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Fakten zur Aufführung 

MANON LESCAUT
(Giacomo Puccini)
1. April 2012
(Premiere)

Staatsoper Hamburg


Points of Honor                      

Musik

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Konstruierte Seelenräume

Giacomo Puccinis Manon Lescaut, die Oper, die ihn endgültig bekannt und berühmt gemacht hat, ist das nächste Stück, das die Hamburgische Staatsoper in ihre Jubiläumsspielzeit zum 333. Geburtstag an den Ort seines Ursprungs zurückgeholt hat. Das stimmt hier zwar nicht ganz, die Uraufführung ist am 1. Februar 1893 in Turin über die Bühne gegangen; in Hamburg hat dann aber im November desselben Jahres die Erstaufführung in Deutschland stattgefunden.

Regisseur Philipp Himmelmann gibt sein Debüt an der Dammtorstraße. Für die Neuproduktion hat er, im unmittelbaren Rückgriff auf die literarische Vorlage, den französischen Roman des Abbé Prévost aus dem frühen 18. Jahrhundert, einen recht kopflastigen Ansatz gewählt. Da im Roman der Protagonist Des Grieux einem Ich-Erzähler von seiner unglücklichen Liebe zu Manon Lescaut erzähle und Puccini ebenfalls seinen Fokus auf die Perspektive des jungen Studenten lege, will Himmelmann die Geschichte ebenfalls aus dieser Warte zeigen. Er verlegt sie in das Innenleben Des Grieuxs, erzählt sie als Retrospektive, die sich im Inneren des Mannes abspielt. Die Einsamkeit, die sich bei Des Grieux durch die immer wieder stattfindenden Trennungen von Manon und letztlich ihren Tod stets neu einstellt, wird als Grundsituation angenommen, aus der heraus er sich erinnert. Die eigentliche Geschichte, angefangen mit der ersten Begegnung zwischen ihm und Manon, bis hin zur Deportation der jungen Frau in die Wüste und ihrem qualvollen Tod, den Des Grieux dort mit ansehen muss, findet weniger zwischen als vielmehr unsichtbar neben den sichtbaren Figuren statt. Des Grieux ist einsamer Beobachter einer Gesellschaft, ohne selbst allzu sehr am Geschehen beteiligt zu sein. Er und Manon haben so auch in den Momenten leidenschaftlichster Liebesbekundungen kaum miteinander zu tun, stehen ohne Kontakt nebeneinander. Immer wieder kommt es, auch zwischen den anderen Figuren, zu Momenten, die irritieren – zwei sagen sich etwas, aber sie haben überhaupt keine sichtbare Beziehung zueinander. Alles spielt sich in imaginären Seelenräumen des Des Grieux ab.

Johannes Leiacker baut einen Einheitsbühnenraum mit spiegelndem Fußboden und bewegliche Wandelementen, von denen unzählige Gesichter-Fotografien starren, auf der Rückseite sind ebenfalls spiegelnde Flächen. Der innere Spiegel, der leere Seelenraum des Des Grieux wird so überdeutlich sichtbar, unterstützt durch das triste schwarz-weiß der Fotografien und der überwiegend ebenso farblosen Kostüme von Gesine Völlm. Die Gesellschaft, an die sich Des Grieux erinnert, ist eine illustre Zusammensetzung aus Figuren des Varieté- und Zirkusmillieu, der Commedia dell’Arte, mit Anspielungen an Satyrspiele – eine theatrale Mélange. Manon Lescaut selbst ist mit ihren roten Kleidern darin der einzige Farbtupfer – im ersten Bild in einem Modell wie aus den 1920-er Jahren, mit passender Frisur dazu, danach dann in Kleid und Perücke wie aus der Zeit Marie Antoinettes. Die Kostüme sind detailgenau gearbeitet und schön anzusehen, ergeben zusammen mit dem kargen Bühnenraum durchaus eine ästhetische Optik. Die Regie allerdings lässt die Beziehungen zwischen den Figuren diffus, vermittelt keine innere Stringenz. Die ist bei diesem Stück jedoch unbedingt nötig, denn die allzu lose Folge der Szenen, mehr eine Abfolge einzelner Stationen, stiftet kaum inneren Zusammenhang.

Es mag sicher auch an diesem holprigen Regiekonzept liegen, dass der Abend musikalisch ein wenig Anlaufzeit braucht. Den ganzen ersten Akt über finden weder Solisten und Chor noch das Orchester Form zur rechten Form. Dirigent Carlo Montanaro gelingt es dann aber zunehmend, das Philharmonische Staatsorchester zu emphatischem Spiel zu animieren. Neben dynamisch zupackenden Momenten gibt es da auch immer wieder solche, in denen Puccinis feine, delikate Instrumentation ganz zur Entfaltung kommt, ein transparentes und differenziertes Klangbild entsteht und die nötige Italianitá dabei nicht zu kurz kommt.

Norma Fantini in der Titelpartie ist eine erfahrene Interpretin der Rolle. Die Regie lässt ihr wenig Raum für Interaktion mit Des Grieux, es scheint, als könne sie sich nicht frei spielen. Vielleicht gerade deswegen bleibt sie phasenweise auch stimmlich unter ihren Möglichkeiten. Da klingt sie in einigen Momenten etwas fahl und stumpf, so, als müsse sie Leidenschaften, die vorhanden sind, im Zaum halten. Letztlich bleiben jedoch die immer wieder intensiv gestalteten Momente, getragen von der leuchtenden Kraft ihres großen, aufblühenden Soprans. Der vierte Akt gerät hier zum Höhepunkt.

Carlo Ventre in seinem Rollendebüt als Des Grieux kann im Lauf des Abends immer größere Form gewinnen und besticht am Ende durch ein ebenso emotionales wie mit überwiegend guter Kontrolle und klarem Fokus gestaltetes Porträt. Sein Tenor verfügt über ein sehr angenehmes, schmelzendes wie kerniges Timbre. Auch er hätte sicher sängerisch noch mehr erreichen können, wären ihm von der Regie mehr Möglichkeiten zugestanden gewesen, sich auch als Darsteller zu profilieren und nicht weite Teile des Abends mit Blick in den Saal auf der Bühne zu stehen.

Ohne Einschränkung gefallen Lauri Vasar als Manons Bruder Lescaut mit weich strömendem Bariton und Tigran Martirossian als Geronte mit kraftvollem, dunklem Bass; aus dem Kreis der kleinen Partien bleiben Dovlet Nurgeldiyev mit biegsamem, schlankem Tenor als Edmondo und Maria Markina mit klar timbriertem Mezzo als Musico im Gedächtnis. Florian Csizmadia hat den Staatsopernchor sicher und im Lauf des Abends immer klangintensiver auf die musikalisch mitunter sehr vertrackten Aufgaben als kommentierende Gesellschaft vorbereitet.

Am Ende gibt es verdienten, wenn auch recht kurzen Jubel für Ensemble und Orchester. Als das Regieteam die Bühne betritt, ist zu merken, wie viele einfach aufhören zu applaudieren, dann gibt es vor allem Buh-Rufe. Himmelmanns Idee ist sicher eine Spur zu intellektuell, um das Publikum mitzureißen. Musikalisch bleiben dennoch starke Eindrücke zurück.

Christian Schütte







Fotos: Monika Rittershaus