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Fakten zur Aufführung 

AIDA
(Giuseppe Verdi)
1. Oktober 2011
(Premiere)

Theater Heidelberg


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Despotie als Selbstzweck

Das sind die letzten Zuckungen eines untergehenden Reiches. Die Veteranen humpeln hilflos am Tropf oder sind an den Rollstuhl gefesselt, der Oberpriester als Hüter der alten Ordnung wirft sich immer wieder eine Pille ein, um gerade noch klar zu kommen mit dem Leben, und der König röchelt in Richtung Exitus. Eine morbide Gesellschaft versucht hier ein letztes Aufbäumen gegen eine neue Zeit. Aber offenbar gibt es gleichwohl genügend Hilfstruppen, um äthiopische Gefangene zu machen und diese ihrer Würde zu entkleiden und zu versklaven.

Die Rede ist von der Verdi-Oper Aida, mit der die neue Intendanz des Heidelberger Theaters – Holger Schultze war zuvor erfolgreich in Osnabrück tätig – einen bemerkenswerten, stellenweise fulminanten Startschuss in ihre erste Saison losfeuerte. Denn die junge Regisseurin Lydia Steier zeigt eine versteinerte Nomenklatura, die in ihrer immer mehr verrohenden Innenwelt längst abgekoppelt ist vom äußeren Geschehen. Steiers Blick auf eine Bunkermentalität, wie sie den totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts eignet, ist scharf fokussiert auf die psychopathische Brutalitäten. Beispiel: Amneris hat kein Problem damit, in ihrer eifersüchtigen Projektion auch ein paar Sklavinnen abzustechen. Der Mensch hat keinen Wert mehr, wenn er der Despotie ausgeliefert ist.

Katharina Schlipf hat dafür eine Bühne entworfen, hinter deren Balkonbrüstung „Herrschaft“ demonstriert wird, während im Erdgeschoss mit Flügeltüren Erschießungsraum und Folterkammer Blut generieren. Blut, das Sklavinnen in Metzgerschürzen wegwischen, Blut, das die böse Brutalität des Regimes symbolisiert. Hat Lydia Steier hier etwas zu tief in den Realismus-Topf gegriffen, zumal in der an Konzentrationslager gemahnenden Szene der Kriegsgefangenen? Hier mag tatsächlich die Frage angebracht sein, ob der forsche Zugriff nicht allzu forsch mit unheilvoller Geschichte umgeht.

Die zugespitzte Sicht wird aus dem Orchestergraben von den Heidelberger Philharmonikern unter Leitung ihres Generalmusikdirektors Cornelius Meister energetisch und hart, emotional aufgeheizt und mit großem Feuer ausgelotet. Schon toll, was sich da im Opernzelt abspielt, zumal die Sängerbesetzung darstellerisch und stimmlich ausgezeichnet gewählt und ein Ausweis für Ensemblequalität ist. Radamès, ein militärischer Aufsteiger, der nach dem Sieg in ein Marschallkostüm à la Göring gezwängt wird und an seinem Konflikt zwischen Liebe und Macht, Staatsräson und Menschlichkeit scheitert, wird von Angus Wood prächtig gedeutet. Er vereint die Kraft und Pracht des jugendlichen Heldentenors mit innigen Lyrismen. Amneris findet in Anna Peshes einen dramatisch bis zur wahnhaften Hysterie würzenden Mezzo, während die Titelfigur Aida von Yannick-Muriel Noah mit bruchlosen Sopran-Registern in großer Intensität gesungen wird, allerdings wären etwa in der Nilszene einige nuanciertere Farben noch schöner gewesen. Die Ramfis-Zeichnung des jungen Pavel Shmulevich hat abgründiges Bassprofil, James Homann führt als Amonasro einen heldischen Bariton ins kriegerische Feld und Nico Wouterse gelingt als König eine fabelhafte Charakterstudie. In kleinen Partien: Silke Schwarz endlich wieder an Bord, und Sang Hoon Lee als Bote dabei.

Ein großes Pfund sind in Heidelberg Chor und Extrachor in der Einstudierung von Jan Schweiger. Die Statisterie macht die Maskerade der Verrohung bis hin zur närrischen Absurdität in den Kostümen von Siegfried Zoller glaubhaft. -  Die „Bereisung der eigenen Konjunktive“, wie Roger Willemsen sagt, hier ist sie auf der Folie einer längst abgenudelt geglaubten Oper glänzend gelungen.

Das Publikum ist mit der Inszenierungssicht überwiegend einverstanden, feiert Sänger und Orchester und bereitet dem neuen Team einen überzeugenden Auftakt. Klaus Zehelein, Präsident des Deutschen Bühnenvereins, "adelt" mit herzlichen Worten die Premiere.

Eckhard Britsch






 
Fotos: Klaus Fröhlich