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Fakten zur Aufführung 

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG
(Richard Wagner)
23. Juni 2013
(Premiere am 8. Juni 2013)

Staatstheater Hannover


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Multikultis suchen die wahren Meister

Zu Beginn steht es noch auf der Bühne: Nürnberg. Die putzigen Häuschen mit Stadt-Überschrift werden zur Ouvertüre im kleinen Fenster, das zentriert in die große, weiße Wand eingeschnitten ist, wie bei einem Sonnenaufgang erleuchtet. Mit dem ersten Aufkommen des Beckmesser-Motives kommen Kinder auf die Bühne und räumen die Stadt beiseite. Ein schönes Bild dafür, wie Regisseur Olivier Tambosi mit der Rezeptionsgeschichte des Werkes aufräumen will. Die Meistersinger ohne Nürnberg – auch im Text, in dem Tambosi alles Nationale inklusive der großen Mahnworte zum Schluss streicht. „Mit seichtem Dunst und seichtem Tand, begnügt man sich ringsum im Land … Ehrt Eure wahren Meister…zerging in Dunst auch jedes ird’sche Reich, uns bliebe gleich die ewig neue Kunst“, singt Hans Sachs nun im Finale. Man kann sicher darüber diskutieren, ob ein derartiger Eingriff in den Text sinnvoll oder gar erlaubt ist. Musikalisch verliert die Ansprache des Sachs mit dem neuen Text nicht an Wirkung, im Inhalt findet sich viel Wahres, aber auch ein dekorativ erhobener Zeigefinger.

„Ich habe Nürnberg und Deutschland aus diesem Stück entfernt, weil das nur reine Dekoration ist, die den Blick auf das Wesentliche verstellt“. Gefährlich werden diese Worte Tambosis für seine Inszenierung selbst, gleitet sie doch ebenfalls stellenweise ins Seichte ab, wo er beabsichtigt, Tiefgang zu erzeugen. Etwa im Finale des zweiten Aktes: Mangels einer Stadt hat Bengt Gomérs Bühnenbild nur eine hohe Stehleiter zu bieten. Eva und Stolzing verstecken sich also unter einer Bettdecke, Magdalene klettert hinter Kissen und Decke getarnt (!) gefährlich auf der Leiter herum, damit Beckmesser sie von unten ansingen kann. Ein Fenster, das auch ein globales Element gewesen wäre, hätte der Szene diese Peinlichkeit erspart. Die Übertitel erweisen sich dabei ebenfalls als Feind der Inszenierung, wenn sie von Gebüsch, Linde und Fenster sprechen.

Es gibt einige Fragezeichen, die Tambosis Konzept hinterlässt, doch man darf darüber nicht die positiven Seiten der Produktion außer Acht lassen. Vor allem der erste Akt bietet eine sehr starke und flüssige Personenführung. Die erste Begegnung zwischen Stolzing und Eva und vor allem die individuelle Meistersitzung, die von ungewohnter Herzlichkeit ist. Hier wird um die Sache gestritten, nie um die Person. Auch Sachs und Beckmesser begegnen sich mit großem Respekt und albern miteinander herum. Alle tragen die gleichen saloppen Kostüme aus Hose und Shirt, die man problemlos zum Streichen der Wände anziehen könnte. Auf den farbenreichen T-Shirts prangen unterschiedliche Städtenamen von Rom bis Oslo. Lediglich beim Kostüm der Eva hätte Carla Caminati auf die Leggins verzichten dürfen, die sehr unvorteilhaft wirkt. Das total schlichte und reduzierte Bühnenbild weist mit einer farbigen Rückwand auf den großen Wunsch der Hauptpersonen hin. In allen Sprachen steht dort etwas von Liebe und verliebt sein. Besonders betrifft das Beckmesser, der sich in seinem überintensiven Bemühen um Kunst und Liebe selbst zum Außenseiter macht. Tragisch und komisch zugleich sieht es aus, wenn er im dritten Akt zunächst allein auf der Bühne steht, sich in Ekstase dirigiert und gar nicht bemerkt, dass sich die anderen irritiert und amüsiert um ihn scharen. Dass er am Ende Stolzing zu seinem Sieg gratuliert, rückt ihn weit weg vom normalen Klischee des Verlierers.

