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Fakten zur Aufführung 

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
(Wolfgang Amadeus Mozart)
22. Dezember 2012
(Premiere)

Theater Heidelberg


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Traumatisierte Figuren

Sind Christen sogar unrein für den Muselmann, so dass Bassa Selim die Konstanze erst einmal ordentlich abreibt, von oben bis unten, ehe er sie in Bett zu zwingen versucht? Regisseurin Nadja Loschky zeigt in Heidelberg mit ihrer Sicht von Mozarts Oper Die Entführung aus dem Serail gebrochene, ja traumatisierte Figuren. Denn Bassa Selim, der „alles verloren hat“ - entsprechend metallisch karg bis hin zu Gefängnisatmosphäre richtet Nina von Essen die Bühne an - changiert zwischen Sadismus und unterschwelliger Zuneigung, sieht aber in Konstanze vor allem eine Folie seiner verlorenen Frau. Die blutrote Tagesdecke auf dem Lager, in die Konstanze von ihm gehüllt wird, entpuppt sich als die Festrobe der Verlorenen. Die aktuell empfundenen Kostüme hat Gabriele Jaenecke geschneidert. Aber auch Konstanze ist seelisch erschüttert und neben der Spur; ihr ergeht es wie manchen Geiselopfern, die sich irgendwann mit dem Entführer zu identifizieren beginnen. Keine Überraschung, dass sie ihrem Liebsten, dem Belmonte, irritiert und distanziert begegnet, wenn der plötzlich und unerwartet halbwegs fröhlich über die Bühne eilt – auch er orientierungslos.

Das wirkt folgerichtig analysiert, auch wenn dann die raffinierte Blonde und der komische Pedrillo irgendwie nicht so ganz ins Bild der Verstörung passen wollen. Aber das deutsche Singspiel hat wenig mit Logik zu tun. Dieser Erkenntnis kann sich letztlich auch die Inszenierung nicht entziehen. Dafür aber wird aus der Grube, die ein mit Blumenstauden sorgsam gehegtes Grab für die unendlich ferne Bassa-Selim-Gattin suggeriert, im Schlussbild ein kleiner Swimming-Pool mit aufblasbarem Plastik-Boot und entsprechender Palme. Blonde will in locker-lockender Pose, dass ihr der böse Osmin ins Netz geht, um die Flucht der Liebenden zu erleichtern.

Die Figuren sind sehr griffig angelegt, am überzeugendsten vielleicht Wilfried Staber mit ausgezeichnetem Bass als ein Osmin, der wie ein mafiöser Gangster daherkommt und dauernd mit dem Klappmesser fuchtelt. Irina Simmes als Konstanze und Namwon Huh als Belmonte haben bei der Premiere mit Grippe-Indisposition zu kämpfen, die Vorstellung aber nicht platzen lassen. Namwon Huh hält sich deshalb mit seinem fein gewirkten, lyrischen Tenor spürbar zurück. Irina Simmes wiederum hat viel Material und Ausdruck im dramatischen Koloratursopran, am Premierenabend allerdings einige Registerbrüche.

Die Sprechrolle des Bassa Selim wird mit einem attraktiven Mannsbild besetzt. Michael Pietsch verhilft ihm zu angemessener Abgründigkeit, die sich aus spontanen Verhaltensvariationen speist. Winfried Mikus glänzt als auch darstellerisch angemessener Pedrillo, Sharleen Joynt ist eine bezaubernde Blonde.

Der von Jan Schweiger wie immer gut einstudierte Chor wird in einer Szene von Bassa Selim per schepprigem Grammophon eingespielt, ein netter Gag. Der  Knüller aber kommt aus dem Graben, denn so elegant, durchhörbar, präzise und immer pointiert spielt das Philharmonische Orchester selten auf. Mirga Gražinyte-Tyla heißt die junge Kapellmeisterin, die das kleine Wunder bewirkt; im Sommer hat sie in Salzburg einen Wettbewerb gewonnen, und ihr Weg nach oben scheint vorgezeichnet.

Das Premierenpublikum begrüßt die Inszenierung und musikalische Umsetzung herzlich, aber nicht überschwänglich.

Eckhard Britsch

 

Fotos: Florian Merdes