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Fakten zur Aufführung 

HÜBSCH HÄSSLICH
(Karin Rehnqvist)
16. Januar 2012
(Premiere am 11. Januar 2012)

Staatsoper Hannover


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Skurilitätenkabinett vom Feinsten

Hannovers Junge Oper zeigt einen Opern-Thriller für Kinder ab zehn Jahren. Spätestens seit der Produktion von King Arthur weiß das Publikum, dass es höchstwahrscheinlich mehr als leichtes Kinderunterhaltungsprogramm erwarten darf, und so mischen sich auch viele Erwachsene unter die kleinen Zuschauer. Der Opern-Thriller stammt von Karin Rehnqvist, die zu den bekanntesten zeitgenössischen Komponistinnen Schwedens gehört. Die Handlung scheint simpel: Bella, ein junges Mädchen, soll nach dem Willen ihrer Mutter schön und artig sein, um dem künftigen Stiefvater zu gefallen. Bella ist von der Idee entsetzt und ruft verzweifelt nach ihrem verstorbenen Vater, der sie zu sich holen soll. Stattdessen erscheint die merkwürdige Figur des Thorko, welche sie in die unheimliche Traumwelt Pappaloniens lockt. Hier soll sie in der Schönheitsschule der uralten Gräfin Mammalia perfektioniert werden. Bella muss aber feststellen, dass die Gräfin in Wahrheit ein Vampir ist, der sich von der Schönheit der Schülerinnen ernährt, um so selbst jung und schön zu bleiben. Das Mädchen verbündet sich daher mit der hässlichen und ungezogenen Tochter der Gräfin. Es gelingt ihnen, die Macht der Gräfin und Thorkos zu brechen und in die Realität zu fliehen.

Diese Handlung allerdings auf einen Bühnenschauplatz zu bekommen, ist nicht so leicht und der Übergang Bellas ins Reich des Bösen wirkt ein wenig verwirrend. Die Figuren, die sie fern ab von ihrer Realität erwarten, sind schrill mit einem Hauch zum Morbiden, die Gräfin etwa in einem blutroten Kleid. Thorko wirkt wie ein im Kostüm eines Todesengels gehüllter Papageno, mit Federschmuck an den Händen, im Haar, zeitweise zwei verschiedene Flügel am Rücken tragend. Genauso originell wie die Kostüme von Annett Lausberg ist auch das Bühnenbild von Marie Fischer. Das einzige Requisit ist ein überdimensionales Regal mit unzähligen Fächern. Genau in diesen stecken aber die überraschenden, Angst einflößenden und bunten Details. Nicht nur, dass sich in einem Regalelement eine Figur versteckt und mitsamt diesem plötzlich heraustritt, auch Puppenköpfe schnellen aus im Regal platzierten Kartons hervor und versprühen morbiden Charme. Seifenblasen und aus einem Fach wehendes Glitzerpapier überraschen den Zuschauer.

Karsten Barthold fängt den von Karin Rehnqvist intendierten Aspekt der schwierigen Selbstfindung junger Menschen sehr gut ein. Hin- und hergerissen wirkt Bella, die  von ihrer Mutter jeden Tag zu hören bekommt, dass sie nicht schön ist, es aber sein soll. Sie soll gefallen, gefällt sich aber in dieser ihr auferlegten Rolle gar nicht. Ihr rebellisches Ich kommt in der hässlichen Bella zum Ausdruck. Die Schattenseiten des erzwungenen Perfektionismus werden durch einen Fressausbruch von Mutter und Tochter hervorragend darstellt.

Auch stimmlich brillieren die Darsteller. Denise Fischer als Bella singt mit klarem, sehr prononciertem Sopran und lässt ihre Zerrissenheit in jedem Wort erklingen. Neele Kramer als ihr zügelloser Gegenpart, die Tochter der Gräfin, gelingt es, durch makabre Gesten und ihre hervorragend düstere Miene sowie durch stimmliche Passagen, in denen nur Interjektionen gesprochen werden, zu überzeugen. Auch Sandra Fechner als stolze, erbarmungslose und dadurch völlig überzogene Mutter und Gräfin beeindruckt durch einen charakterstarken Mezzosopran. Sie lässt keinen Zweifel daran, wer in diesem Stück wessen Anweisungen zu folgen hat. Michael Chacewicz verkörpert den Thorko als völlig irre, durchgedrehte und vom Schönheitswahn berauschte Figur, die mit Froschkralle und Federkleid nur ein Schatten ihres eigentlich hübschen Selbst ist. Den Hass auf alles Hässliche vermittelt er auch gesanglich mit seinem Bariton, über mehrere Oktaven hinweg, überzeugend.

Diese Skurilitäten werden durch eine Musik ganz aus der Gegenwart unterstrichen, die unter Mark Rohdes Leitung erklingt. Das Orchester, das aus drei Bläsern, drei Streichern und einer Harfe besteht, spielt die atonale Musik auf hohem Niveau. Es gibt keinen Orchestergraben, sondern es wird auf einer Nebenbühne musiziert. Das macht den Blickkontakt für Rohde zu den Darstellern natürlich leicht und vielleicht sogar nötig. Da in dieser Oper das halbgesprochene beziehungsweise halbgesungene Wort im Vordergrund steht, sind präzise Einsätze nötig. Rohde koordiniert das sehr gut.

Welches Verständnis vom Publikum für neue Musik erwartet werden kann, sei dahingestellt. Das Orchester belohnen die Zuschauer jedenfalls mit kräftigem Applaus. Auch die Darsteller bekommen angemessenen Beifall, schließlich haben die erwachsenen Zuschauer über die ein oder andere morbide und oftmals überspitzte Szene durchaus lachen können. Es scheint allerdings, als ob das Stück für Kinder weniger verständlich und ab und an ein wenig zu viel ist, vor allem die Wortwahl ist mit Ausdrücken wie „beschissen“ oder „schwabbelnde Fettärsche“ mitunter recht grob. Nichtsdestotrotz gerät der Abend zum Erfolg für die Junge Oper, denn für Verrücktheiten sind die meisten Menschen eben doch empfänglich.

Agnes Beckmann



Fotos: Daniel Kunzfeld