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Fakten zur Aufführung 

¡TANGO!
(Hans van Manen, Jörg Mannes, Kinsun Chan)
17. Februar 2012
(Premiere)

Staatsoper Hannover


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Tanz

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Leidenschaft pur

Tango bezeichnet gemeinhin nichts weiter als einen aus Argentinien stammenden Tanz. Natürlich werden Assoziationen wie Leidenschaft, Liebe, Lust und Sehnsucht hervorgerufen. An diesem Abend allerdings verbirgt sich hinter ¡Tango! noch viel mehr. Ein Programm nämlich, das unter der Leitung von Hannovers Ballettchef Jörg Mannes drei Choreografen-Generationen und drei Stilrichtungen präsentiert.

Der Abend wird eröffnet mit den 5 Tangos von 1977, eine Choreographie von Hans van Manen, zu Musik von Astor Piazzolla. Das Ballett ist für sieben Paare geschrieben und kontrastiert Piazzollas raue Bandoneon-Musik mit kühlem, elegantem, beherrschtem Tanz. In rote und schwarze Kleidung gehüllt und mit streng zurückgekämmten Haaren präsentiert Jean-Paul Vroom das Ballettensemble auf leerer Bühne. Am Anfang stehen typische Figuren des Tango Argentino, die allerdings mit neoklassischem Bewegungsmaterial aufgebrochen werden. Ordnung, Strenge und Eleganz, auch Stolz und Anbetung scheinen thematisiert zu werden. Van Manen betont allerdings den reinen Tanz, ohne dabei narrative Strukturen oder dramatischen Gehalt in den Fokus zu rücken. Die Choreografie zu Resurreccion del Angel erinnert in ihren Anfangssequenzen fast an Bewegungen aus dem Stummfilmzeitalter, so zackig und abrupt sind sie.

Ein wenig freizügiger geht Kostümbildnerin Heidi de Raad mit den Tänzerinnen und Tänzern in der Uraufführung von Jörg Mannes' Choreographie Strictly Tango um. Die Damen sind nur noch mit schwarzem Body, die Herren mit Shorts und Muskelshirt bekleidet. Auch sie bewegen sich unter anderem zu der Musik Astor Piazzollas, die Musik kommt hier wie den ganzen Abend über vom Band. Die Paartanzszenen erinnern an immer stärker werdendes leidenschaftliches Verlangen, das Flehen um Erlösung, an Verzeihen. Dieses geschieht aber immer vor dem Hintergrund der Hoffnung darauf, nicht fallengelassen zu werden. Es folgt ein Kräftemessen von Männern, die sich fast wahnhaft bewegen. Dieses Kräftespiel wird durch bewusstes Einsetzen der Spotlights, die auf eine sehr tiefe Ebene bewegt werden, noch unterstrichen. Danach erlebt der Zuschauer eine typische Beziehungsszene, tänzerisch umgesetzt, denn der Tango ist ja so etwas wie ein intimer Dialog. Die Abhängigkeit zweier Menschen voneinander, das Begehren, die Hingabe und gleichzeitig das Führen und Folgen, welches schnell in ein Zwingen und ein unfreiwilliges Unterliegen mündet. Die Musik wird immer drängender, bis sie schließlich mit Alberto Ginasteras Concert per corde mit seinen reduzierten und so zwingenden, fast bedrohlich wirkenden Geigenklängen ihren Höhepunkt erreicht.

Den Abschluss bildet Kinsun Chan mit seiner ebenfalls uraufgeführten Choreographie Batucada. Samba Batucada ist Musik, die von einer Gruppe von zehn bis zwanzig Schlagzeugern gespielt wird. Nicht nur die Choreografie stammt von Chan, er zeichnet auch für Bühne und die Kostüme verantwortlich. Der Zuschauer wird in die Welt des Sambas nach Brasilien mitgenommen und begibt sich dort auf eine spannende Reise. Diese beginnt in einer ländlichen Gegend, führt dann weiter in die Favelas und endet schließlich im tropischen Regenwald. Musikalisch setzt Chan dieses mit einem traditionellen Wiegenlied beginnend um, zu dem sich nur ein Tänzer bewegt. Es folgen die Barbatuques, eine bekannte brasilianische Formation, die Percussion ganz aus und mit dem Körper entstehen lässt. Im Hintergrund der Bühne sieht man eine Kulisse von Holzkisten, die an Häuser erinnern. Nach und nach schälen sich die Tänzer heraus, während im Vordergrund Männer wie Stammeskrieger unter Schlägen auf die eigene Brust tanzen. Ihre Kleidung ist auf blaue Pants reduziert. Weiter geht die Reise in Richtung Regenwald. Die klangliche Assoziation kommt besonders durch die Verwendung von Maracas, das sind Rumba-Rasseln, auf. Diese farbenprächtige Musik und die ausgelassene Mentalität, so wunderbar eingefangen in einer temperamentvollen Choreografie, führen in ein rasantes Finale mit allen Ensemblemitgliedern, unterlegt von Ile Axes Batucada. Das Publikum hat das Ballettensemble längst für sich gewonnen, es bewegt sich zu den feurigen Rhythmen mit.

Der tänzerisch großartige Abend endet mit einer Zugabe, anders wäre das Publikum auch nicht zu beruhigen gewesen. Ausgelassenen Beifall gibt es nach jeder Choreographie, euphorisch wird der Applaus dann nach Chans Batucada. Es fällt dem Publikum schwer, die Tänzerinnen und Tänzer nach diesem Abend zu entlassen, minutenlanger Beifall, unzählige Vorhänge.

Agnes Beckmann

 

Fotos: Gert Weigelt