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Fakten zur Aufführung 

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)
17. September 2011
(Premiere)

Staatsoper Hannover


Points of Honor                      

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Keiner liebt sie

Monologisch Lieben – so ist ein langes Interview mit Regisseur Benedikt von Peter im Programmheft überschrieben. Die monologische Liebe ist das Ergebnis seiner Beschäftigung mit Verdis Traviata. Die Protagonistin ist allein mit ihrer Liebessehnsucht, isoliert und vereinsamt. Alles andere dringt nur wie Stimmen aus der Ferne oder wie Stimmen in ihrem Kopf an sie heran. Sie ist von Beginn an eine an sich selbst und ihrem Liebesbedürfnis gescheiterte Frau, die nunmehr einen Zustand geistiger Verwirrung erreicht hat.

Von Peter stellt sie allein auf die Bühne. Vorne, auf dem hochgefahrenen Orchestergraben, agiert sie in einer Trainingshose, zieht manchmal einen Petticoat drüber, eine rosa Perücke auf den Kopf, sie spielt mit einzelnen Requisiten wie Tisch, Stuhl, Türrahmen, Spiegel oder Radio. Die Bühne hat Katrin Wittig eingerichtet, für die Kostüme zeichnet Geraldine Arnold verantwortlich. Das Orchester sitzt hinter der Verzweifelten auf der Bühne, von einem durchsichtigen Vorhang abgetrennt. Die weiteren Solisten singen vom ersten, die Chorsänger vom zweiten Rang – aus der Finsternis, sie alle sind als Figuren nicht erkennbar und spielen als solche auch keine Rolle. 

Die totale Vereinsamung der Violetta Valéry in den Mittelpunkt zu stellen ist an sich eine diskussionswürdige Überlegung. Einen ganzen Abend ausschlie0lich auf diese Idee zu reduzieren, die Liebe zwischen ihr und Alfredo etwa und die Zerrissenheit zwischen Liebe und moralischem Zwang des Vater Germont für die Entwicklung der Titelfigur ganz auszublenden, keine Interaktion zwischen den Protagonisten sichtbar werden zu lassen, kann indes kaum überzeugen. Violetta hat nur sich selbst als Spielpartner, muss sehen, wie sie die Begegnungen mit den anderen zu einem einzigen Monolog formen kann. Und das muss sie in zweieinhalb pausenlosen Stunden als in jeder Hinsicht, vor allem aber vokal gewaltigen Kraftakt vollziehen. Nicht nur für die Sängerin, auch für das Publikum ist das eine Herausforderung. Dadurch, dass zentrale Szenen zwischen Violetta und ihren Bühnenpartnern nicht stattfinden, wird nicht nur viel von Verdi so subtil vorgegebenem, musikdramatischem Potenzial verschenkt, es lässt den Abend immer wieder zäh werden. Und wirft am Ende die Frage auf, was hier wirklich inszeniert wurde – das Stück oder allein seine Titelfigur.

Größte Bewunderung verdient dafür die Sängerdarstellerin Nicole Chevalier. Abgesehen von wenigen Intonationstrübungen zu Beginn zeigt sie sich in vokaler Höchstform, den Anforderungen der Partie gerecht zu werden. Schwebende Piani sind genauso ihre Stärke wie perlende Koloraturen und dramatische Zuspitzungen. Vor allem aber liefert sie sich als Darstellerin mit mehr als bewundernswerter Kraft und Energie den Konsequenzen der Sichtweise von Peters aus.

Aus dem Hinterhalt klingt Philipp Heo als Alfredo durchaus nach dem leidenschaftlich liebenden jungen Mann, vermag Brian Davis als Vater Germont zerbrechliche Autorität des ebenso strengen wie auch liebenden Vaters zu zeigen. Beide klingen allerdings in einigen Momenten immer wieder unfrei, mitunter sogar blutleer, als ob ihnen etwas fehlt, die Stimme frei laufen zu lassen – das Spiel auf der Bühne, die direkte Kommunikation mit dem Gegenüber?

Die übrigen Figuren sind nur akustische Statisten, singen dafür umso stattlicher: Shavleg Armasi als Dottore Grenvil, Mareike Morr als Annina und Julie-Marie Sundal als Flora, Young Kwon als Marquese und Jon-Ho Yoo als Baron Douphol. Vom zweiten Rang aus singt der von Dan Ratiu wie stets souverän präparierte Chor.

Gregor Bühl hat das Staatsorchester sicher und straff im Griff, gestaltet die filigranen Passagen ebenso überzeugend wie die deftig-rhythmischen Chorszenen und die dramatischen Ausbrüche. Tückisch ist die Platzierung des Orchesters auf der Bühne und hinter einem Vorhang. Akustisch muss da manchmal mehr gegeben werden, als es vorne aus dem Graben nötig wäre. Vor allem aber fehlt dem Dirigenten jeder direkte Blickkontakt zu Solisten und Chor, was das Zusammenspiel gerade zu Beginn hörbar gefährdet. Insgesamt aber hält Bühl die Zügel sicher in der Hand und sorgt für große, weite musikalische Bögen.

Am Ende spricht Violetta noch einmal den Satz ins Publikum, den sie schon zu Beginn sagt: "This is for you". Für wen es nun tatsächlich ist, bleibt ähnlich diffus wie die Bedeutung einer längeren Textpassage, ebenfalls auf englisch, die sie vor Beginn des dritten Aktes in ein Mikrophon spricht. Es geht um die Bestimmung ihrer Schönheit, ihres Körpers, ihrer Begehrlichkeit, um ihre Liebessehnsucht. Aber zu wem sagt sie es, wenn sie doch keiner hört, weil sie ganz allein ist?

Am Ende gibt es spontan stehende Ovationen für Nicole Chevalier, viel Beifall auch für Philipp Heo, Brian Davis und Gregor Bühl. Der Auftritt des Regieteams löst zwar eine Buh-Lawine aus, die jedoch von den vehement Begeisterten fast übertönt wurde. Bei aller Bewunderung für die große Leistung der Nicole Chevalier bleibt am Ende doch eher Ratlosigkeit zurück.

Christian Schütte






 
Fotos: Thomas M. Jauk