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Fakten zur Aufführung 

VOM MEER
(Alexander Muno)
29. April 2011 (Uraufführung)

Theater Heidelberg


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Sehnsucht gegen Pflichtbewusstsein

Das sprichwörtliche Glück im Unglück war soeben im Heidelberger Opernzelt zu erleben. Die Uraufführung der Oper Vom Meer, nach Ibsens Drama „Die Frau vom Meer“, musste in der Hauptpartie recht kurzfristig umbesetzt werden. Denn der junge Komponist Alexander Muno hat, vom Furor komplexer Inspirationslust getrieben, schwierig zu realisierende Singstimmen geschrieben, wovon „Ellida Wangel“ besonders betroffen ist. Die wurde anstatt der erkrankten Silke Schwarz von Mareile Lichdi mit ihrem farbenreichen Sopran ausgezeichnet gesungen, indes statisch vom Notenpult aus. Was das Inszenierungsteam um Susanne Øglænd zu einer ausgezeichneten, weil griffigen Idee einer dreigeteilten Ellida verführte: Tabea Schattmaier gab ihr intensiven darstellerischen Ausdruck, Hannah Ehrlichmann übernahm die kurzen Sprechrollen, und alle drei fügten sich gewissermaßen symbiotisch zu einer wunderbar einprägsamen Figur.

Überhaupt war an der Umsetzung der sehr ambitionierten Vorlage nichts, oder allenfalls wenig zu deuteln. Die Bühne nach einer Idee von Evelyn Hriberšek war wie mit einem alten, gebrochenen Bilderrahmen zusammengefasst, um den ebenfalls in Sepia-Grundierung vier Figuren doppelstöckig gerahmt auftauchten; die beiden Töchter jenes zwiespältigen Landarztes Wangel, der mit Ellida in zweiter Ehe ein seltsam distanziertes, ja autistisches Eheleben führt; der Studienrat Arnholm als Schatten der Vergangenheit; der junge Hans Lynstrand, der Bildhauer werden will. Sie sollen bei Ibsen, auf der Bühne in assoziativer, zeittypischer Kostümierung (Katja Wetzel), das Drama abgründig vorantreiben, ihm jenes Geheimnis anvertrauen, das alle Figuren miteinander verknüpft, bis dann das Auftauchen des Seemanns Johnston das Geschehen auf die Spitze treibt. Er will Ellida zurückgewinnen. Mit der Macht jener frühen Erinnerung, mit dem Trumpf der Sehnsucht von Ferne und erfüllbarer Wünsche im Herzen.

Hier allerdings ist deshalb ein Fragezeichen angebracht, weil Librettist Francis Hüsers die Begleitfiguren zu allenfalls illustrierenden Nebenrollen degradiert. Schade, denn Alexandra Steiner als Hilde und Silvia Hauer als Bolette sind darstellerisch und sängerisch ausgezeichnet eingestimmt; Aaron Judischs jetzt gefestigter lyrischer Tenor gibt dem Möchtegern-Künstler feines Profil eines Sinnsuchers, und Bassist Wilfried Staber als Lehrer weiß um die Zwiespältigkeit einer Figur, die Begehren zurückstellen muss.

Musiziert wurde vom Philharmonischen Orchester Heidelberg unter Leitung von Dietger Holm sehr zugewandt und aufmerksam, zumal das Spiel hinter dem Rücken des Dirigenten im Parkett stattfindet. Deshalb auch die Zusatz-Dirigate von Ivo Hentschel (Sängerführung) und Joana Mallwitz (Fernorchester). Das alles wäre großartig gewesen, doch die Musik von Alexander Muno trägt nicht. Diese Komposition will viel, ja gewiss die Sterne vom Opernhimmel holen, aber sie ertrinkt im Farbenreichtum ihrer Instrumentierung, der weder leitmotivische Substanz noch hinführende Dramatik eignet. Sicher, ein steter Puls schlägt bis zur Atemlosigkeit, doch haftet wenig; die Musik zeigt Zähne, aber ihr Biss verhakt sich in der Leere.

Bemerkenswert gut besetzt waren die männlichen Gegenspieler um die Gunst jener irritierenden Frau Ellida. Lucas Harbour mit kernigem Bariton sang den Arzt-Ehemann mit jener gefühlten Gefühllosigkeit, die aus reiner Selbstbezogenheit entsteht. Er analysiert seine Frau und liegt immer haarscharf daneben. Perfekt, weil das Missverständnis einer Ehe deutlich wird. Amadeu Tasca gibt dem „fremden Seemann“ Attraktivität in Aussehen und Stimme; dass er als Einarmiger auf die Bühne gestellt wird, würzt ihn zudem noch mit einem kleinen Mitleidsfaktor. Ja, schon tutet das Schiffshorn zur Abfahrt, der Koffer ist gepackt, doch im letzten Moment bleibt Ellida beim Doktor. Warum? Bei Ibsen aus Verantwortung für ihre beiden Stieftöchter, in Heidelberg eher aus einer kaum nachvollziehbaren Laune heraus.

Eckhard Britsch

 







 Fotos: Markus Kaesler