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Fakten zur Aufführung 

CARMEN
(George Bizet)
29. Januar 2012
(Premiere)

Theater Heidelberg


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Seele unter Verschluss

Schon immer wird das Heidelberger Theater als Talentschmiede gerühmt. Was nicht nur für junge Stimmen gilt, sondern auch für Regie-Talente. Eines davon darf sich jetzt an Carmen versuchen, der scheinbar abgenutzten Erfolgsoper von Georges Bizet, und die Sichtweise von Nadja Loschky hinterlässt dabei einen zwiespältigen Eindruck. „Jeder hat irgendwo seine Carmen“, sagt die Regisseurin, die vor zwei Jahren ihr Diplom in Musiktheaterregie an der Hanns-Eisler-Hochschule ablegte. Für sie kommt es nicht in Frage, die Klischeevorstellungen der glutvollen Zigeunerin zu bedienen, sie will vielmehr die Zuschauer dazu bringen, ihre eigenen Bilder aus den „verschlossenen Kammern ihrer Seele“ zu öffnen.

Das ist ein hehrer Anspruch, fast ein heroischer. Denn um die Figur einzuführen, werden naturgemäß erst einmal Bilder bedient, die bekannt scheinen. Wie Schaufensterpuppen werden Figurinen in flammendem Rot in überdimensionale Bilderrahmen gestellt. Denen setzt die Regie überfallartige Bewegung entgegen und als Kunstgriff einen Schauspieler, der immer wieder wie ein beobachtender Kommentator versponnene, hintergründige Texte von Garcia Lorca auf Deutsch spricht, aus denen seelische Reflexionen in den Zuschauer hineinwirken sollen. Vielleicht auch können, denn man kann der Inszenierung, so gekünstelt sie einem manchmal vorkommt, suggestive Züge nicht absprechen. Denn es wird plausibel, dass Carmen und Don José ihre Seele unter Verschluss halten und deshalb nicht zueinander finden.

Die Abstraktion der Bühne von Gabriele Jaenecke, die auch die kühl proportionierten Kostüme verantwortet, mit den Rechteckrahmen verschiedener Dimensionen, die im Vordergrund als Spielflächen dienen und im Hintergrund als Halbrund eine ferne Stadtsilhouette andeuten mögen, fordert das Aufeinandertreffen von Statik und Bewegung geradezu heraus. Damit spielt Loschky recht raffiniert, um Realität gegen Traumwelt zu setzen, auf dass die Figuren Profil gewinnen und Vorstellungskraft beim Zuschauer freigesetzt wird.

Talentschmiede Heidelberg gilt auch für die Sängerauswahl, bei der von Saison zu Saison positive Überraschungen gelingen. Operndirektor Germeshausen hat aus Dessau den Australier Angus Wood mitgebracht, der als jugendlicher Heldentenor den Don José mit energetischer Ausstrahlung auf die Bühne im Opernzelt bringt. Als Carmen setzt Mariselle Martínez darstellerisch Glut und Leidenschaft ein, kongruent dazu führt sie ihren dramatisch gefärbten Alt. Den Stierkämpfer Escamillo und Gegenspieler um die Gunst der Carmen sieht die Regie weniger als schneidigen Torero, vielmehr wird er ein gut situierter Herr im feuerroten Anzug sein. Der schön timbrierte Kavalierbariton von James Homann passt dazu. Ein bisschen zuviel will offenbar Hye-Sung Na als liebenswertes Mädchen Micaëla, denn sie übersteuert in der Höhe, wo Lyrismen und kein hochdramatisches Aufbegehren gefragt ist. Zuniga darf wenig singen, aber der Bass von Wilfried Staber ist bemerkenswert gut. Die von der Regie dazu erfundene Figur des Sprechers füllt Jan Schreiber als ambitionierter Mime aus.

Die Oper wird mit deutscher Übertitelung auf Französisch gesungen und der Hörer wird den Eindruck nicht los, dass trotz Sprach-Coaching die Solisten dauernd bemüht sind, die Nasallaute „richtig“ zu bringen. Und der Chor, sonst unter Leitung von Jan Schweiger hoch gelobt, lässt es – vielleicht deshalb? – an gewohnter Präzision und Frische mangeln. Oder trägt hierzu auch das Dirigat von Dietger Holm bei? Gewiss, er setzt mit den Heidelberger Philharmonikern recht knackige Akzente, doch in den ruhigeren, musikalisch erzählerischen Phrasen fehlt die fein geschliffene Pointierung, wirkt die Orchestersprache etwas seifig. 

Das Publikum, in Heidelberg dem Theater und Sängern mit großer Sympathie zugetan, feierte einhellig die Premiere. 

Eckhard Britsch

 

Fotos: Klaus Fröhlich