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Fakten zur Aufführung 

LADY MACBETH VON MZENSK
(Dimitri D. Schostakowitsch)
26. Oktober 2012
(Premiere am 21. Oktober 2012)

Staatsoper Hannover


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Aus der Spießigkeit auf die Müllhalde

Schostakowitsch hat mit der Uraufführung der Lady Macbeth von Mzensk 1934 zwar einen großen Erfolg gehabt, und das Stück hat rasche Verbreitung in Russland und darüber hinaus gefunden. Dem Siegeszug des Werkes ist im Januar 1936 allerdings ein jähes Ende gesetzt worden, als in der Prawda ein von Stalin initiierter Artikel mit dem Titel Chaos statt Musik erschienen ist. Es sei die Oper eines „Volksfeindes“, die hier die Menschen in die Theater ziehe, und dem solle nun Einhalt geboten werden. Erst 1963 hat es, in einer vom Komponisten stark retuschierten, angepassten Fassung, die erste Wiederbegegnung auf der Bühne gegeben. Fünf Jahre nach Schostakowitschs Tod gelang es schließlich, die Urfassung wieder auf die Bühnen zu bringen. Und die ist jetzt auch an der Staatsoper Hannover zu sehen.

Regisseur Frank Hilbrich konzentriert sich über weite Strecken des Abends auf die Innenwelt der Protagonisten. Dabei unterstützt ihn sein Bühnenbildner Volker Thiele, der einen drehbaren Guckkasten auf die Bühne setzt, der verschiedene Räume der Familie Ismailow zeigt. Alle holzvertäfelt, eng, ungemütlich, kurzum der Inbegriff spießbürgerlicher Begrenztheit. In diesen Räumen inszeniert Hilbrich zunächst das Kammerspiel zwischen Katerina Ismailowa, der jungen, unglücklich verheirateten Frau, ihrem jämmerlichen Gatten, dem ihr nachstellenden Schwiegervater und ihrem leidenschaftlichen Liebhaber Sergej. Die strenge, langweilige, verklemmt wirkende und sehr graue Alltagskleidung, die Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht dem Chor und den Solisten, mit Ausnahme des sich leidenschaftlich liebenden Paares, gibt, unterstreicht die beklemmend enge Atmosphäre nur einmal mehr.   

Katerina Ismailowa ist hier eine starke Frau, die ihren Mann und ihren Schwiegervater nicht ernst nimmt. Sie braucht einen Mann, der Leben und Körperlichkeit symbolisiert. Den bekommt sie zwar, dennoch zerbricht sie an ihrem Leben Stück für Stück. Das wird auch durch die Morde ausgelöst, erst an ihrem Schwiegervater, dann am Ehemann. Diese psychologisch äußerst spannend erzählte und komponierte Geschichte bringt Frank Hilbrich in gradlinigen Bildern auf die Bühne, erzählt das Stück ohne Umwege und abstrakte Interpretationsgerüste, wesentlich fokussiert auf die Titelpartie. Die will ihr behütetes Leben nicht abstreifen, behält bis zur Schlusszene auf dem Weg ins sibirische Gefangenenlager ihr Brautkleid an. Das trägt sie, weil sie ihren Geliebten Sergej sofort heiratet, nachdem beide ihren Mann umgebracht haben. Doch auch nach der Hochzeit bleiben ihre Sehnsüchte unerfüllt. Der grobe Sexismus der Gesellschaft, in der sie lebt, ist auch nicht das, was sie will.

Je mehr die Intimität, das Verborgene aufbricht, in dem sich das Kammerspiel zwischen den vier Protagonisten abspielt, desto mehr Müll kommt auf die Bühne. Am Ende, auf dem Weg ins Gefangenenlager, in das Katerina und Sergej ihrer Taten wegen verbannt werden, ist alles eine große Müllhalde. Eine Gesellschaft vermüllt also regelrecht, verwest, verkommt. Der sichtbare Müll ist da manchmal etwas plakativ, dennoch entstehen starke, dichte und beklemmende Bilder. Bis zum Ende, als Katerina, ohne Ausweg, zur Flasche mit Gift greift.

Auf der Bühne ist ein starkes Ensemble zu erleben. Gitta-Maria Sjöberg von der Königlichen Oper Kopenhagen ist kurzfristig in der Titelpartie eingesprungen. Nicht nur, dass sie sich nahtlos in die Inszenierung einfügt. Sie verkörpert absolut glaubhaft eine selbstbewusste Frau, die genau weiß, was sie will, und immer mehr daran zugrunde geht, dass die Grenzen des Umfeldes, in das sie hineingeheiratet hat, ihr das nicht ermöglichen. Der – im Libretto so nicht vorgesehene – Selbstmord durch Gift am Ende scheint da beinahe konsequenter als ins Wasser zu gehen, was sie eigentlich tut. Mit gut fokussiertem, expressivem und in allen Lagen gut ausgebildetem Sopran besteht sie die vokalen Klippen der Partie souverän. Mit etwas rauem, aber sehr charakterstarkem Tenor und ebenso überzeugendem Spiel ist ihr Alexey Kosarev als Sergej ein ebenbürtiger Partner. Per-Bach Nissen ist mit gewaltigem Bass ein furchteinflößender Schwiegervater, Ivan Turšić mit etwas nasalem Tenor der glaubwürdig versagende Ehemann Katerinas. Aus dem übrigen Ensemble bleiben Brian Davis mit markantem Bariton als Polizeichef, Wächter und Sergent, Daniel Eggert mit rundem, vollem Bass als Alter Zwangsarbeiter, Edvard Mout mit aufhorchen lassendem Charaktertenor als Schäbiger und Julie-Marie Sundal mit dunklem Mezzo als Sonjetka im Gedächtnis. Dan Ratiu hat den Staatsopernchor auf inzwischen selbstverständlich hohem Niveau zu einem eindrucksvollen und wandlungsfähigen vokalen Kollektiv geformt.

Generalmusikdirektorin Karen Kamensek entlockt Schostakowitschs Partitur alle Facetten: Schwärmerei und Brutalität, Bedrohlichkeit und Beschaulichkeit, Innigkeit und Plakativität, scheinbar vertraute Klänge und verblüffend moderne. Das Staatsorchester folgt ihr mit großer Konzentration und Präzision. Bei allem Auftrumpfen da, wo es nötig ist, bleibt Kamensek ihrem Ensemble auf der Bühne eine aufmerksame Begleiterin, niemand muss fürchten, in den Klangmassen unterzugehen.

Das Publikum in dieser zweiten Vorstellung hat sich nach der Pause deutlich gelichtet. Die bis zum Ende Gebliebenen belohnen diese stimmige und stimmungsstarke Aufführung mit kräftigem Beifall und vielen Bravo-Rufen.

Christian Schütte

Fotos: Thomas M. Jauk