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Fakten zur Aufführung 

DIONYSOS
(Wolfgang Rihm)
8. Februar 2013
(Premiere)

Theater Heidelberg


Points of Honor                      

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Der Mann, der ein Pferd küsste

Der Philosoph und Dichter kurz vor oder schon im Wahn. Er verfasst Dionysos Dithyramben, die in ihrer surrealen Verrätselung wiederum Ausgangskunst für Kreativität sind. Wolfgang Rihm, dessen Werkkatalog die Zahl 400 längst überschritten hat, nimmt sich vor Jahren des Textes an, collagiert ihn neu bis hin zu dadaistischer Manier und komponiert darob die Oper Dionysos. „Die Worte sind von Nietzsche, der Text ist von mir“, charakterisiert Rihm die Vorgehensweise. Ein wirkungsvolles Werk in mehreren Szenen, das - 2010 in Salzburg aus der Taufe gehoben – sofort zur Uraufführung des Jahres gekürt wird. In der letzten Saison nach Berlin geholt, erlebt jetzt Dionysos am Theater Heidelberg die Zweitinszenierung.

Berliner Kritiker haben angemerkt, die Erstinszenierung von Pierre Audi habe das unterhaltende Potenzial dieser Partitur nicht ausgeschöpft. Rihm selbst hat die Forderung erhoben, es müsse mehr „Machwerke“ im Musiktheater geben. Nach Ingo Kerkhof, der die Heidelberger Inszenierung besorgt, sei der Begriff „Machwerk“ komplexer zu verstehen, denn Rihm meine, heutiges Musiktheater brauche keine realistische oder psychologische Logik, sondern könne auch anderen, nicht-intellektuellen Gesetzen folgen.

In der Regiearbeit von Ingo Kerkhof stellt sich das Gefühl ein, er wolle eine Geschichte erzählen, wo eigentlich keine vorhanden ist, wenn Nietzsche in Verwirrung sich als „Gekreuzigter“ versteht und in Turin einen geschundenen Gaul tröstet. Denn das Geschehen bewegt sich im Absurden, das allerdings extrem eindringlich und berührend – einschließlich einer wirren Abendmahlszene, symbolischem Schaukelpferd und versponnenem Bacchanal. Und solche Bühnensuggestion glückt sehr gut im eher düster-abweisend gehaltenen Bild von Anne Neuser mit der zeitlosen Kostümierung von Inge Medert. Hier agieren die Figuren bis zur – scheinbaren – Selbstaufgabe.

Das Schlüsselwort taucht gleich zu Beginn auf, denn eine Nymphe, die Ariadne, fordert von dem völlig verstört auf der Bühne umherirrenden „N“ eindringlich „Mich willst du . . . ganz“. Sharleen Joynt singt und girrt und wütet die extrem hoch angesetzte Partie exzellent. Doch „N“ bleibt stumm, wird allenfalls ein paar Papierfetzen bekritzeln, treibt jene Ariadne zu Wutausbrüchen. Später wird sich das Blatt wenden, „N“ findet den Gesang, bleibt aber allein. Der Bariton Holger Falk gestaltet die Partie darstellerisch und gesanglich tadellos. In weiteren Partien ergänzen Diana Tomsche, Carolyn Frank und Guadalupe Larzabal das weibliche Personal, während Tenor Namwon Huh als gelegentliches Alter Ego von „N“ und „Gast“ intensiv und stimmrein agiert; „Der Alte“ Harald Beutelstahl und „Das Kind“ Matthis Wolfer sind komplementäre Elemente des seltsamen „N“.

Das Heidelberger Orchester wächst mit den Anforderungen, und Yordan Kamdhzalov führt ganz hervorragend „Klangregie“. Der Chor in der Einstudierung von Jan Schweiger wird glückhaft teilweise im Raum postiert, und es entsteht in der Musik zwischen Rihm-Modernismen und seinen Stilzitaten von Bach bis Strauss oder Mahler eine enorme Wirkmächtigkeit.

Am Ende freundlicher Beifall, der sich heftig steigert, wenn Wolfgang Rihm die Bühne betritt und den Akteuren dankt. Bei aller Seltsamkeit des Sujets stellt sich aber der Eindruck ein, dass diese „Opernfantasie“ Eingang ins Repertoire finden könnte.

Eckhard Britsch





Fotos: Florian Merdes