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Fakten zur Aufführung 

DIE TEUFEL VON LOUDUN
(Krzysztof Penderecki)
24. März 2012
(Premiere)

Staatsoper Hannover


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Bühne

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Vor der Premiere

Stefan Klingele dirigiert Krzystof Pendereckis Die Teufel von Loudun in Hannover. Christian Schütte hat mit ihm über diese Herausforderung gesprochen (4'45).

 

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Der Teufel ist nur Theater

Die Geschichte geht auf eine wahre Begebenheit zurück. Vater Grandier ist im französischen Loudun des Jahres 1634 ein beliebter Mann. Nicht nur als Prediger, die Damen des Ortes wissen ihn auch in seinen männlichen Qualitäten zu schätzen. So auch die Priorin Jeanne. Sie ist eine bucklige, unattraktive Frau, sehnt sich nach der Nähe des Vater Grandier, lädt ihn ein, geistlicher Beistand in ihrem Ursulinenkloster zu werden. Das lehnt er ab. Jeanne verbreitet daraufhin die Geschichte, Grandier habe in sie und ihre Schwestern den Teufel getrieben. Die Gesellschaft glaubt ihr, Grandier steht wegen seines anrüchigen Lebensstils ohnehin unter ständiger Beobachtung. Alles, was gegen ihn sprechen könnte, wird sofort schwer in die Waagschale geworfen. Die Nonnen lassen Exorzismen über sich ergehen, die eigentlich nur großes Theater sind. Auf einem Nebenschauplatz unterstützt Grandier den Bürgermeister des Ortes in seinem Vorhaben, gegen den königlichen Befehl die Stadtmauern Louduns stehen zu lassen. Politisch und moralisch steht er unter schwerem Verdacht, die Masse ist gegen ihn aufgebracht und entwickelt eine Energie, die nicht mehr zu stoppen ist. Ein Gesandter des Königs, der die Exorzismen als Mummenschanz entlarvt, wird sofort beseitigt. Alle und alles richtet sich gegen Grandier, der unschuldig gefoltert wird und schließlich stirbt.

Diese grausame Geschichte über nicht mehr zu zügelnde Hysterien eines gesellschaftlichen Kollektivs erzählt Regisseur Balázs Kovalik in beklemmenden, drastischen, brutalen und manchmal auch plakativen Bildern, die wie selbstverständlich aus Text und Musik des Stücks zu entwachsen scheinen. Bühnenbildner Florian Parbs hat bühnenhohe, tief nach hinten reichende Gerüstelemente gebaut, dazwischen fährt eine Tribüne, vor allem für den Chor, raus und rein – Zuschauertribüne, Kirchenbänke, das richtende Parlament, vieles kann das bedeuten. Und es gibt noch einen kleinen metallenen Guckkasten, der als Bühne auf der Bühne immer mal wieder erscheint, vor allem als Schauplatz der Visionen Jeannes, auch mal als kommentierendes Element zum Geschehen auf der Bühne. Die Ursulinen wie auch sonst alle Geistlichen gewandet Kostümbildnerin Angelika Höckner in kräftiges, blutverheißendes Rot. Die „weltlichen“ Protagonisten, der Chor vor allem, sind durch schlichte Alltagskleidung davon abgegrenzt. Für den Guckkasten schreckt Höckner nicht vor plastischer Überzeichnung zurück, wenn zum Beispiel am Anfang Jeannes Vision von Grandiers Hinrichtung als Jesus' Weg zum Kreuz als Römer-Revue daherkommt. Genauso überdeutlich, mit viel Blut, ist Grandiers Folterung zu sehen – ihm werden die Fingernägel ausgerissen, die Augen ausgestochen. Und auch die Exorzismus-Szenen zeigen überdeutlich, was da passiert. Diese Bilder prägen sich ein, sie sind nicht zu viel oder überschreiten gar Grenzen. Es braucht diese Deutlichkeit, um die Grausamkeit der Geschichte erfahrbar zu machen. Elena Siberskis starke Lichtregie unterstützt diese Bilder noch.

Krzysztof Penderecki formt die Handlung mit einer manchmal minimalistischen, manchmal grellen und lauten, höchst individuell instrumentierten und stets differenzierten Klangsprache. Die zu ordnen und zu einem dichten musikdramatischen Fluss zu verbinden, gelingt Dirigent Stefan Klingele mit dem Staatsorchester sehr eindringlich. Das Kollektiv der Musiker hält er ebenso sicher in der Hand wie den von Dan Ratiu großartig einstudierten Chor. Der nimmt seine Aufgabe als reagierende Masse auch darstellerisch beeindruckend wahr.

Den Solisten fordert Penderecki viel ab, operntypisches Singen genauso wie Sprechgesang oder auch nur Sprechen. Hannovers Ensemble ist bis in die kleinste Rolle stimmlich wie schauspielerisch überlegen souverän. Khatuna Mikaberidze lässt ihren Mezzo leuchten, glühen, in Abgründe eintauchen und formt die Priorin Jeanne zu einem beklemmenden Charakter. Das gelingt ebenso Brian Davis als Vater Grandier. Auch als unschuldig gefolterter Mann bewahrt er stimmlich mit seinem kraftvollen und ausgeglichenen Bariton die Autorität seines Amtes und lässt so keinen Zweifel daran, dass hier der falsche sterben muss. Tobias Schabel als Teufelsaustreiber Vater Barré, Ivan Turšić und Michael Chacewicz als intriganter Apotheker beziehungsweise Arzt, Edward Mout als Beichtvater Mignon, Albert Pesendorfer als Vater Rangier, John Pickering als Sonderkommissar des Königs zeichnen überzeugende Porträts ihrer Rollen; Neele Kramer, Ania Vegry und Julie-Marie Sundal als Jeannes Schwestern sowie Ina Yoshikawa und Mareike Morr als von Grandier Verführte sind ein ebenso starkes weibliches Ensemble.

Mag es an den Bildern liegen oder an der für viele sicher ungewohnten Musik Pendereckis, einige Zuschauer verlassen die Aufführung vor Ende. Davon abgesehen herrscht aber große Konzentration. Nach einem kurzen Moment des Innehaltens kommt dann begeisterter Beifall für alle Beteiligten auf. Die Eindrücke des Abends wirken nach.

Christian Schütte







Fotos: Thomas M. Jauk