Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DAS OPERNCAMP
- WIE ÜBERLEBT MAN OPER?

(Susann Oberacker/Inken Rahardt)
20. November 2012
(Premiere)

Opernloft Hamburg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Opera generale

Nach dem Eingangsvideo schauen sich die Zuschauer etwas ratlos an: Eine Herde von Schafen, in der alle die Ohren hängen lassen, dann Fahrt, Großaufnahme, die Zuschauer blicken in opernunkundige Schafsaugen… Wer ist damit gemeint? Doch schon folgt der Operntest von den beiden strengen Moderatorinnen, die Durchfallquote im Publikum ist erheblich. Endlich werden die beiden giftgrün-pink gekleideten Damen auf der Bühne, im Outfit eine grelle Mischung aus Messebegleiterin und Thai-Airline-Stewardess kommunikativ. In Sachen Oper geizen sie im ersten Teil des Abends nicht mit guten Ratschlägen, um nicht zu sagen: Anweisungen für den ersten Opernbesuch. Unbedingt: wach bleiben! – Auch wenn man nichts versteht, ruhig bleiben. – Sich nicht von Operntiteln irritieren lassen … Sie verfügen über ein knappes Dutzend solcher Ratschläge und geben sie gern – ungefragt – weiter. Ähnlichkeiten mit Vormittags-TV-Formaten sind nicht zufällig.

Der erste Teil bringt die für eine „richtige“ Oper notwendigen Zutaten in knapper Form und bestens mit zahlreichen Kurzzitaten musikalisch belegt mit viel Witz auf die Bühne. Die Aufführung folgt dem hiesigen Regiegrundsatz der “90-Minuten-Oper“ und bereitet mit radikaler Kürzungswut das Publikum bestens und vorzüglich unterhalten vor auf die „All-Oper“ des zweiten Teils.

Diese „Opera Generale“ besteht aus all den Zutaten, die eine „richtige“ Oper ausmachen: Er liebt sie – sie ihn am liebsten auch; aber der Vater lässt nicht. Der Nachbar, König, Herrscher, auch schon mal Gottvater, möchte gerne, jetzt sie aber nicht; der Nebenbuhler ärgert alle; die Nebenbuhlerin möchte am liebsten. Manchmal kümmert sich auch noch ein Berater, ein Pfarrer, ein Schamane um die verfahrene Kiste; es gibt zwei Schlussvarianten: er kriegt sie – Happy end, oder Mord und Todschlag – End.

Nicht ganz genau entlang der Operngeschichte, aber doch ziemlich komplett durch die großen Publikumsopern singen und spielen Theresa Derksen, Sopran, und Angelica Böttcher, Mezzosopran, durch die Operliteratur, dass es eine Freude ist. Mit Kostproben aus dem Freischütz, der Fledermaus, aus La Traviata, dem Barbier von Sevilla über Tosca, dem Waffenschmidt bis zur Götterdämmerung – um nur einige Stationen zu nennen, laden sie das „Anfänger-Publikum“ zu einer Erkundung der Opernwelt ein, bei der sie die Operngeschichte aus einzelnen Werken erzählend zu einer Opera generale zusammenführen und immer wieder mit Beispielen schmücken. Diese musikalischen Ausschnitte sind die wirklichen Schmückstücke des Abends. Derksen und Böttcher meistern die schwierigsten Arien und Duette mit ausgezeichneten Stimmen, prägnanter oder gefühlvoller Intonation und präsentieren sich als erfahrene Opernsängerinnen, deren Qualität durch ihre Spiellust und gelegentlich karikierende Intonation nicht beeinträchtigt wird. Claudia Weinhart reicht bei der Ausstattung ein kleiner Stolperhügel für die Wagnerszenen oder ein blumengeschmückter Umhang für Madama Butterfly, um die Protagonistinnen in das passende Ambiente zu setzen. Um die oft unübersichtlich geratenden Beziehungen doch noch durchschauen zu können, setzt sie mit herrlich kühler Ironie Pictogramme ein, die den Anfängern die aktuelle „Sozialstruktur“ der jeweiligen Opernszene verdeutlichen helfen. Nina Pichler stützt sich bei ihrer Regie auf das Hausprinzip der „90-Minuten-Oper“, dem sie rigoros auch diese „All-Oper“ unterwirft und damit die Idee des Operncamp als Anfänger-Trainingseinheit möglich macht.

Mit dem Kürzungsprinzip ist auch Markus Bruker bestens vertraut, der die Musikteile auswählt und für die Instrumentierung sorgt, wofür ihm ein Piano, eine Klarinette oder ein Saxophon und eine Violine reichen. Als versierter Begleiter gibt er den beiden Sängerinnen stets das nötige musikalische Fundament.

Das neue Opernloft hat mit seinem 90-Minuten-Prinzip zwar keine neue Gattung der opera breve geschaffen, aber dieses Prinzip doch in einer Perfektion weiter entwickelt, die überzeugt. Es sind die Kurzbekanntschaften, die gelungene Auswahl und die hohe Spielqualität, die tatsächlich den Anfänger neugierig machen können auf die gesamte Tristan und Isolde oder die Götterdämmerung. Der erfahrene Opernbesucher erlebt den Abend weniger als Verballhornung, sondern als qualitativ gelungene, Schmunzeln machende, gleichwohl respektvolle Aufführung mit hohem Unterhaltungswert.

Kein Wunder, dass lang anhaltender Schlussapplaus und Premierenfeier nahtlos in einander übergehen – ist ja auch kürzer so.

Horst Dichanz

Fotos: Silke Heyer