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Fakten zur Aufführung 

DER BARBIER VON SEVILLA
(Gioacchino Rossini)
21. Januar 2012
(Premiere)

Staatsoper Hannover


Points of Honor                      

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Eine bühnenreife Zerreißprobe

Regisseur Alexander Charim legt mit Rossinis Der Barbier von Sevilla seine erste Operninszenierung überhaupt an einem größeren Haus vor. Mit diesem Debüt erreicht er vor allem eins – die Erwartungen der Opernbesucher an diesen Klassiker des Repertoires kräftig durcheinanderzuwirbeln. Charim setzt auf eine Inszenierung im Hier und Jetzt, in der die Protagonisten nicht nach seelischen Offenbarungen, sondern nach ganz handfesten Dingen wie Geld, Macht und Sex streben. Er lässt Doppelgänger auftreten, um die Austauschbarkeit der Personen zu verdeutlichen. Ob Graf Almaviva, Figaro oder vergleichbare Männer mit Einfluss, alle dürfen die leicht bekleidete Rosina anfassen und sie zu verführen versuchen. Der Spaß bleibt dabei nicht aus. So wird eine Diskussion zwischen Figaro und dem Grafen mit koreanischem Obertitel und deutscher Übersetzung versehen, die lautet: „Los, schmeiß dich ran“. Das moderne Moment unterstreicht Charim mit Sequenzen der Überraschung. So wird eine Orchesterpassage plötzlich und unerwartet unterbrochen und übertitelt mit „Lied taugt nix. Zu meiner Zeit war die Musik anders.“ Auf der Bühne folgt daraufhin ein Scheinwerfergewirr mit ohrenbetäubendem Alarmsignal, das an eine typisch amerikanische FBI-Verfolgungsszene bei Nacht erinnert. Die Bedeutung dieser Idee erschließt sich allerdings nicht. Überhaupt bieten einige Regieeinfälle der eigenen Interpretation einen so großen Spielraum, dass es schwer fällt, diese auf das Bühnengeschehen zu beziehen. Schwer zu deuten ist etwa, warum die Hauptdarsteller zwischendurch nur hörbar, nicht optisch, zu Vögeln umfunktioniert werden. Und warum simuliert Graf Almaviva das Abschießen einer Panzerfaust auf Bartolo? Man mag mutmaßen, dass dieses zeitkritische Bezüge hat, allerdings ist die Szene dafür eigentlich nicht bedeutsam genug.

Auch das Bühnenbild von Ivan Bazak lässt viel Raum für eigene Assoziationen. Das Hauptelement ist eine riesige Holzwand mit eingelassener Drehtür, auf der riesige Bilder je nach Szene sichtbar werden und abgerissen werden können. Eine originelle Idee, die in der Umsetzung allerdings auch Schwierigkeiten mit sich bringt. Beispielsweise sind die Sänger während des Abreißens weniger gut zu hören, es bleiben auch Reste der alten Bilder hängen und durch die Papierfetzen herrscht auf der Bühne immer ein, gewiss gewolltes, Chaos, das Unruhe mit sich bringt. Die Kostüme, auch aus Bazaks Hand, wirken dagegen fast unspektakulär. Rosina trägt Netzstrümpfe und hohe Stiefel, die anderen Damen und Herren einfach Kostüme und Anzüge.

Die Rosina von Monika Walerowicz kommt stimmlich ausgezeichnet mit der Partie der extrem selbstbestimmten, hier auch als Sexsymbol betrachteten Figur zurecht. Sie spielt mit ihrer Stimme ebenso wie mit den Männern und bewegt sich mühelos durch alle Höhenlagen. Spanisches Temperament hat sie in sich und sichtlich großen Spaß am Schauspiel. Ein großes Kompliment gilt auch Jin-Ho Yoo in der Rolle des Figaro. Er verkörpert den geborenen Gigolo, der seinen Platz an Rosinas Seite für den Grafen mehr oder weniger aufzugeben bereit ist. Sein Bariton ist stark, durchdringend und macht in der berühmten Auftrittsarie  richtig Spaß. Graf Almaviva ist Sung-Keun Park. Er gibt den liebestollen und sich ab und an nicht ganz ernstnehmenden Grafen überzeugend. Seine sehr angenehm gefärbte Stimme vermag es dabei leider nicht, den Raum ganz mit Volumen zu füllen und in den Ensembles kann er sich oft nicht behaupten. Frank Schneiders als Bartolo ist ein trinkender, machthungriger Alter mit einem klaren, durchdringenden Bass, der sich wie eine feste Hand über die Szenen legt, in denen Rosina ihm abhanden zu kommen scheint. Tobias Schabel gibt den gewitzten, unbekümmerten Don Basilio absolut überzeugend. Die Spielfreude ist ihm anzumerken, und ebenso fröhlich sorgt er für Überraschungsmomente. Auch die kleineren Rollen sind mit Christopher Tonkin als Fiorillo, Carmen Fuggiss als Berta und Peter Michailov in der Rolle des Offiziers sehr präzise und gelungen besetzt.

Für den Chor zeichnet Dan Ratiu verantwortlich. Nicht nur darstellerisch als Doppelgänger, sondern auch gesanglich stimmig und großflächig klingend überzeugt das Kollektiv die Zuschauer.

Die musikalische Leitung obliegt Ivan Repušić. Sicher führt er sein Orchester vom ersten bis zum letzten Ton. Dass die Ouvertüre ein wenig diffus wirkt, ist nicht sein Verschulden, sondern liegt an den beweglichen Bühnenlichtern, die unnötigerweise und leider quietschend gen Theaterhimmel gezogen werden.

Auf all diese Eindrücke reagiert das Publikum schon in der Pause unsicher. Einige Szenen werden heiß diskutiert und versuchsweise interpretiert. Für manche geht der moderne Trend, „Sex sells“, hier zu weit, oder er ist einfach überholt. Es mag auch daran liegen, dass nach der Vorstellung Alexander Charim und sein Team einige Buh-Rufe hinnehmen müssen.Die Sänger, Musiker und die musikalischen Leiter werden dagegen mit viel Applaus bedacht. Ein Abend, der sicher noch einige Zeit nachwirkt.

Agnes Beckmann

 



Fotos: Jörg Landsberg