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Fakten zur Aufführung 

EIN SOMMERNACHTSTRAUM
(Benjamin Britten)
29. März 2014
(Premiere)

Staatsoper Hannover


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Aufruhr im Feenreich: Königin Tytania und König Oberon haben sich zerstritten, und nun sinnt er nach Rache: Sein chaotischer Helfershelfer Puck soll einen Nektar, der Zauberkraft besitzt, auf Titanias Augenlieder träufeln – damit sie sich in diejenige Person, die sie als erstes erblickt, verliebt. Leider ist das Bottom, ein in einen Esel verwandelter Handwerker. Doch Puck nimmt es mit der Genauigkeit seines Auftrags nicht so ernst und verzaubert auch das Paar Lysander und Hermia sowie das Gespann Helena und Demetrius, so dass sich kreuz-und-quer-Beziehungen ergeben. Ort des Geschehens ist ein Zauberwald nahe Athen, den auch Waldgeister und Elfen ihr Zuhause nennen. Hier findet das abstruse Verwirrspiel um Liebe und Begehren in einer Sommernacht zwischen Traum und Wirklichkeit statt.

Im August 1959 entschloss sich Benjamin Britten, für den folgenden Sommer seines Musikfestivals im ostenglischen Aldeburgh eine abendfüllende Oper zu schreiben. Seine Wahl fiel auf William Shakespeares Sommernachtstraum, der ihm wegen der charakteristischen Personen und der sich immer wieder neu verschränkenden Handlungsebenen besonders ans Herz gewachsen war. Britten fängt den Geist des witzigen, aber auch tiefgründigen Originals wunderbar ein und verwendet bis auf einen Satz ausschließlich den originalen Text. Die farbenreiche Instrumentierung, die poetische Musiksprache und eine originelle Besetzung – Oberon als Countertenor, Puck als Sprechrolle – führen direkt hinein in eine fantastische Zauberwelt. Mit der irrwitzigen Handwerkerszene schuf Britten zudem eine köstliche Opernparodie.

Der Sommernachtstraum beginnt in einem Wald, in dem sich zunächst nur Oberon, seine Frau Tytania und Puck, der Kobold, befinden. Nach und nach durchqueren ihn auch Hermia und Lysander, ein schrilles, sehr buntes Paar, und die noch nicht zusammengehörigen Rocker Helena und Demetrius. Auf der Suche nach ihrer Realität erscheint bei Regisseur Michiel Dijkema der Wald den Figuren als Durchgangsort, in den diese die für sie wichtigsten Dinge mitbringen: Demetrius ein Gewehr, Lysander und Hermia einige Möbelstücke wie einen Teppich oder ein Sofa. Diese tauchen im Verlauf der Handlung als riesenhafte Objekte auf der ganzen Bühne auf, bis sie irgendwann fast ganz zugestellt ist: Das Chaos im Inneren der Figuren wird hier symbolisch dargestellt, und erst mit dem Verbrennen aller Objekte sind die Figuren in der Wirklichkeit angekommen. Die Wirklichkeit ist ein skurriles Theaterstück einer rein männlichen Handwerkertruppe, die sich fast unbemerkt ins eigentliche Geschehen verwoben hat. Dijkema bringt diese verschiedenen Ebenen gleichwertig und ganz wunderbar bilderreich und farbenfroh auf die Bühne. Ganz hervorragend wird er dabei von Florian Parbs unterstützt, der mit viel Kreativität die riesenhaften Gegenstände aus jeder Ecke aufblitzen lässt und mit einem herabfallenden „Ungetüm“ von Vogel für viel Gelächter sorgt. Zwischen Athen, der Feenwelt und der Realität versteht es auch Claudia Damm, die Figuren anzusiedeln. Ausnahmslos alle Figuren sind unter ihrer Kostümregie zum Besten geraten: Die Elfen mit ihren dicken Bäuchen, den Schwimmflossenfüßen und den mit Blumen, Blättern und Vögeln bestickten Kleidungsstücken, in den Händen Stöcke mit Blumentöpfen am Ende tragend; der mächtige Theseus und seine Gattin ganz in Gold gekleidet und besonders die verkleideten Handwerker – unter ihnen ein „Löwe“, der als Löwenmähne am Helm befestigte gelbe, aufgeblasene Gummihandschuhe trägt.

Dem wendigen, am Seil so geschickten Jami Reid-Quarrell als chaotischem Puck gebührt großes Lob – und das nicht nur wegen der akrobatischen Einlagen, sondern auch wegen seiner schauspielerischen Leistung, die zwischen draufgängerischem Tun und einer weiblichen, zarten Seite changieren. Als Oberon umschmeichelt William Towers besonders mit seinen Spitzentönen das Ohr. Heather Engebretsons schauspielerischer Höhepunkt ist zweifellos die Liebesszene mit dem als Esel verzauberten Bottom, dessen Part Frank Schneiders übernimmt. Mit betörend-leichtem Koloratursopran umgarnt sie ihn, bis sie am nächsten Tag – vom Zauber erlöst – ihren Fehler einsieht. Schneiders gibt den Bottom mit viel Humor, Energie und Fantasie; kein Wunder, dass Lysander, gespielt von Sung-Keun Park, und Hermia, gegeben von Hanna Larissa Naujoks, so großen Spaß an der Aufführung haben. Park singt mit schönen Linien, Naujoks lässt ihren gut fokussierten Mezzo immer wieder voll aufblühen. Rebecca Davis als Helena ist die stürmische, liebestolle Rockerbraut, die mit kraftvollem Sopran versucht, Demetrius für sich zu gewinnen. Christopher Tonkin gibt in dieser Rolle aber erst nach, nachdem er verzaubert wurde – sein kraftvoller, flexibler Bariton entwickelt sich zu einem glutvollen Klangregen. In weiteren Rollen begeistern Daniel Eggert, Edward Mout, Michael Chacewicz du Michael Dries als urkomisches Schauspielgespann, das für viel Heiterkeit im Publikum sorgt.

Britten hat sehr klare Vorstellungen, wie er Sprache in Musik umsetzt, und sie dominiert die Arien, Duette und Rezitative. In seine eigene Sprache bettet er die Sprache Shakespeares ein, wobei die Formen verwischen und der Wald in seiner Sinnlichkeit und Unüberschaubarkeit zum musikalischen Material umgeformt wird. Jede Personengruppe hat ihren eigenen Klang, damit sie für den Zuschauer unverwechselbar bleibt. Karen Kamensek setzt diese sphärische, von Glissandi dominierte Musik sehr gelungen um und hüllt das Publikum in einen mystischen Klangraum mit Glockenspiel, Harfen und Streichern ein. Dazu bezaubert der von Dan Ratiu einstudierte Kinderchor mit hellen, klaren Stimmen das Publikum und entführt es in eine Welt, in der Realität und Traum verschwimmen. Erst der tosende Schlussapplaus holt alle ins Hier und Jetzt wieder – eine absolut fantastische Aufführung.

Agnes Beckmann

 



Fotos: Thomas M. Jauk