr Kraft wünscht. Gleichwohl bei Hye-Sung Na als auch bei James Homann noch Luft nach oben zu sein scheint, zeigen beide ihr Können weit über dem Durchschnitt. Mit kraftvoller Stimme überzeugt der Bass Wilfried Stabers in der Rolle des Kotschubey. Die Darstellung während der Folterszene gehört zu den Höhepunkten der Vorstellung. Mikhail Vekua begeistert als Andrej mit einem alles überstrahlenden Tenor. Auch er beweist große Spielfreude, so wie Anna Peshes in der Rolle von Marias Mutter Ljubow, deren Mezzosopran Höhen und Tiefen souverän bewältigt. Alles in allem bietet das Heidelberger Ensemble Gesang auf hohem Niveau.

Unter der Leitung von GMD Yordan Kamdzhalov spielt das Philharmonische Orchester Heidelberg einen dramatischen Tschaikowsky, hält sich aber im Zweifelsfall zurück, um das Ensemble auf der Bühne nicht zu übertönen. Dem guten Gesamteindruck schließt sich auch der Chor unter der Leitung von Jan Schweiger an.

Sänger, Chor und Orchester werden vom Premierenpublikum enthusiastisch gefeiert, während der Applaus für das Regieteam eher höflich ausfällt – Buhrufen scheint in der Rhein-Neckar-Region nicht zum guten Ton zu gehören. Vielleicht wollten jene Besucher, denen das Inszenierungskonzept nicht zugesagt hat, auch nur die Wiedereröffnung ihres Theaters nicht stören? Gleichwohl kein neuer Geniestreich, weiß die Inszenierung durch Einfallsreichtum, intelligente Personenführung und Sinn für Dramatik – vor allem während der Hinrichtungsszene am Ende des zweiten Aktes – zu überzeugen. Ein Besuch lohnt sich.

Sascha Ruczinski

Fotos: Florian Merdes