Durch die Erkrankung von Albert Pesendorfer, der den Sachs singen sollte, bekommt die Aufführung ein Problem. Man ist gezwungen, auf eine Doppellösung auszuweichen. Regieassistent Charles Ebert muss man dankbar sein, dass er sich als Schauspieler zur Verfügung stellt, doch fehlt ihm trotz sichtlicher Steigerung über die Akte die szenische Präsenz und das Verhältnis zum Text für die zentrale Rolle. Ralf Lukas singt gut gelaunt den Sachs von der Seite, und bei seiner ersten großen Ansprache Verzeiht, vielleicht schon ginget ihr zu weit zieht er unglücklicherweise fast alle Blicke auf der Bühne auf sich. Kein Wunder: Seine Worte haben Kraft und Ausdruck, seine Stimme ruht stets auf dem Körper und bewahrt sich bis in die Höhen den schön sonoren Kern. Eine großartige Leistung! Auch ansonsten stellt Hannover eine respektable Besetzung auf die Bühne: Stefan Adam kämpft zuweilen mit Problemen in der Übergangslage. Sein großartiger Beckmesser ist pointiert, aber frei von Übertreibungen gesungen und passt sich somit der Szene an. Robert Künzli strotzt szenisch und vokal mit jugendlicher Unbekümmertheit. Im Piano offenbart sich aber ein aspirierter Tonansatz. Josefine Webers Eva strahlt in der Mimik und in der sehr angenehm klingenden Stimme Freude aus. Ihr Vater hat mit Per Bach Nissen einen würdigen Bass in der tiefen Lage und unüberhörbare Probleme in der Höhe. Mareike Morr als aktive Magdalena und Ivan Turšić als körperlich leicht verkrampft wirkender David lassen keine Wünsche offen. Die Prügelfuge beginnen Chor und Extrachor der Staatsoper mit ihrem eigenen Tempo, finden aber immer wieder in die Spur zurück, was für die sichere Einstudierung von Dan Ratiu spricht. Die Bandbreite vom krachenden Forte bis zum sensiblen Piano ist bemerkenswert.

GMD Karen Kamensek lässt das Orchester im ersten Akt noch viel zu laut aufspielen. Wie differenziert und feinfühlig Wagner im Staatsorchester klingen kann, zeigen dann Momente wie die Einleitung zum Fliedermonolog, oder das Vorspiel zum dritten Akt. Voller Detailfreude und mit recht flüssigen Tempi geht Kamensek zu Werke, ohne der Oper die ganz große Wirkung entlocken zu können. Insgesamt eine solide Leistung im Orchestergraben, daher verwundern einige deutliche, ungerechtfertigte Buh-Rufe für die Dirigentin. Auch direkt nach dem letzten Ton gibt es Ablehnung zu hören, die wohl der textlichen Neuinterpretation gilt. Es überwiegt die Zustimmung für die Sänger, insbesondere für die beiden Hans Sachse. Das Publikum in Hannover hat Überraschungen und bekannte Verhaltensschemen parat. Für letzte steht eine Ehefrau, die nach der Ouvertüre einschläft, erst zum lauten Finale wieder aufwacht und nach der Pause samt Mann nicht mehr wiederkommt. Auch die berühmten Stimmen, die ins schönste Piano hinein „flüstern“ Jetzt kommt die schöne Stelle, sind wieder zu hören. Überraschend ruhig dagegen ist eine Schulklasse, von denen einige in der Pause sogar über Noten diskutieren. Das Highlight des Abends ist aber ein älterer Herr, der jede Note und jeden Satz der Oper zu kennen scheint. Mitfiebernd sitzt er in der dritten Reihe und vor allem in der großen Finalszene des zweiten Aktes dirigiert er begeistert und mit weiten Armbewegungen mit, was auch Ralf Lukas an der Seite mit einem irritiertem Blick bemerkt. Für die direkten Nachbarn sicherlich absolut störend, aber doch irgendwie schön. Und es stimmt doppelt nachdenklich, wenn wenig später der einsam dirigierende Beckmesser auf der Bühne steht.

Christoph Broermann







Fotos: Thomas M. Jauk